Das Wiener Planquadrat – Wiener Architekturgeschichte im Verborgenen

25. Mai 2017 Mehr

Grünraum durch Bürgerbeteiligung

Vor mehr als 40 Jahren startete das erste partizipative Projekt zur Stadterneuerung in Wien. Seinen Anfang nahm es im Jahr 1974, als die Filmschaffenden Elisabeth Guggenberger und Helmut Voitl eine Sendung über Probleme in der Wiener Stadtentwicklung am Beispiel eines Häuserblocks drehen wollten. Die beiden Medienexperten beschränkten sich im Zuge ihrer Dokumentation nämlich nicht nur darauf, die Bewohner des Wohnblocks zu ihrer Situation zu befragen, sondern sie informierten die Bevölkerung auch darüber, wie sie ihre Lage verbessern konnten.

Infolgedessen schlossen sich die Menschen zusammen, um ihre Probleme selbst in die Hand zu nehmen und Pläne zur Umgestaltung des von Wohnhäusern umschlossenen, verwahrlosten Innenhofs zu schmieden. Als Ergebnis dieser Zusammenkunft wurde mitten in der Stadt eine Oase im dicht bebauten Stadtgebiet des 4. Wiener Gemeindebezirks realisiert. Neben Wiesenflächen, die Besuchern zum Picknicken zur Verfügung stehen, schmücken heute zahlreiche Spielgeräte und eine große Sandkiste diesen sogenannten Planquadrat-Garten. Ebendieser Park steht weder ausschließlich den Anrainern noch zur Gänze als öffentliche Grünfläche zur Verfügung. Jeder, der die Durchgänge von der Preßgasse oder der Margaretenstraße aus passiert, hat zum Stadtgarten Zutritt. Ein Aspekt, der den Planquadrat-Garten von einem öffentlichen Park unterscheidet und daher für die Stadtplanung so interessant macht, ist die Tatsache, dass die Bewohner des selbstständig agierenden Gartenhof-Vereins für die Instandhaltung und Pflege des Hofs selbst zuständig sind.

 


Ein Stück Wiener Architektur­geschichte im Verborgenen
Ganze 5.000 m² misst die Grünfläche, die sich mitten in der Stadt in unmittelbarer Nähe zum Wiener Naschmarkt versteckt. Der Park selbst ist von hohen Wohnhäusern, die als Lärmschutzwände dienen, umgeben. So merkt der Besucher nur wenig vom starken Kfz-Verkehr der angrenzenden Margaretenstraße. Auflockernd wirken an den zum Teil eintönig grauen Wänden der Wohnhäuser Schlingpflanzen an den Fassaden und große Platanen im Innenhof.

