Adolf Loos – Der Verfechter des Privaten
Minimalismus und Praktikabilität gehörten bei Architekt Adolf Loos zum Programm. Mit seiner damals revolutionären Herangehensweise versuchte er, Tradition und Moderne zu verbinden – gleichzeitig stellte sich der 1870 geborene Planer gegen radikale Entwicklungen. So war er einer der vehementesten Kritiker der Ringstraßenarchitektur und „erfundenen Verzierungen“ auf Gebrauchsgegenständen.
Diese Überzeugung machte sich auch in seiner Architektur bemerkbar. Seine Bauten schuf der Planer eigenständig, wobei er sich dabei von verschiedenen Kulturen beeinflussen ließ. Trotz ihrer praktischen Gestaltung, strahlen die Loos‘schen Gebäude – und mit ihnen die Fassaden – zeitlosen Charme aus. „Form follows Function“ war bei dem wichtigen Wegbereiter der Moderne Programm.
Auch die Mischung aus äußerlicher Zurückhaltung und innerer Opulenz macht(e) die Bauten des Modernisten einzigartig. Auf der Fassade selbst ist der Charakter des Gebäudes und seiner Bewohner nicht ersichtlich. Dies ist, gemäß Loos, vor allem dem Innenraum vorbehalten.
Die praktische Fassade der Moderne
Ein wesentlicher Bestandteil des Werkes von Adolf Loos waren Interieurs. Dabei besaß der Architekt die Fähigkeit, mit dem Innenraumdesign den Charakter seines Auftraggebers zur Geltung zu bringen. In erster Linie sollten die Häuser aber funktionalen Charakter haben. Ästhetische Spielereien ohne praktischen Nutzen sah der Architekt und Designer als überflüssig an. Zu seiner Inspiration trug diesbezüglich die Reise in die USA bei. Zwischen 1893 und 1896 machte er sich dort mit der nordamerikanischen Großstadtarchitektur vertraut. Und diese übte sich damals nun einmal in Unaufdringlichkeit und Zurückhaltung.
Bemerkbar macht sich der praktische Ansatz von Adolf Loos bereits an der Außenfassade. Einer der bekanntesten Vertreter aus der Hand des Architekten ist das Looshaus in der Inneren Stadt Wiens – dieses entwarf der Architekt 1910 für die Bekleidungsfirma Goldmann und Salatsch, wobei der Bau zu einem zentralen Bauwerk der Wiener Moderne avancierte. Gleichzeitig markiert das Gebäude mit der geradlinigen Fassade die Abkehr vom Historismus und den floralen Verzierungen. Als geradezu ironisch erweist sich dessen Lage gegenüber dem Michaelertrakt der Hofburg. Der ästhetische Funktionalismus macht das Gebäude aber nicht zu einem reinen Zweckbau. Denn Loos sparte bei den Materialien weder Aufwand noch Kosten. So wurde mit dem unten liegenden Marmorbereich an der Fassade ein gekonnter Kontrast zum schlichten Putz der oberen Wohngeschosse geschaffen. Den Geschäftsbereich betritt der Besucher über einen Gang mit toskanischen Säulen. Bei den Obergeschossen zieren nicht Ornamente, sondern Blumenkästen die Fenster – die Anbringung derselben wurde dem Architekten nach Protesten vom Stadtbauamt auferlegt.
Nach seiner Fertigstellung löste das Looshaus zunächst Schock aus. Wien war im frühen 20. Jahrhundert immerhin noch stark vom historischen Geschmack geprägt. Der Bau fügte sich auf den ersten Blick gar nicht in seine Umgebung ein. Aufgrund der fehlenden Fensterverzierungen wurde er von der Bevölkerung auch „Haus ohne Augenbrauen“ genannt. Dabei wollte der Modernist mit seinem Gebäude niemals provozieren, sondern mit Minimalismus der umliegenden, neobarocken Bebauung – darunter Hofburg und Michaelerkirche – seinen Respekt erweisen. „Der Stil der Kirche, welche das Pendant zu diesem Bau bildet, war für mich richtunggebend“, äußerte sich Loos zu seinem Entwurf. Bei der noch uninformierten Wiener Bevölkerung wurde die noble Zurückhaltung zunächst als trotzige Rebellion wahrgenommen – heute hat sich das Blatt selbstverständlich gewendet. Denn jetzt ist das Looshaus eine fixe und vor allem prägende Komponente des Michaelerplatzes der Wiener Innenstadt. Das Paradoxon aus prunker Schlichtheit fügt sich nahezu nahtlos in die sie umgebende Baustruktur ein.
