Der Wiener Speckgürtel wird smart

27. Dezember 2017 Mehr

In Wien ist die Smart City seit dem Jahr 2010 ein Thema. Seit dieser Zeit gibt es in Richtung nachhaltiger Stadtplanung etliche Aktivitäten und Projekte in der Hauptstadt. Allerdings existiert für den Begriff selbst noch keine allgemein anerkannte Definition. In den 1990er Jahren fasste man darunter Innovationen, technologiebasierte Veränderungen und Governance, einer eher informelleren Steuerung von Planungsverfahren in urbanen Räumen zusammen. Heute stehen bei Smart City Themen wie Energie, Informations- und Kommunikationstechnologien sowie Mobilität in Verbindung mit Lebensqualität im Mittelpunkt.

 

 

Foto:©Bwag

 

Dabei stellt die Integration neuer und digitaler Technologie eine Reaktion auf die gesellschaftlichen, planerischen und politischen Herausforderungen der heutigen Zeit dar; denn wenn es um die Bewältigung der Herausforderungen des Klimawandels geht, spielen Städte eine zentrale Rolle. Dadurch hat der Begriff als wissenschaftliches und politisches Schlagwort mittlerweile erheblich an Bedeutung gewonnen. Vor allem konzentrieren sich heutige Konzepte zum Thema Smart City auf die Lösung von Problemen wie die Ressourcenknappheit, das Bevölkerungswachstum sowie die Umweltverschmutzung. Eine große Rolle nehmen daher außerdem auch Konzepte wie „Shared Economy“ sowie die Einbindung der Bevölkerung bei Planungsmaßnahmen ein.

Ebreichsdorf soll nun auch zur Smart City werden. Anlass des Vorhabens ist neben dem Ausbau der Pottendorfer Linie eine riesige freie Fläche in der Gemeinde, die von ihrer Größe her mit dem Flugfeld Aspern in Wien vergleichbar ist. Auf dem derzeitigen Ackerland soll mit dem Bau des neuen Bahnhofs gleich ein neuer Stadtteil entstehen. Der zukünftige Haltepunkt der ÖBB wird dabei nicht nur das Zentrum Ebreichsdorfs, sondern auch den Mittelpunkt der gesamten Region mit insgesamt 40.000 Einwohnern und zehn Gemeinden darstellen. So ist zu erwarten, dass sich der Bahnhof zu einem der wichtigsten Verkehrsanschlüsse im Süden Wiens entwickelt – gemäß Wolfgang Kocevar, dem Bürgermeister Ebreichsdorfs, soll dieser Knotenpunkt dann auch für Pendler von großer Bedeutung sein. Mit einer verbesserten öffentlichen Anbindung an die Stadt Wien sind ein Bevölkerungsanstieg und damit neue räumliche Herausforderungen zu erwarten. Um auf der prognostizierten Entwicklung bereits im Voraus zu reagieren, wurde das Projekt Smart City Ebreichsdorf ins Leben gerufen.

Zur Umsetzung holte die Gemeinde die Technische Universität Wien (TU Wien) ins Boot. Diese erhob unter der Leitung von Raumplaner Thomas Dillinger potenzielle Nutzungsmöglichkeiten eines neuen Stadtteils. Klar ist derzeit, dass sowohl das Prinzip der Nutzungsmischung als auch der öffentliche Verkehr eine wichtige Rolle spielen werden. Nicht zuletzt deshalb bemüht sich die Arbeitsgruppe „Zukunft Ebreichsdorf“ auch darum, die ÖBB als Partner zu gewinnen. Dabei wird sich der Konzern selbstverständlich vordergründig auf den Ausbau der Bahn beschränken.

