Architektur muss man über Lebensräume definieren – DI Drlik

2. Januar 2019 Mehr

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DI Dr. Stephanie Drlik leitet lapropos, ein Büro zur Vermittlung und theoretischen Auseinandersetzung mit Landschaftsarchitektur (www.lapropos.at). Drlik hat im Bereich der Nachhaltigen Entwicklung und Klimawandelanpassung promoviert und ist seit 2016 Geschäftsführerin der ÖGLA (Österreichische Gesellschaft für Landschaftsarchitektur) und Projektleiterin des HAUS DER LANDSCHAFT
(www.hausderlandschaft.at). Für Stephanie Drlik geht es immer um die konstruktive Auseinandersetzung mit Landschaft und die Schaffung zukunftsfähiger Städte. Das Gespräch mit ihr über Lebensräume war (aufgrund der schlechten Telefonverbindung) kurz aber aufschlussreich und lässt Erwartungen offen.

Foto:©OEGLA

 

Frau Dr. Drlik, Sie befassen sich sehr stark theoretisch mit Architektur und Landschaft, schreiben auch viele Texte dazu, wie ist Ihr Zugang zur Architektur?

Ich denke, dass man zeitgemäße Architektur nicht nur über Gebäude definieren darf. Architektur schafft Lebensräume und das schließt die gesamte gebaute Umwelt ein. Gebäude und Außenraum verschmelzen zu Lebensräumen. Heute leben wir mehrheitlich in urbanen Räumen, deshalb gewinnt die Stadt für den Architekten und die planenden Berufe an Bedeutung.

Wie sehen Sie die Entwicklung, dass die Stadt immer mehr Raum in unserer Welt einnimmt?

Ich stehe dieser Tatsache weder positiv noch negativ gegenüber – es ist einfach so. Die Entwicklung wird sich fortsetzen, Städte sind die Zukunft unserer Welt und mit dieser Tatsache müssen wir uns auseinandersetzen. Nicht nur die Architekten und Stadtplaner, sondern alle, die im weiteren Umfeld beteiligt sind. Die komplexen Aufgaben, die sich uns heute in den Städten und im globalen Wandel stellen, kann man nur lösen, wenn man interdisziplinär, kooperativ und kollaborativ arbeitet. Wir müssen einfach lernen, besser zusammenzuarbeiten.

Der von Ihnen prognostizierte Wandel (Städte sind die Zukunft) bedeutet aber auch einen sehr großen sozialen, gesellschaftlichen und kulturellen Wandel. Wie sehen Sie diese soziale Umschichtung bei der Tatsache der Migration im Hinblick auf das Ankommen fremder Menschen in den europäischen Städten?

Veränderungen, ob sozial, ökologisch oder klimatisch hat es immer gegeben, nur läuft heute alles viel schneller und irreversibler ab. Die Umbrüche sind so einschneidend, dass man sie nicht einfach passieren lassen kann, sondern unterstützend steuern muss. Ich habe keine Angst vor der Zukunft, denn ich denke, dass sie sehr viele Chancen mit sich bringt. Der Klimawandel ist natürlich eine riesige Herausforderung, der soziale Wandel eine ebenso große, aber hier sehe ich extrem viel Potenzial, dass sich unsere Gesellschaft, unsere Kultur über den eigenen Tellerrand hinaus entwickeln und erweitern kann. Dabei spielen wir Planer eine einflussreiche Rolle.

 

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Bäume und Alleen in Wien, STEP Fachkonzept Grün-und Freiraum – Foto:©Knollconsult

 

In welche Richtung sollte sich die Architektur im Hinblick auf den Klimawandel entwickeln?

Wir müssen mit größeren, dichteren urbanen Agglomerationen umgehen lernen. Wenn Städte dichter und größer werden, müssen wir darauf achten, Ausgleichsflächen zu schaffen und die sollten idealerweise grün sein. Denn der Klimawandel wirkt als Katalysator, der alles, was in der Stadt ohnehin schon ausgeprägt auftritt – Hitze, Enge, soziale Probleme – noch extremer macht. Die Architektur muss die grüne Infrastruktur, die es als Ausgleich braucht, mitdenken. Damit meine ich nicht nur Dach- und Fassadenbegrünungen, sondern großflächige, freiräumliche Planungslösungen. Wir müssen in Stadtmaßstäben denken und schon in der städtebaulichen Masterplanung, im übergeordneten Entwurf, Grünstrukturen mitdenken. Als Verfechterin eines landscape-urbanism wünsche ich mir, grüne Strukturen zu schaffen, bevor Städte entstehen. Das heißt: Zukunftsfähige Städte wachsen an grünen Strukturen!

