Animal Aided Design – Die Zukunft der Architektur?

4. August 2015 Mehr

 

Vogelnester an der Fassade, Fledermäuse in Mauerritzen, Eidechsen in Vorgärten – schon seit Anbeginn der Zeit teilen sich Mensch und Tier einen Siedlungsraum. Auch heute gibt es in Städten eine große Artenvielfalt. Ob und welche Tierarten sich in städtischen Wohnquartieren ansiedeln, wird allerdings meistens dem Zufall überlassen.

 

 

Im schlimmsten Fall hat so eine mangelhafte Planung den Rückgang bestimmter Gattungen als Konsequenz – vor allem der Sperlingsbestand hat sich innerhalb der letzten Jahre in den Großstädten so stark verringert, dass sich dieser bereits auf der Vorwarnliste gefährdeter Arten befindet. Die Verdrängung passiert in der Regel aus Versehen, sie ist auf die Unwissenheit der Planer zurückzuführen. Dieser Tendenz wollen Dr. Thomas E. Hauck und Prof. Wolfgang W. Weisser mit dem so genannten Animal Aided Design jetzt entgegenwirken.

 

Mit naturnahen Elementen die Artenvielfalt in Städten erhöhen

Immer öfter greift die Architektur der heutigen Zeit auf Elemente aus der Natur zurück, um die Lebensqualität der Menschen zu erhöhen. Tiere sind in jeder Siedlung vertreten. Trotzdem spielen diese in der Stadt- und Grünraumplanung bisher eine untergeordnete Rolle. Unter dem Begriff Animal Aided Design werden architektonische und stadtplanerische Maßnahmen, welche den Lebensraum der Tiere in die Gestaltung von Bauobjekten integrieren, verstanden. Nicht nur Aufenthaltsbereiche für verschiedenste Lebewesen sollen dadurch geschaffen, sondern gleichzeitig kann so der Siedlungsraum des Menschen zu dessen Vorteil modifiziert werden. Eine Förderung der Biodiversität in Städten hat laut Dr. Hauck nämlich positive Auswirkungen auf das Wohlbefinden der Bewohner. Durch den Bau begrünter Fassaden, die als Nistplätze für diverse Vogelarten infrage kommen, wird zusätzlich das Klima im urbanen Bereich reguliert. Auch von der Anlegung weitläufiger Grünflächen profitieren Mensch und Tier gleichermaßen.
Um die Artenvielfalt in Städten zu fördern, gilt es, Architekten für die Bedürfnisse von Tieren zu sensibilisieren. Die Konzeptidee von Hauck und Weisser verlangt den verantwortlichen Personen auf den ersten Blick natürlich ein großes Maß an Planung ab. Immerhin muss sich eine Fachkraft im Vorfeld dafür entscheiden, welche Tierarten im Ortsbild vertreten sein sollen. Hierbei ist ebenfalls zu prüfen, ob die jeweilige Umgebung für die gewünschten Gattungen als Lebensraum geeignet ist. Das Tiervorkommen darf also nicht dem Zufall überlassen werden. Um Fachkräfte bei diesem Prozess zu unterstützen, stellen Hauck und Weisser eine kostenlose Informationsbroschüre zur Verfügung. In dieser finden sich nicht nur genaue Beschreibungen bestimmter Tierarten, sondern auch Vorschläge zur Umsetzung des Animal Aided Design.

 

Ein unentbehrliches Konzept für die moderne Stadtentwicklung?