Heute noch Ackerland – in ein paar Jahren Smart City
Auch im Rahmen der Realisierung der Ebreichsdorfer Vision wird Bürgerbeteiligung großgeschrieben. So entwickelte die TU Wien in Zusammenarbeit mit der Bevölkerung, dem Energiepark Bruck/Leitha sowie der Energie- und Umweltagentur Niederösterreich ein Konzept für die zukünftige Entwicklung der Gemeinde. Hierbei wurden Kriterien für die Entwicklung der Kleinstadt erarbeitet, wobei die daraus gewonnenen Erkenntnisse gemäß der Projektbeschreibung Lernprozesse in der Politik und der Planung anregen sollen. Insgesamt setzt sich das Smart City Konzept aus vier möglichen Szenarien für das zukünftige Wachstum der Gemeinde zusammen. Geachtet wurde im Rahmen der Smart City Ebreichsdorf auf eine Herausarbeitung von Handlungsdimensionen mit unterschiedlichen Schwerpunkten – Bahnhof, Quartier, Energie und Ressourcen sowie Planung und Prozesse. Diese werden später die Grundlage für die Realisierung eines konkreten Stadtentwicklungsprojekts darstellen.

• In einem Szenario soll der Bahnhof eine zentrale Rolle in der Smart City Ebreichsdorf einnehmen. Um diesen soll auch ein neues Stadtviertel entwickelt werden, wobei es eine urbane, kompakte Struktur mit ausgewogener Nutzungsmischung aufweisen wird. Auch die Entwicklungsimpulse sollen vordergründig auf das neue Quartier gelenkt werden – dem derzeitigen Bestand kommt dabei nur eine geringe Bedeutung zu.
• Ein anderes Szenario legt seinen Fokus in erster Linie auf den Bestand, wobei der Bahnhof in diesem Fall eine rein funktionale Rolle einnimmt. Zusätzlich wird das Ansteigen der Bevölkerungsdichte in einem verträglichen Maß gefördert.
• Wieder ein anderes Szenario sieht den Bahnhof samt dessen Quartier als Brücke zwischen bisher räumlich getrennten Stadtteilen an. So sollen die unabhängigen Ortsteile Ebreichsdorfs langsam zusammenwachsen. Mit der Eröffnung eines neuen Bahnhofs hätte die alte Trasse jedoch ausgedient. Doch auch dafür gibt es bereits Pläne.
• So sieht ein Konzept die Umgestaltung der stillgelegten Gleise in den bisher längsten Park Europas vor. Hierbei würde es sich um einen Grünstreifen mit zehn Kilometer Länge handeln, welcher der Bevölkerung als Freizeit- und Rückzugsgebiet dienen könnte.

Die Entscheidung, ob und welches der Szenarien letztendlich zur Anwendung kommen soll, liegt bei Ebreichsdorf selbst. Während die Bewohner im Zuge der einjährigen Laufzeit des Projekts ihre Vorschläge einbringen konnten, kommt die letztendliche Zusage vom Gemeindeamt.

 

Ebreichsdorf

Foto:©Google Maps

 

Ist smarte Peripherie möglich?
Experten sehen das rasante Wachstum der an Wien angrenzenden Bezirke als durchaus problematisch. Als Gründe hierfür werden drohende Zersiedelung und die damit verstärkte Nutzung der Pkws genannt. Nun ist Ebreichsdorf Teil des Speckgürtels und gleichzeitig eine stark wachsende Gemeinde. Seit nunmehr 30 Jahren liegt die Wachstumsrate der Bevölkerung jährlich bei mehr als einem Prozent – heute leben in Ebreichsdorf bereits mehr als 10.000 Einwohner.

Die Ideale einer smarten und somit nachhaltigen Stadt basieren vor allem auf einer ökologischen, ökonomischen sowie sozio-kulturellen Anschauung. Dabei sollen die Themen der Smart City zu übergreifenden Themen in Planung, Politik und Wirtschaft werden. Einer der wichtigsten Aspekte der Smart City Idee ist aber das Bestreben, bereits im Voraus und gemäß den Prinzipien der Nachhaltigkeit auf bestehende Veränderungen zu reagieren, um das Handeln selbst bestimmen zu können. Ungewollten Entwicklungen soll so entgegengewirkt werden. Als positiv ist durchaus anzusehen, dass der öffentliche Verkehr bei der Umsetzung der Maßnahmen eine zentrale Rolle spielen wird. Mit der Smart City Ebreichsdorf hätten mehrere Gemeinden am Speckgürtel die Gelegenheit, einen Schritt in Richtung nachhaltiger Raumplanung zu wagen.

 

Bevoelkerungsentwicklung_Ebreichsdorf

Quelle:©Statistik/Austria

Text: ©Dolores Stuttner

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Kategorie: Architekturszene