Alles nur Fassade?
Moderne Fassadengestaltung entwickelt sich zunehmend zur Schnittstelle zwischen technischer Innovation, ökologischer Verantwortung und ästhetischer Präzision. Die vorgestellten Projekte demonstrieren, wie architektonische Hüllen heute weit über ihre Schutzfunktion hinauswirken – als Träger digitaler Interaktion, Materialexperimente und städtebaulicher Vernetzung.
Funktionale Fassadengestaltung
Das durch cs-architektur realisierte Suchttherapiezentrum Salzburg verbindet städtebauliche Präzision mit architektonischer Symbolik. Als Teil eines Entwicklungsprozesses zur Neugestaltung des Christian-Doppler-Klinik-Areals löst es städtebauliche Herausforderungen durch eine lineare Gebäudeanordnung, die mit Parkhaus (Architekt Schallhammer) und geplantem Solitärturm (Architekt Kofler) eine markante Tangente am Kreuzungsbereich Ignaz-Harrer-Straße/Guggenmoosstraße bildet. Ein Konzept, das demonstriert, wie sich architektonische Innovation soziale Funktion und städtebauliche Integration verschränken lassen.
Materialität und Rhythmik
Die einnehmende Optik des Gebäudetrakts liegt in der Gestaltung der Fassade, die sich als Band aus homogenen, grün durchgefärbten Betonfertigteilen geschossweise um den Baukörper wickelt. 55 bepflanzte Tröge brechen die Monolithik und integrieren Vegetation als gestalterisches Element. Die horizontal eingelassenen Fensterbänder kombinieren Vertikallamellen aus Metall mit tiefenwirksamen Sonnenschutzscreens und strukturierten Metallpaneelen. Dadurch ergibt sich ein mehrschichtiges System, das Wechselspiele aus Transparenz und Privatsphäre zulässt – essenziell für die Nutzung als Therapieeinrichtung.
Geliefert wurden die mittels Matrizen in Holzstruktur gefertigten und eingefärbten Betonteile von der Leube Gruppe. Als Kernmaterial diente C30/37-Beton, der sich durch Frühhochfestigkeit für schnelle Schalungsrotation und eine homogene Einfärbung mit 2 % Pigmentanteil – bezogen auf die Zementmasse – mittels Chromoxidgrün auszeichnet. Die Montagelogistik erforderte eine präzise Abstimmung zwischen der werkseitigen Vorfertigung aller 55 Fassadenelemente, der Kranmontage sowie einem Toleranzausgleich durch dreidimensionale Verstellmöglichkeiten im Ankersystem.
Die gewollt unregelmäßige Fugenführung referenziert bewusst handwerkliche Traditionen, während die durchgefärbte Oberfläche langfristige Wartungsfreiheit garantiert. Wie im Baustoff Atlas thematisiert, ermöglichte die Materialwahl eine Synthese aus gestalterischer Freiheit und technischer Performance – die Holztextur schafft taktile Wärme, während der mineralische Werkstoff statische Anforderungen erfüllt.
Die Integration der Pflanztröge als bioaktive Fassadenmodulatoren zeigt zudem, wie serielle Vorfertigung ökologische Funktionen architektonisch übersetzen kann – ein Ansatz, der sich auch im Nachhaltigkeitskonzept des Gesamtareals widerspiegelt.
Suchttherapiezentrum Salzburg, Österreich
Bauherr: Salzburg Wohnbau
Planung: cs-architektur
Fertigstellung: 2024
Intelligente Medienfassade
Das Haus der Digitalisierung in Tulln an der Donau setzt neue Maßstäbe für funktionale Architektur im Kontext digitaler Transformation. Die von Kronaus Mitterer Architekten ZT GmbH in Kooperation mit Gallister + Partner gestaltete Fassade fungiert als Schnittstelle zwischen physischer und virtueller Welt.
