Architekturbiennale Venedig 2016
Schon der Eingangssaal ins Arsenale kündet von einer neuen Haltung zur Architektur, zum Gebauten. Alejandro Aravena hat hier eine eindrucksvolle Inszenierung geschaffen: Der Besucher ist mit Abfall, mit Müll konfrontiert, aber in einer durchaus ästhetischen Formierung. Beim weiteren Durchwandern und Studieren der Räume wird man immer wieder mit mit Unangenehmem, einfachen Lösungen komplex wirkender Probleme konfrontiert.
Aravena ging es nicht – so seine eigenen Worte – um einen absoluten, sondern um den relativen Erfolg, diesen will er durch die Auswahl der Teilnehmer erzielen. Er betonte, dass er bei deren Auswahl keineswegs große Namen und Architekten ausschließen habe wollen. Sie seien willkommen, solange ihre Projekte Wissen und Intelligenz enthielten. Die (wenigen) großen Namen, die man in Venedig trotzdem finden konnte, fügen sich auch in das Gesamte, in die Richtung, die Aussage des Gros der Teilnehmer ein. Ihre Beiträge sind – vergleichsweise, vom Aufwand (nicht vom Inhalt) gesehen – eher bescheiden. Manche Pavillons auf den Giardini, wo man sich teilweise (schon fast traditionell) dem Allgemeinthema entzog und wieder einmal der Bespiegelung der eigenen Größe und Macht huldigte, fielen dagegen fast unangenehm in der Gesamtatmosphäre auf. Aber es gab auch Sternschnuppen. Viele der Beiträge/Anregungen stammen aus Lateinamerika – das ist jedoch keineswegs einem möglichen Patriotismus des chilenischen Architekten geschuldet, sondern zeigt nur, dass man in Ländern, die nicht dem westlichen Standard anhängen, vielleicht schon weiter im Denken über Alternativen zum Gewohnten ist als in der Heimat der Stars. Vielleicht haben ja auch die Großen hierzulande die Kleinen erdrückt oder verhindert – wer weiß?
„What is your battle?“
Als Kurator forderte Aravena die teilnehmenden Aussteller mit dem Slogan „What is your battle?“ heraus, Stellung zu beziehen und erreichte dadurch eine breite Darstellung der Probleme der Architektur, wie zu große Technikgläubigkeit und Effektivitätswahn, Vernachlässigung der Umwelt und Ökologie, Ungleichheit und Krieg auf der Welt und vieles mehr. Er lässt als Kurator junge, in Fachkreisen zwar bekannte aber „no name“-Architekten und -Gruppierungen zu Wort kommen. Die Arbeiten der Beiträge sind nicht nach „gelungen oder nicht gelungen“ zu beurteilen, sondern wichtig ist die Tatsache der Ablöse des Architekturestablishments durch neue, junge und interessierte Akteure. Man konnte dieses Phänomen auch an der Zusammensetzung des Publikums bei den Preview-Tagen erkennen: Hauptsächlich junge Menschen tummelten sich in Venedig, die bekannten, saturierten Gesichter fehlten (bis auf wenige Ausnahmen) völlig. Das Thema hatte eben die Menschen angezogen, die es in der nahen Zukunft betreffen wird. Das Fehlen österreichischer, deutscher und internationaler „Stars“ bei Pressekonferenzen und Veranstaltungen war augenscheinlich.
Es soll hier ganz bewusst kein einziger Beitrag, sei es im Arsenale oder in den Länderpavillons kritisiert oder gelobt werden, denn das würde die gesamte Tendenz, die Türe die Aravena aufgestoßen hat, wieder ein Stück schließen. Es geht auch nicht darum, es ohnehin eh schon immer gewusst oder gesagt zu haben, all solche Versuche zeigen nur eines, nämlich die Unfähigkeit, Wahrheiten ins Auge zu blicken. Dazu gehört auch das Versagen der Ausbildung zur Architektur, das Versagen der Universitäten, die immer noch dem Starkult huldigen statt Zeichen der Zeit zu erkennen. Wir werden uns von geläufigen Maßstäben der Architektur verabschieden müssen, Ungewohntes wird uns bald gewohnt erscheinen, klein ist besser als groß und kurze Bauzeiten zählen bald nicht mehr als Leistung, sondern als unnotwendige Attribute einer veralteten Effizienzphilosphie.
Projekte auf der Architekturbiennale 2016 in Venedig
Eine der ersten Arbeiten in den Cordiere des Arsenale ist der Beitrag der chinesischen Architekten Wang Shu und Lu Wenyu vom Amateur Architecture Studio in Fuyang, Hangzhou. Ihr Projekt begann schon 2012 und zeigt den schwierigen Versuch, statt des Neubaus eines Museums die bestehenden Dörfer und Gemeinschaften vor Ort zu erhalten. Die Arbeit ist mit Skizzen und Fotos vom Prozess dokumentiert. Ebenso sieht man palettenweise Materialmuster, Farbproben, gerammte Erdwände und vieles mehr aus dem Erhaltungs- und Restaurationsprozess des Dorfes Wencun.
Kann ein Wald durch HVAC (Heating, Ventilation, Air-Conditioning) ersetzt werden? Erst eine bestimmte Kombination aus Luftfeuchtigkeit, Temperatur, Luftschichten und Luftbewegung im Raum haucht der Installation „Lightscapes“ von Transsolar Leben ein und macht den Lichtregen für die Besucher im Arsenale erlebbar.
Ein Team, geführt von der ETH Zürich, errichtete aus 399 Sandsteinblöcken ohne jedes Bindemittel einen „Meilenstein der Ingenieurskunst“. Die gekurvte Konstruktion spannt sich bis zu 16 Meter weit und hält nur durch Druck zusammen. Die Wandstärke beträgt am Scheitelpunkt fünf Zentimeter. Die Form dieses Meisterstückes entsteht aus denselben Strukturprinzipien wie die Steinkathedralen der Vergangenheit, nur wurden damals keine heutigen Technologien verwendet.