Die stille Architektur der Diskretion
Großstädtische Zurückhaltung war bei den Bauten von Adolf Loos also Programm. Mit dem „Schweigen“ der Außenfassade, geben diese nichts vom höchst privaten Innenleben preis. Die stille Architektur macht sich vor allem in den Wohnbauten des Planers bemerkbar. Ein Spezialgebiet des Architekten waren immerhin Privatbauten – Villen, Einfamilienhäuser und Landhäuser entwarf Loos für sein bürgerliches Klientel.
Kennzeichnend für das Innenleben der privaten Bauwerke ist zunächst der sogenannte „Raumplan“. So legte der Architekt die einzelnen Stockwerke nicht etwa einfach übereinander. Vielmehr erhielt jedes Zimmer, die für dessen Zweck benötigte Höhe und Dimension. Das Prinzip der funktional angepassten Raumplanung setzte sich schließlich weltweit durch. Adolf Loos errichtete zwischen 1903 und 1931 unter anderem für die Sängerin Josephine Baker in Paris, für den Baumeister Frantisek Müller in Prag sowie für den Textilfabrikanten Hans Moller in Wien ein Einfamilienhaus. Ebendiese Bauwerke überzeugten nicht nur die ursprünglichen Bewohner, sondern sie zählen heute auch zu den bedeutendsten Privatwohnbauten des 20. Jahrhunderts. Mit seinem Raumplan beschränkte sich Loos nicht nur auf Einfamilienhäuser. In der Wiener Werkbundsiedlung in Hietzing verdeutlichte er, dass sich das Konzept auf einer Fläche mit geringem Bauvolumen umsetzen lässt.
Im 13. Wiener Gemeindebezirk schrieb der Architekt im Jahr 1912 mit dem Haus Scheu schließlich Architekturgeschichte. Im Randbezirk plante er für den Rechtsanwalt Gustav Scheu das erste Terrassenhaus Mitteleuropas. „Ich meinte, dass es von großer Annehmlichkeit wäre, von den Schlafräumen, die sich im ersten Stockwerk befanden, eine große, gemeinschaftliche Terrasse betreten zu können“, erläuterte der Architekt seine Vision.
Kennzeichnend für die Villa sind eine schmucklose Fassade und eine gerade Linienführung. Durchbrochen wird das bisweilen harte Äußere mit quadratischen und rechteckig-länglichen Fenstern. Daneben verfügt der Bau über drei Wohngeschosse und ist nach Osten hin abgestuft. Im Inneren ziert eingebautes Mobiliar aus Eichenholz die moderne Villa. Wohn- und Schlafräume öffnen sich ins Freie hin. Die glatte Fassade fand bei den benachbarten Anrainern abermals wenig Anklang. Behörden verpflichteten Loos unter anderem dazu, die Außenwände bewachsen zu lassen.
Siedlung am Heuberg, © Albertina
Weniger ist mehr – von der Reduktion lernen
Die Ideen von Adolf Loos sind – auch wenn sie zum Teil als komplex und widersprüchlich gelten – noch heute aktuell. Reduktion führt zu zeitloser Eleganz und erlaubt es, die Funktionalität in den Vordergrund zu stellen. Doch muss ein Gebäude dadurch nichts von seiner Identität einbüßen. Ganz im Gegenteil – klare Linien und puristisches Design stellen die Praktikabilität und damit den Menschen in den Vordergrund. Ein solches Bauwerk hebt sich auf ganz natürliche Weise von Zier- und Prunkbauten ab. Jene Wohnhäuser wecken so mitunter das Bedürfnis, hinter die Fassade zu blicken. Es können dadurch nicht nur Privatbauten, sondern auch öffentliche Gebäude vom puristischen Außendesign profitieren.
Josephine Baker Haus, © Albertina
Anders als im frühen 20. Jahrhundert, beschränkt sich die Bauplanung in puncto Minimalismus nicht mehr auf den grauen Betonputz, sondern sie setzt vermehrt auf Glasfassaden. Sie wirken puristisch und haben den Vorteil der Transparenz. Viele Planer spielen auf diese Weise mit natürlichem Licht, um die Innenräume noch besser zur Geltung zu bringen.
Der Architektur stehen heute viele Wege offen, den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen – der Fokus auf die Funktionalität ist einer davon.
Text: Dolores Stuttner
Kategorie: Architekturszene, Kolumnen