Die Fassade als digitales Interface
Die mehrschichtige Glasfassade integriert LED-Module auf einem metallischen Trägermesh, wodurch digitale Inhalte auf der gläsernen Hülle erscheinen. Besonders innovativ: Die Reflexionen des Himmels erzeugen den Effekt schwebender Projektionen, die den digitalen Charakter des Gebäudes metaphorisch mit dem Begriff der „Cloud“ verknüpfen. Diese adaptive Medienfassade verbindet ästhetische Subtilität mit technischer Präzision – tagsüber transparent lichtdurchflutend, nachts transformierbar zur dynamischen Informationsfläche.
Funktionale Symbiose
Das architektonische Konzept spiegelt die Hybridität digitaler Räume wider: von der erdgeschossigen Transparenz als physisches „Gateway“ zur Stadt über die vertikale Gliederung durch Nutzungsschichten bis hin zum stützenfreien Showroom-Kubus mit 360°-LED-Wand für immersive Events. Die Fassadengestaltung korrespondiert ergänzend dazu durch ihre rasterbasierte Modulierung, der vorgesetzten Glas-Ebene als Schutzschicht vor Witterung und für die technische Infrastruktur sowie eine Integration von Verschattungselementen in das Trägermesh mit dem urbanen Kontext.
Nachhaltige Innovation
Trotz dieser hochtechnisierter Fassadenlösung erreichte das Gebäude 764 von 1.000 klimaaktiv-Punkten was einer Silber-Zertifizierung entspricht. Entscheidend hierfür waren die energieoptimierte LED-Technik mit adaptiver Helligkeitssteuerung, recyclingfähige Materialkomponenten im Fassadenaufbau sowie die passive Solarnutzung durch transluzente Verglasung. Als architektonisches Statement demonstriert das Haus der Digitalisierung, wie digitale Funktionalität und bauliche Hülle zu einer ästhetischen Einheit verschmelzen können. Die Fassade wird hier zum Interface – nicht nur im technischen, sondern auch im metaphorischen Sinn als Vermittler zwischen analogem Stadtraum und virtueller Zukunft.
Haus der Digitalisierung, Tulln, Österreich
Bauherr: FH Wiener Neustadt, ecoplus Digital GmbH
Planung: ARGE GP Kronaus Mitterer / Gallister / Vasko+Partner
Fertigstellung: 2022
Fotos: Schreyer David
Schwungvolles Fassadenkleid
Die Erweiterung des Horsens Gymnasium & HF setzt Maßstäbe in der Verbindung von funktionaler Fassadengestaltung und städtebaulicher Integration. Das Projekt, entworfen von C.F. Møller Architects, erweitert den denkmalgeschützten Schulkomplex aus den 1940er-Jahren durch eine zeitgemäße Cluster-Struktur, die historische Architektursprache und innovative Raumkonzepte vereint.
Schnittstelle zwischen Tradition und Moderne
Die Fassadengestaltung folgt dem reduzierten Ästhetikkonzept des Bestandsbaus, interpretiert es jedoch neu: Als Zusammenspiel von Transparenz und Vernetzung schafft eine großzügig verglaste Fassade visuelle Bezüge zwischen dem zentralen Innenhof und der neuen Gemeinschaftshalle und ermöglicht Tageslichtflutung in allen Clustern. Die zurückhaltende Materialpalette aus Beton, Glas und Stahl knüpft an die sachliche Formensprache der Nachkriegsmoderne an, setzt jedoch durch präzise ausgeführte Details Akzente.
Mehr als Fassadenverkleidung
Die vorgehängten Holzlamellen stammen von der Nordisk Profil GmbH, die Fassadensysteme aus FSC®- oder PEFC™-zertifiziertem Holz und Aluminium und zu 100% recyclebaren und wiederverwendbaren Materialien produziert. Geliefert wird nicht nur eine Fassadenverkleidung in Form von Lamellen, sondern ein komplettes, montagefertiges Fassadensystem, das Rücksicht nehmen kann auf die Elemente und die Gestaltung der Fassade. Das System Woodfac Click ermöglicht organisch geschwungene Fassaden, abgerundete Ecken, Säulenlösungen und runde Abschlüsse.