Das bedeutet ein komplettes Umdenken in der Politik, in der Raumplanung?

Die Politik trägt hier eine sehr große Verantwortung, sie muss nicht nur eine Vorreiterrolle spielen, sondern ihre Verantwortung aktiv wahrnehmen und in städtebaulichen Prozessen steuernd und regulierend den Planern zur Seite stehen.
Am Anfang ist der Ruf nach „Grün“ immer sehr groß, alle wollen grün. Wenn es dann an das Zahlen geht, dann hapert es oft – dann braucht es einen starken Partner vonseiten der Stadt, der Kommune oder der Region, damit die getätigten Versprechungen dann auch eingehalten werden.

 

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Wientalterrasse von Tillner & Willinger als ein gutes Beispiel für mögliche Freiräume in der Stadt. Foto:©Drlik

 

Wie soll diese geistig-ideologische Änderung in der Gesellschaft, in der Politik passieren? Wo sollen diese andersdenkenden Menschen herkommen? Die sind heute weit und breit nicht in Sicht.

Ich glaube, dass es nicht so sehr eine ideologische Frage ist – es hängt vieles am Geld und an fehlenden Auftraggebern, die bereit sind in den Außenraum zu investieren.

Welche Wunschvorstellung haben Sie an die Architektur?

Naturgemäß eine sehr grüne! Aber nicht weil ich so ein Pflanzenfan bin, sondern weil ich glaube, dass es ökosystemisch und auch sozial höchst erforderlich ist, dass wir Grünstrukturen als Ausgleichsflächen in unseren gebauten Lebensräumen vorfinden. Anders wird die Dichte, die momentan gebaut wird, nicht qualitätsvoll einlösbar sein. Und natürlich legen auch wir Landschaftsarchitekten hohen Wert auf den ästhetisch kreativen Aspekt unserer Arbeit. Wir möchten nicht nur Ökoflächen herstellen, sondern durch kreative Entwürfe und moderne Planungsprozesse einen wesentlichen Beitrag zur heimischen Baukultur leisten.

 

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Vogt Landschaftsarchitekten– Kornmarktplatz, Bregenz – Foto:©Darko Todorovic

 

Was halten Sie von der Vision einer Architektur, die im kompletten Einklang mit der Natur steht, die sich (laut Spinoza) aus der Natur heraus entwickelt?

Der Gedanke ist schön, doch wir schaffen momentan Städte, die rasant wachsen. Ganze Stadtteile werden in kürzester Zeit künstlich entwickelt. Das sind sozial und ökologisch komplett artifiziell hergestellte Lebensräume. Etwas aus der Natur heraus zu entwickeln ist in diesem Setting schwierig. Ich halte diese Vision im urbanen Raum für kaum möglich. Aber es gibt unzählige andere Möglichkeiten, wie man Natur in den städtischen Lebensraum integrieren kann. Und das kann über die klassischen Typologien, wie dem grünen Balkon oder dem Quartierspark weit hinausgehen. Gerade in Großstädten gibt es noch viele interessante Potenzialflächen zur Nutzbarmachung von Grünraum. In Wien etwa ist in den vergangenen Jahren viel im Bereich des Wienflusses passiert. Durch die Revitalisierung des Flussbetts wurde der Bevölkerung ein wunderbares Nah­erholungsgebiet wieder zugänglich gemacht. Und Projekte wie die Wiental-Terrasse schaffen im dichtest bebauten Stadtgebiet neuen Freiraum. Das wohl bekannteste Beispiel einer solchen Grünraumschaffung ist der High-Line-Park in New York. Solche Möglichkeiten gibt es in jeder Stadt. Was es jedoch nicht in jeder Stadt gibt, sind die Visionäre, die solche Projekte initiieren und finanzieren.

 

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Donaupark Wien – Foto:©Klaus Pichler

 

Text:©Peter Reischer

Kolumne PEOPLE Teil 12

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Kategorie: Architekten im Gespräch, Kolumnen