Bibliothek Sint-Pieters-Woluwe
Die Bücheroase.
Bibliothek / Sint-Pieters-Woluwe, Belgien / Plusoffice Architects.
Seit Tausenden von Jahren werden immer wieder Bibliotheken errichtet, gegründet, um das Wissen der Zeit zu sammeln und zu bewahren. Die Bibliothek von Alexandria ist eines der größten Mysterien der Geschichte. Sie wurde von Ptolemaeus I im Jahre 288 v. Chr. als Treffpunkt für die Weisen und großen Geister der Zeit gegründet und enthielt über Jahrhunderte das „Wissen der Welt“. Gelehrte, Intellektuelle, Wissenschaftler und Schüler fanden hier ein Umfeld, um über das damalige Wissen zu diskutieren und zu lernen. Dann verschwand sie spurlos. Man nimmt an, dass sie 272 n. Chr. im Zuge kriegerischer Auseinandersetzungen zerstört wurde.
Die neue Bibliothek in Sint-Pieters-Woluwe in Belgien ist als ein kostbares und performatives Architekturobjekt inmitten einer Wohnhaussiedlung geplant und realisiert. Die Architektur der Plusoffice Architects beinhaltet ein außergewöhnliches Bildungsprogramm für den grünen Gartenbezirk des Vorortes von Woluwe. Maßvoll fügt es sich in die Reihen der Wohnanlagen ein, sie repräsentiert die Vorderseite eines Schulcampus und verbindet die Schulgebäude mit der Nachbarschaft und ihren Bewohnern. Die diagonal verlegten Fassadenpaneele leuchten golden – wie um den Wert der Bildung und des Wissens zu unterstreichen – aus dem Grün der Umgebung heraus.
Obwohl das Gebäude als Behausung einer Büchersammlung konzipiert ist und sich der Rhythmus der Fensteröffnungen optimal an die Regalabstände anpasst beziehungsweise deren Abstand vorgibt, kann die technische Hauptstruktur der Architektur eine ganze Reihe von Funktionen und Adaptierungen ermöglichen. Das Bauwerk ist als Raum für Gespräche und den Austausch von Ideen entworfen, nicht nur als Bücherlager. Die Entwicklung von Büchersammlungen ist sprunghaft und unbeständig und die Neuen Medien stellen eine Herausforderung für jedes Bibliothekenkonzept dar. Deswegen ist die Architektur im Inneren neutral, funktionell, mit großzügigen Bereichen und Verkehrswegen, und hat eine klare, leicht identifizierbare Fassade. Zentrum des Grundrisses ist der Hofgarten – er reguliert den Hitzeeintrag und die natürliche, benötigte Tageslichtmenge, steuert den Energieverbrauch des Hauses und ermöglicht es gleichzeitig, im Freien zu lesen.
Die Einrichtung und Möblierung im Inneren ist einfach und viel weniger auffallend als das goldene Äußere. Hölzerne Bodenbeläge, Stiegen und Handläufe schaffen eine angenehme Stimmung im Kontrast zu der Nüchternheit der Stahlbetonkonstruktion und der Bücherregale.
Diese Bibliothek ist die erste in Belgien, die nach dem „Passivhaus-Konstruktionsstandard“ errichtet wurde. Daraus resultiert auch ihr extrem niedriger Energieverbrauch. Sie ist mit einigen interessanten Features ausgestattet, wie Wärmepumpen, Fotovoltaikpaneelen und einer extrastarken Isolierung. Die Nachhaltigkeit des Entwurfes wurde 2014 mit dem „Exemplary Building 2014 Award“ der Brussels Capital Region, basierend auf der Energieeffizienz und der nachhaltigen Designstrategie, ausgezeichnet.
Es ist eine interessante Parallele, dass die Bibliothek, ähnlich wie die vergoldeten Kapitälchen in antiken Schriften, mit einer Verkleidung aus Metallplatten versehen ist. Sie bestehen aus einer Legierung, die weniger als zwei Prozent Unterschied zum Standard der Euro-Cent Münzen hat. Man hat bei der Zusammensetzung der Fassadenverkleidung sehr wohl darauf Bedacht genommen, wie weit sie ihre Umgebung reflektiert und gleichzeitig einen goldenen Schimmer vor dem Hintergrund der grünen Vegetation abgibt. Im Inneren findet man in den Haupträumen ebenfalls eine kostbare Metalldecke vor – sie wurde in den 60er Jahren von Jules Wabbes entworfen und man hat sie aus dem Gebäude der Hauptbank in Brüssel gerettet und wieder hergestellt. Die Größe ihrer einzelnen Elemente basierte im Originalausmaß auf dem belgischen 2.000 Franc Geldschein. Die Metalldecke, die aus Messingpaneelen besteht und in einem orthogonalen Raster aufgebaut ist, lenkt das Licht nach unten und bildet einen sanften Zwischenton eines goldenen Lichtes, der die intime Atmosphäre in dem Raum – in dem Lesungen und Gedichtrezitationen stattfinden – unterstützt. Diese wiederverwertete Decke passt, sowohl vom Design als auch von den Ansprüchen der Nachhaltigkeit, perfekt in das Gesamtkonzept dieser beispielhaften Bibliothek, die ein belgischer Architekturkritiker treffend als „Oase in der Landschaft der Bibliotheken“ bezeichnete.
Bibliothek
Sint-Pieters-Woluwe, Belgien
Bauherr: Municipality of Sint-Pieters-Woluwe
Planung: Plusoffice Architects
Statik: Util Struktuurstudies
Grundstücksfläche: 1.219 m2
Bebaute Fläche: 839 m2
Nutzfläche: 1.165 m2
Planungsbeginn: 05/2008
Bauzeit: 05/2013 – 01/2015
Fertigstellung: 01/2015
Baukosten: 2,2 Mio. Euro
Fotos: ©Filip Dujardin
Text: Peter Reischer