Die Gefahr besteht darin, dass Animal Aided Design in der Architektur vordergründig als Einschränkung angesehen wird. Eine genaue Auseinandersetzung mit den jeweiligen Tierarten ist vor Realisierung eines Entwurfs natürlich Voraussetzung. Zusätzlich ist darauf zu achten, dass der Mensch den Lebensraum des Tieres nicht stört. Nur so kommt ein Konzept, das von Dauer ist, zustande. Allerdings zeigen die Beispiele der beiden Wissenschaftler, dass die Rückkehr zur Natur für die Planung auch als Inspiration dienen kann. Was einer möglichst genauen Vorbereitung bedarf, lässt sich in der Praxis nämlich einfach umsetzen. Schon kleine, kostengünstige Maßnahmen helfen, einen angemessenen Lebensraum für Tiere zu schaffen. Durch die Einpflanzung langer Gräser kann beispielsweise ein geschützter Bereich für kleine Vogelarten, wie den Haussperling, entstehen. Erfahrungen aus der Vergangenheit verdeutlichen sogar, dass teure Vorgehensweisen weitgehend ineffizient und damit überflüssig sind. Insbesondere von aufwendigen Umsiedlungen, die auch heute noch eine Konsequenz vieler Bauprojekte darstellen, rät Weisser ab. Wird nämlich die Verlegung des Wohnortes einer Tierart forciert, ist nicht klar, ob die Lebewesen sich an die Bedingungen des neuen Umfeldes anpassen und dort auch auf Dauer überleben. Doch obwohl Animal Aided Design für die Natur von Vorteil ist, stellt die Idee keinen klassischen Naturschutz, sondern eine Ergänzung desselben dar. Für den Menschen gefährliche Tierarten wie Wölfe und Bären lassen sich selbstverständlich nicht im urbanen Bereich einquartieren – ein Allheilmittel ist die Vision demnach nicht. Einen Nachteil stellt zurzeit die noch fehlende Umsetzung des tierfreundlichen Konzeptes dar. Die Langzeitwirkungen der Idee konnten so bisher nicht beobachtet werden.
Wolfgang Weisser leugnet nicht, dass es im Zuge der Realisierung der naturnahen Wohnhausgestaltung zu Problemen kommen könnte. „Mut zum Experimentieren“ sollten Bauträger und Kommunen, die sich an die Umsetzung des Animal Aided Design herantrauen, somit schon mitbringen.

 

Utopische Ideologie oder zukunftsweisende Richtlinie?

Experten stellt sich dabei natürlich die Frage, ob die aktive Integration von Tieren in Bauobjekte auch einen langfristigen Nutzen für die Stadt verspricht. Eine der größten Herausforderungen bei der Umsetzung jener Konzeptidee besteht darin, sich Wissen über die idealen Lebensbedingungen der einzelnen Tierarten einzuholen – Information, die zurzeit oft nur mangelhaft vorhanden ist. Dies gilt insbesondere dann, wenn gewünscht ist, dass sich eine bestimmte Gattung dauerhaft im Stadtraum ansiedelt. Konzeptbeispiele für London, München und Berlin zeigen auf, dass die Idee des Animal Aided Design durchaus umsetzbar ist. Die Wissenschaftler wählten als Testprojekt unter anderem eine in den 1960er-Jahren errichtete Siedlung in München Neuhausen aus. Am Beispiel dieser verdeutlichen Hauck und Weisser, wie mit einer „betierten“ Häuserfront ein adäquater Aufenthaltsbereich für den Haussperling geschaffen werden kann. Doch nicht nur mit Fassaden, sondern auch durch Bäume, Sträucher, Sandplätze und große Grünflächen lassen sich Areale entsprechend den Bedürfnissen der tierischen Bewohner anpassen. Um Anregung für die Gestaltung eines Lebensraums für nachtaktive Arten zu schaffen, entwickelten die Wissenschaftler zusätzlich ein Konzept für einen „Nachtpark“ in Berlin. Als Ort des Entwurfes dient der Generalszug von Peter Joseph Lenné. Die begrünte Allee soll durch Ansiedlung bestimmter Tiere wie der Fledermaus, dem Rotkehlchen und der Nachtigall zu einem Erlebnisweg für nächtliche Spaziergänger umgestaltet werden. Passanten kommen dabei sowohl in den Genuss visueller als auch akustischer Reize. Diese Vorschläge verdeutlichen, dass die Idee von Hauck und Weisser nicht nur vielversprechend klingt, sondern durchaus umsetzbar ist.

Was jetzt noch fehlt, ist die Anwendung von Animal Aided Design in der Praxis. Ob eine Fusion des Lebensraums von Mensch und Tier tatsächlich hält, was sie verspricht, wird sich aber schon in absehbarer Zeit zeigen. Derzeit gibt es laut Weisser und Hauck erste Gespräche mit Bauträgern in München und Ingolstadt, wo im Zuge größerer Bauprojekte ein Lebensraum für kleinere Tierarten geschaffen werden soll. Bei den ersten Umsetzungen werden Planer außerdem abschätzen können, ob sich Animal Aided Design in Zukunft auf Projekte in Großstädten wie Wien anwenden lässt; Gelegenheit und Fläche zum Experimentieren gäbe es zur Genüge.

 

Text: Dolores Stuttner

 

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Kategorie: Architekturszene, Kolumnen