Architektur hält uns am Boden – Architekt D. Feichtinger
Architekt Feichtinger ist ein sehr nachdenklicher Mensch, der nicht so schnell mit Definitionen und Festsetzungen zur Hand ist. Schließlich gab er uns doch seinen persönlichen Wunsch zur Architektur preis.
Herr Architekt Feichtinger, was ist für Sie Architektur?
Es ist eine sehr essenzielle Frage, schwierig ist vor allem, das nicht auf mich persönlich zu reduzieren. Dann stellt sich die Frage, ob „alles Architektur ist“, oder nur das Sakrale, das Museale, das Besondere, das Abgehobene. Da der Fächer sehr breit ist, muss man zuerst fixieren, worüber man spricht.
Wohnbau und Kirchen sind doch auch Architektur?
Eine gute Frage, aber wie definieren wir das Bauen, wie definieren wir unsere Arbeit? Wie anspruchsvoll betrachten wir den Begriff Architektur?
Jetzt könnte man meinen, dass Architektur erst beginnt, wenn man einen gewissen sentimentalen Wert empfindet – da muss man aber vorsichtig sein, denn die objektive Qualität der Architektur ist sehr umstritten.
Was würden Sie denn als eine objektive Qualität für „gute“ Architektur nennen? Gibt es das?
Offensichtlich gibt es so etwas nicht. Für mich ist Architektur sehr stark mit Wohlbefinden und Atmosphäre verbunden, das bedeutet aber in einem Museum oder einer Kirche ganz andere Ansprüche. In einer Kirche muss man sich nicht unbedingt „wohlfühlen“. Dort sucht der Mensch vielleicht nach einer Atmosphäre, die ihn aus seinem Alltag entfremdet.
Als gute Architektur würde ich bezeichnen, wenn sich die verschiedensten Randbedingungen, die sich an ein Bauwerk stellen, optimal erfüllen. Die Einbindung des Bauwerks in sein Umfeld, die Beziehungen, welche das Bauwerk schaffen kann, die Gebrauchstauglichkeit, die haptischen und materiellen Qualitäten, die Kohärenz und seine Angemessenheit.
Gibt es eine Grenze zwischen Architektur und Landschaft?
Auf jeden Fall, der architektonische Eingriff ist immer ein willkürlicher Eingriff in die Natur, in den Umraum. Das verlangt eine Auseinandersetzung, denn das ist eine kulturelle Handlung. Man schafft durch diese Tätigkeit ein Objekt, das als Architektur eingeordnet werden kann. Für mich existiert eine ganz klare Abgrenzung zwischen natürlichem und gebautem Raum.
Kann Architektur ohne Beziehung zum Umraum, ohne Kontext gebaut werden?
Das wird nicht funktionieren. Das ist einer der großen Unterschiede zwischen der bildenden Kunst und der Architektur. Architektur wird immer in einem Kontext geschaffen.
Haben große, internationale Bankbauten noch einen Bezug zum Kontext, oder ist das eher Marketing, Werbung?
Man kann nicht behaupten, dass sie keinem Kontext unterliegen. Es ist ja auch der Kontrast zum Kontext oder die Negierung eine Beziehungsstruktur, die man in so einem Fall entwickeln kann. Dieser Bezug muss nicht immer harmonisch, er kann auch konträr sein.
Soll Architektur provozieren?
Nicht unbedingt, aber sie kann. Ich will daraus kein Dogma entwickeln. Vielleicht ist sie auch Werbung, aber auch Werbung kann über Architektur funktionieren. Sobald sie den gebauten Raum beeinflusst, ist es sehr einfach, auch ein fremdes Objekt als Bestandteil einer Umwelt zu erleben.
Hat Architektur die pädagogische Aufgabe etwas zu verändern?
Beim Schulbau kann Architektur sicher mehrschichtig dazu beitragen, bewusste Beziehungen zur Umwelt aufzubauen. Das Wohlfühlen in den Räumen und gute Belichtung sind hier not. Beim Sakralbau (als Kontrastprogramm) ist das anders. Da kommt es weniger auf die gute Belichtung, sondern auf die spezifische Lichtführung an.
Was soll Architektur erzielen?
Architektur soll Freiräume schaffen, Lebensräume gestalten, sie kann aber auch als eine Art Bühne im Hintergrund wirken, auf der sich das Leben abspielt. Die gebaute Umwelt soll den Menschen Möglichkeiten der Entfaltung bieten. Je besser sie das kann, desto besser ist die Architektur. In diesem Sinne ist für mich Architektur eher Hintergrund als Vordergrund. Es gibt immer wieder die Diskussionen um Museumsbauten, die so präsent sind, dass die ausgestellten Objekte in den Hintergrund treten. Da ist vielleicht bis zu einem gewissen Grad das Thema verfehlt. Das ist aber nicht generalisierend festzustellen, denn solche Architekturen beleben auch wiederum Stadträume und stimulieren sie.
Welche Tendenzen sehen Sie in der Entwicklung der Architektur?
In unserer Gesellschaft geht es mehr um das Werkzeug, als um den Inhalt. Die Parametrisierung, als momentane Richtung, ist sehr stark steuerbar. Wir entwickeln uns in der Art, wie wir unsere Werkzeuge entwickeln. Früher Wände aus Stampflehm, heute aus Stahlbeton und Glas. Ich glaube nicht, dass in Zukunft Maschinen und Computer unsere Architektur bestimmen werden. Denn die Kriterien und Parameter geben immer noch die Menschen ein.
Welche Werte setzen Sie ein, um Architektur zu begründen: Nachhaltigkeit, soziale, ästhetische …?
Schön wäre es, alles zusammen zu schaffen und dass sich die Hierarchie der Kriterien, je nach Bauaufgabe verschiebt. Mein persönlicher Ansatz liegt in einer starken Materialität, in einer Wahrhaftigkeit im Bauen, in einer Naturhaftigkeit und in einer Lesbarkeit in einer Welt, die sehr stark von Bildern geprägt ist. Man muss schon oft ein Experte sein, um noch etwas zu verstehen. Ich finde, dass Architektur das Mittel ist, um uns am Boden zu halten, zu erden und uns Halt zu geben. Das ist mein Wunsch an die Architektur!
Passerelle Simone de Beauvoir
Fotos:©DFA
Text:©Peter Reischer
Kategorie: Kolumnen