Der öffentliche Raum – ein knappes Gut
Im Angesicht der fortschreitenden Landflucht erweist sich in vielen Metropolen nicht nur Wohnungsknappheit als Problem. Großstädte mit wachsender Bevölkerung stehen heute auch vor der Herausforderung, auf ihren Plätzen und Straßen für die Aufenthalt- und Lebensqualität ihrer Bewohner zu sorgen. Eine schwere Aufgabe, denn zu bedenken gilt, dass diese Räume den unterschiedlichen Bedürfnissen der Akteure gerecht werden müssen. Auch in Wien stieg die Bevölkerung in den letzten Jahrzehnten stark an, während die Zahl der öffentlichen Flächen vor allem in innerstädtischen Gebieten nur schwer erweiterbar ist. Um Konflikten der verschiedenen Nutzergruppen und Verkehrsteilnehmer entgegenzuwirken, muss die Planung bei der Gestaltung der knapp bemessenen Straßen und Plätze kreative, aber vor allem sozial verträgliche Lösungen finden.
Die ungerechte Raumverteilung als Herausforderung
Für Wohlbefinden sorgt in einer Stadt nicht nur der Grünraum. Auch Straßen und Plätze, aber gleichermaßen Gebäude wie Museen bis hin zu Durchgängen stehen der Bevölkerung als gemeinschaftlich nutzbares Gut zur Verfügung. Erst diese Areale machen die Stadt aus und definieren diese. Mit den steigenden Bevölkerungszahlen weisen Siedlungsgebiete eine immer größere Dichte auf, wodurch sich eine immer größere Zahl an Menschen denselben Raum teilen muss – dies betrifft sowohl die inneren als auch die äußeren Bezirke. Kann die Stadt den unterschiedlichen Bedürfnissen der Bewohner nicht gerecht werden, sind Konflikte vorprogrammiert. Gültigkeit hat dies auch in Bezug auf die verschiedenen Verkehrsteilnehmer. Denn nicht nur auf den Gehsteigen und Plätzen, sondern auch auf den Straßen wird es immer enger. Trotz der Tatsache, dass der Motorisierungsgrad, also die Zahl der Fahrzeuge pro Person, vor allem in den inneren Bezirken rückläufig ist, nimmt die Anzahl der PKW im Stadtraum insgesamt zu. Begründet liegt dies einerseits im Bevölkerungswachstum und andererseits darin, dass in den letzten Jahren eine große Zahl an Firmenwagen angemeldet wurde. Gemäß Statistik Austria lag der Kraftfahrzeugbestand im Jahr 2016 in Wien bei rund 860.000 Fahrzeugen, was fast der Hälfte der Einwohner entspricht. Im Gegensatz zum Menschen braucht ein PKW aber sehr viel Platz – dies gilt auch dann, wenn das Auto abgestellt wurde. Auch heute noch werden Freiflächen großen Stellplatzanlagen geopfert. Zu einer gerechten Raumverteilung trägt dieses Vorgehen nicht bei.
Ein weiteres Hindernis stellt vielerorts die Planungshierarchie dar. Der öffentliche Raum war schon immer an die Architektur gebunden, wobei hier eine starke Wechselwirkung stattfindet – dies gilt insbesondere für Stadtstraßen. Vor allem in jungen Wohngebieten findet die Gestaltung und Planung derselben erst nach der Fertigstellung der Gebäude statt. Als Konsequenz werden jene Bereiche von den Architekten und Raumplanern als Zwischenräume angesehen und finden nicht die notwendige Beachtung, wodurch es häufig zu einem Verlust an wertvollem, potenziell attraktivem Stadtraum kommt. Aber viele Städte – darunter auch die Stadt Wien – haben bereits erkannt, dass sich der öffentliche Raum und insbesondere Grünflächen nicht beliebig erweitern lassen. Die Hauptstadt Österreichs sieht sich mit dem Problem konfrontiert, dass zwar rund 46 Prozent der Fläche in der Großstadt als Grünraum ausgewiesen, aber nur sieben Prozent davon wirklich nutzbar sind. Hinzu kommt eine hohe Konzentration der betreffenden Areale, die dann zwar oft großflächig vorhanden, aber räumlich auf einzelne Bezirksteile beschränkt sind. Hiervon profitieren zwar die Menschen, die in der Nähe des Grünraums wohnen, für die übrige Bevölkerung haben diese Flächen aber nur bedingten Mehrwert.