Solano Benítez, Gewinner des goldenen Löwen für die beste Installation, baute aus Ziegel und Holz eine Struktur als Beispiel, wie aus billigen Materialien und mit intensiver Arbeit ein Mangel in Überfluss transformiert werden könnte. Als Anregung für den global ständig wachsenden Bedarf an neuen städtischen Räumen. Der indische Architekt Anupama Kundoo hat aus Eisenzement ein Bauteilsystem ähnlich Lego entwickelt, mit dem ein Haus in sechs Tagen errichtet werden kann. Ein cleverer Beitrag zur Emergency Architecture mit Hilfe von unkonventionellen Materialien.
Die chilenische Architektin Cecilia Puga untersucht den Übersetzungsprozess von Zeichnungen in die Wirklichkeit und stellt eine der Grundfähigkeiten jedes Architekten zur Schau: Loyalität und Konsequenz von der ersten Skizze bis zur fertigen Architektur ohne die Komplexität je aus dem Auge zu verlieren. Der Beitrag der Amazonasländer war eine Inszenierung über die Umstände, unter denen Kinder dort unterrichtet werden. Auf einem Video sah man armselige Hütten (Schulklassen) in denen auf einem überfluteten Boden, Kinder mit angezogenen Beinen auf Holzstühlen sitzen und trotzdem lernen. Sehr berührend, wenn man an die hiesige Diskussion um Schulsysteme und Klassenzahlen denkt. Im Hoffmann-Pavillon zeigte Elke Delugan-Meissl ihr, zusammen mit Liquid Frontiers kuratiertes Projekt, „places for people“. Man konnte zwar nur Poster mitnehmen, aber die positive Stimmung, vermittelt durch die Projekte der Teams von Next Enterprise, EOOS, welche „social furniture“ mit Flüchtlingen zusammen in Wien produzierten und von Caramel architekten, die mit ihren Raumteilern in einem Flüchtlingsquartier ein „Upgrade für alle!“ schufen, war deutlich spürbar. Es ist schön, dass sich Österreich diesmal nicht dem Allgemeinthema verweigert hat und ein deutliches Statement abgibt.
Deutschland hat seinen, aus der nationalsozialistischen Ära stammenden und dementsprechend belasteten, Pavillon im wahrsten Sinn des Wortes – aufgerissen. In allen vier Himmelsrichtungen hat man große Öffnungen geschaffen, Wind und Regen können ungehindert ins Innere kommen. Unter dem Titel „Making Heimat“ zeigt das Land, dass es schon längst ein funktionierendes Einwanderungsland (wie Österreich übrigens auch) ist, und dass die Szene der Ankommenden teilweise bereits bestens integriert ist, aber auch, dass Deutschland ein „Frontstaat“ ist.
Vor dem Hauptpavillon in den Giardini haben die chilenischen Architekten Mauricio Pezo und Sofia von Ellrichshausen einen Bau aus zehn runden, sich überschneidenden Räumen mit verschiedenen Durchmessern aufgebaut. Ein gleichzeitig konzeptuelles, philosophisches, wie auch sinnlich forderndes Projekt. Innenräume in anderen Innenräumen im Außenraum und dazu der Geruch von Baumrinde.
Die Holländer setzten sich mit politischen Entscheidungsträgern sowie hohen Militärs zusammen, um zu verstehen, welche Wirkung die Friedenstruppen der Vereinten Nationen auf die Welt haben, ganz besonders in Afrika. Welche Strukturen werden aufgebaut und welches sind die Hinterlassenschaften der UN. In blaues Licht getaucht diskutierte man in einem, mit blauen Baufolien verhangenen Pavillon darüber.
Das Handwerk meldet sich ebenfalls lautstark zurück in Venedig. Es sei eine Mär, dass architektonische Konstruktionen durch 3D gedruckte Formen und Roboterarbeit ersetzt werden würden, meinte Peter Zumthor. Kann man das als Beweis, dass der Computer nur der Sklave des Menschen ist, sehen? Handarbeit war jedenfalls im Schweizer Pavillon ebenso zu sehen, wie im belgischen. Hier zeigte man an Hand von Beispielen jeweils ein Foto, einen Bauteil und ein Detail einer Konstruktion mit Betonung auf das Handwerk – sinnigerweise schrieb man „BRAVOURE“ (das war der Name des diesjährigen Gestalterteams) über den Eingang.
Architekt Kunlé Adeyemi aus Nigeria hat seine „Floating School“ nach Venedig gebracht, dafür wurde er mit dem silbernen Löwen ausgezeichnet. Die ursprüngliche Schule in Makoko dient der Infrastruktur für Schüler in einem Gebiet, das ständig von Hochwasser bedroht ist.
Zu dieser Biennale kann man nur sagen: Hinfahren und in Ruhe anschauen. Soviel Gedanken und Anregungen zur Architektur wie heuer in Venedig wird sich so schnell nicht wieder auf engstem Raum versammelt finden. Wie ein deutscher Kollege folgerichtig formulierte: Aus Architekten werden Reporter, aus einer Ausstellung ein Handbuch der Ideen. Im Mittelpunkt steht dabei ungewohnt oft der Mensch. Mit seinem Konzept „Reporting from the Front“ schafft es Alejandro Aravena, die Architektur daran zu erinnern, wofür es sie eigentlich gibt.
Text: Peter Reischer
Fotocredits:
©Andrea Avezzu
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©Peter Reischer
©Paul Kranzler
©Jacopo Salvi