Horsens NHG & HF, Horsens, Dänemark
Bauherr: Horsens Statsskole & Horsens Gymnasium
Planung: C.F. Møller Architects
Fertigstellung: 2021
Fotos: Julian Weyer, Martin Schubert
Materialeffizienz trifft Ästhetik
Der Carbonbetonbau CUBE in Dresden setzt mit seiner Fassadengestaltung neue Maßstäbe für materialeffizientes und ästhetisch anspruchsvolles Bauen. Als weltweit erstes Gebäude aus nichtmetallisch bewehrtem Beton demonstriert es, wie Carbonfasermatten traditionelle Stahlbewehrungen ersetzen und gleichzeitig radikale Gestaltungsfreiheit ermöglichen.
Fassade als Hybrid aus Technik und Skulptur
Das architektonische Kernstück bilden zwei gegensinnig gedrehte TWIST-Elemente aus Carbonbeton, die sich von der Wand bis zur Decke schwingen und so eine fließende Raumhülle formen. Diese doppelt gekrümmten Schalen erreichen bei einer Gesamtdicke von 44 cm eine Wandstärke von lediglich 27 cm – im Stahlbeton wären 40-44 cm nötig gewesen. Die filigrane Konstruktion wird durch einen mehrschichtigen Aufbau ermöglicht, die eine Tragschale mit Carbontextil-Lagen und EPS-Füllkörpern, eine Wetterschale aus Glas- und Carbonfasern sowie eine Dämmschicht aus XPS-Material zwischen den Betonschichten umfasst.
Materialinnovation mit System
Statt Stahlstäben kommen Carbongelege zum Einsatz – kreuzweise angeordnete Faserstränge (3,63 mm²) mit 38 mm Abstand. Diese ermöglichen eine Betondeckung von nur 10 mm, da Carbon nicht korrodiert. Die Bewehrung wird im Spritzverfahren schichtweise in die Schalung integriert, wobei jede Lage nur 3-4 mm stark aufgetragen wird. Fertigungstechnische Meilensteine in der Vorfertigung stellen die Wandelemente der Box dar, die werkseitig durch automatisiertes Einlegen der Fasermatten in Betonschichten entstanden sind. Auch die Vor-Ort-Montage der TWIST-Elemente mit maßgefertigten Holzschalungen und Spritzbeton ist hervorzuheben; EPS-Blöcke dienten in diesem Zuge als verlorene Schalung. Nicht weniger wegweisend gestaltete sich die Temperatursteuerung für eine Aushärtung bei konstanten 38-40 °C und 60 % Luftfeuchte für maximale Stabilität.
Ökologische Hebelwirkung
Dank 50 % weniger Betonvolumen gegenüber Stahlbeton, 70 % reduzierte CO2-Emissionen durch Verzicht auf Zementklinker und eine erwartete Langlebigkeit von bis zu 200 Jahren dank korrosionsfreier Bewehrung konnte der Materialverbrauch signifikant gesenkt werden. Mit seiner hybriden Fassadenstruktur aus geschwungenen Carbonbetonelementen und orthogonalen Fertigteilen beweist der CUBE, wie technische Innovationen ästhetische Paradigmen verschieben. Das Projekt fungiert als Labor für zukünftige Bauaufgaben – von der Ressourceneffizienz bis zur formalen Entgrenzung architektonischer Hüllen.
CUBE, Dresden, Deutschland
Bauherr: Manfred Curbach, Institut für Massivbau der TU Dresden
Planung: HENN
Fertigstellung: 2022
Fotos: Stefan Gröschel, TU Dresden
Text: Linda Pezzei
Kategorie: Kolumnen, Sonderthema