Der richtige Umgang mit einem knappen Gut
Gemäß einer Studie der Hochschule Luzern erfährt der öffentliche Raum seitens seiner Nutzer eine hohe Wertschätzung. Städte sollten daran arbeiten, diese Eindrücke zu erhalten oder sie zu stärken. In erster Linie gilt es, Widersprüchlichkeiten und eine gewisse Diversität bei der Nutzung öffentlicher Räume zu akzeptieren. Immerhin gehört eine, zum Teil unvorhersehbare Dynamik zum städtischen Leben und ist Kennzeichen einer facettenreichen Gesellschaft. Des Weiteren leben Siedlungsgebiete von der sozialen Interaktion – ein Aspekt, der auch von den Nutzenden äußerst hoch bewertet und als wichtig angesehen wird. Lösungsansätze der Hochschule Luzern besagen, dass bei der Gestaltung öffentlicher Räume stets die Logik des betreffenden Ortes mit dem damit verbundenen Hintergrundwissen mit einbezogen werden soll. Ebenso erweist sich in Bezug auf die Ausgestaltung öffentlicher Plätze eine transparente und partizipative Planung als sinnvoll. Experten können dies sowohl durch das Einbeziehen der Bevölkerung als auch mit einem interdisziplinären Vorgehen erreichen. Da in einer Stadt aber vor allem der Platz auf der Straße begrenzt ist, sind die beschriebenen Ansätze auf diesen Raum anzuwenden. Wichtig ist dabei, dass die Planung bei einer „gerechten Aufteilung“ des Straßenraums den Menschen als Passant in den Vordergrund stellt. Damit auch hoch frequentierte Straßenabschnitte von mehreren Verkehrsteilnehmern sicher genutzt werden können, sind Maßnahmen zur Verkehrsberuhigung sinnvoll. Hierbei kann es sich beispielsweise um die Errichtung von Mittelinseln, oder aber um das Anbringen von Abstandsgrün sowie eine Realisierung von Fahrradwegen handeln.
Wer braucht den öffentlichen Raum?
Das Bedürfnis nach öffentlich nutzbaren Flächen in unmittelbarer Nähe zur Wohnung besteht vor allem in Bevölkerungsgruppen, deren Aktionsradius stark eingeschränkt ist. Hierzu zählen unter anderem Kinder und Jugendliche, ältere Personen, Jungfamilien, Menschen mit Behinderung sowie sozial benachteiligte Personengruppen. Ebendiese Gruppen sind auf Stadt- und Erholungsräume im unmittelbaren Umkreis ihrer Wohnung angewiesen. Darum erweist es sich als Notwendigkeit, die öffentlichen Plätze im Bestand zu verbessern oder diese gar ganz neu zu schaffen. Dieser Raum muss bereits während der Planungsphase als wertvolles Gut behandelt und entsprechend ausgestaltet werden. Nur so ist dafür gesorgt, dass dieser die Bedürfnisse unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen erfüllt und diesen ohne zeitliche Beschränkung zur Verfügung steht.
Ein junges Positivbeispiel stellt diesbezüglich der Rudolf-Bednar-Park mit einer Größe von 31.000 Quadratmetern am ehemaligen Nordbahnhofgelände im 2. Wiener Gemeindebezirk dar. Das nach der Park-Planungsrichtlinie der Wiener Stadtgärten errichtete Gelände bietet nicht nur Grünraum mit Aufenthaltsbereichen, sondern auch Spielplätze, frei nutzbare Fitnessgeräte und eine Halfpipe. Die große Fläche grenzt gleich an mehrere Wohnhäuser an und ist außerdem vom PKW-Verkehr abgetrennt. Diese Eigenschaften machen das Areal zu einem sicheren Aufenthaltsbereich, auf dem Menschen unterschiedlicher Altersgruppen den Vorteil des Freiraums inmitten der Stadt erleben können.
Die Wichtigkeit der Attraktivität
Damit das öffentliche Angebot einer Stadt genutzt wird und seinen Beitrag zur Lebensqualität leistet, muss dieses auf die Bevölkerung einladend wirken. Doch wodurch zeichnet sich diese sogenannte Attraktivität aus? Soll der öffentliche Raum genutzt und zum viel zitierten „Wohnzimmer der Stadt“ werden, muss dieser Aufenthaltsqualitäten bieten. Dies bedeutet unter anderem eine räumliche und gleichzeitig akustische Abgrenzung vom Straßenverkehr. Als natürliche Grenzen können hierbei Häuserfronten, aber auch höhere Bepflanzung dienen. So lassen sich auch in dicht besiedelten Zonen Plätze mit hoher Attraktivität realisieren. Auch frei zugängliche, als sicher empfundene Aufenthaltsbereiche wie Bänke mit Witterungsschutz fördern das Ansehen eines Areals. Daneben können auch individualisierte Dienstleistungen und Unterhaltungsangebote zu einer Belebung der öffentlichen Räume führen. Denn schließlich tragen sowohl die funktionale Dichte als auch eine urbane Vielfalt sehr viel zur Attraktivität einer Stadt bei. Dies erkannte der Stadtsoziologe Hans-Paul Bahrdt bereits in den 1960er-Jahren: „Sollen Straßen und Plätze öffentlicher Raum sein, das heißt, soll sich auf ihnen die Gesellschaft selbst darstellen, so müssen sie eine Vielzahl von Funktionen aufnehmen.“
Text: ©Dolores Stuttner
Fotos: ©Peter Gugerell
Kategorie: Architekturszene