Auf den ersten Blick fällt gar nicht auf, dass es sich bei dem Park um einen wichtigen Bestandteil der Wiener Stadterneuerungsgeschichte handelt. Heute erinnert lediglich eine kleine Tafel an die Entstehung und Bedeutung des Parks. Immerhin ist der Stadtgarten ein Beispiel gelungener partizipativer Stadtplanung. Die Grünfläche wurde nicht nur aktiv durch die Bewohner der umliegenden Häuser geplant und gestaltet, sondern bis heute von diesen erhalten. Nicht zuletzt ist das Konzept auch deshalb so besonders, weil dieses auch heute – mehr als 40 Jahre nach dessen Realisierung – immer noch funktioniert. Betreut wird der Park seit 1977 vom Gartenhof-Verein, wobei sich dieser durch die freiwilligen Beiträge der Mitglieder finanziert.
Der Planquadrat-Garten ist ein gelungenes Beispiel dafür, dass große Grünflächen selbst in sehr dicht verbauten Gebieten der Stadt realisiert werden können – dem Mangel an Parks und Natur kann auf diese Weise nicht nur effizient, sondern auch dauerhaft entgegengesteuert werden. Diese Tatsache macht die Grünfläche zu einem Musterbeispiel einer gelungenen Bürgerbeteiligung, die seit über 40 Jahren funktioniert.
Mehr öffentliches Grün für Wien
Wien stellt in puncto Frei- und Grünflächenplanung im internationalen Vergleich eine Musterstadt dar – der Grünraum macht 51 %
der Stadtfläche aus. Trotzdem besteht in einigen Bezirken noch Verbesserungsbedarf. Ein Großteil der Grünflächen entfällt nämlich auf den Wienerwald am Stadtrand sowie auf private Hausgärten. Vor allem in den Grätzeln innerhalb des Gürtels ist ein Mangel an öffentlichem Grün zu verzeichnen. Dies gilt auch für Wieden – den Geburtsort des Planquadrat-Gartens. Der 4. Wiener Gemeindebezirk liegt südlich der Inneren Stadt und zählt zu den inneren Bezirken und somit zum erweiterten Stadtzentrum Wiens. Kennzeichnend für diesen Stadtteil ist der geringe Anteil an Grünflächen, die lediglich 6,56 % der Gesamtfläche einnehmen – im Vergleich dazu nehmen die Verkehrsflächen mehr als 26 %
des Bezirks ein. Auf der Wieden sind zudem weder Kleingärten noch Sport- und Freizeitflächen vorhanden. Die anderen innerstädtischen Bezirke weisen ähnliche Zahlen auf. Ein halböffentlicher Stadtpark wie der Planquadrat-Garten im Hof eines Wohnbaus könnte ein Lösungsansatz für das Problem des mangelnden Grünraums in Großstädten sein. Dies gilt vor allem unter dem Gesichtspunkt, dass sich die Realisierung von zusätzlichem Grünraum in den historischen Stadtteilen häufig als problematisch erweist. Ungenutzte und unversiegelte Flächen stehen in jenen Bezirken nämlich nur begrenzt zur Verfügung. Ein halböffentlicher Stadtgarten, der zusätzlich als Begrünung eines Innenhofes dient, ließe sich dahingegen selbst in bereits dicht verbauten Gebieten realisieren. Begrünte Innenhöfe sind in Wien zwar relativ häufig anzutreffen – über 144 Hausdurchgänge befinden sich heute in Wien. Ein privates Gebäude, das über solch einen öffentlichen Durchgang verfügt, ist in der Hauptstadt Österreichs auch als Durchhaus bekannt. Zumeist wird ein solches Bauwerk durch zwei parallele Straßen verbunden. In den Durchgängen befinden sich oftmals Lokale, größere Plätze oder Geschäfte, welche diesem Abschnitt mitunter Aufenthaltsqualitäten verleihen. Im Gegensatz zum Planquadrat-Garten werden diese Bereiche aber nicht von den Bewohnern der angrenzenden Wohnhäuser, sondern von der Stadt instand gehalten.

 

Planquadrat

Stadtplanung als aktiver Beteiligungsprozess schafft Lebensqualität

 

„Dem Recht des Einzelnen auf Zugehörigkeit zur Gemeinschaft entspringt zugleich eine Verantwortung, gemäß seiner Position und seinen Fähigkeiten einen Beitrag zur Erhaltung und zur Erneuerung der Gemeinschaft zu leisten.“ Dieses Zitat der Politikerin Astrid Rössler verdeutlicht, wie gezielte Beteiligungsprozesse im Stadtraum zu einem harmonischen Miteinander beitragen können. In einer wachsenden und dicht verbauten Stadt steigt seitens der Bevölkerung neben dem Bedürfnis nach Grünräumen oftmals auch der Drang zur Mitbestimmung der knappen Flächen – für die Lebensqualität der Menschen sind Freiräume als Ort der Selbstverwirklichung deshalb von großer Wichtigkeit. Vor allem unter diesem Gesichtspunkt ist es schade, dass das Modell des Planquadrat-Gartens nie in Serie ging. Natürlich stellt sich aus planerischer Sicht die Frage, ob die Umsetzung und Erhaltung eines Parks dieser Größenordnung durch Beteiligungsprozesse in Wien auch heute möglich wäre. Bürgerbeteiligung ist bei der Umsetzung städtebaulicher Projekte in Wien mittlerweile ein häufig angewendetes Instrument. Allerdings wird der Bevölkerung nach der Fertigstellung von Planungsvorhaben nur wenig Autonomie bei der Gestaltung öffentlicher Räume gewährt. Nach dem Vorbild des Planquadrat-Gartens könnte die Stadt Wien hier ansetzen, um der Bevölkerung nicht nur mehr Grünräume zur Verfügung zu stellen, sondern auch freie Hand bei der Nutzung derselben zu lassen.

 

Text und Fotos: ©Dolores Stuttner

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Kategorie: Architekturszene