Die Architektur des Sozialen – Stadt des Kindes

13. Juli 2018 Mehr

Für einen Wandel in der Sozialpolitik sorgte die 1968er-Bewegung auch in Wien. Dieser Trend machte sich in der Baubranche bemerkbar – vor allem „Stadt des Kindes“ war ein konkretes Beispiel für die damals angestrebte Architektur des Gemeinwohls. Das sozialpädagogische Konzept im 14. Wiener Gemeindebezirk erfreute sich dabei großer Beliebtheit. Für die Politik avancierte die Stadt des Kindes mit ihrem damals innovativen Ansatz schnell zum Vorzeigeprojekt. Doch nach weniger als 30 Jahren musste die soziale Einrichtung ihre Tore schließen.

Ursprünglich diente die Mischung aus Wohn- und Freizeitkomplex gefährdeten Kindern und Jugendlichen der Stadt Wien als Residenz. Charakteristisch für die Siedlung am Rande des Wienerwalds war der öffentliche Zugang zu Freizeiteinrichtungen wie Turnsaal, Hallenbad und Theater. Als kennzeichnend erwies sich des Weiteren der partnerschaftliche Ansatz des Projekts. Dieser zeigte sich in Form familienähnlicher Wohngruppen. Die Maßnahmen sollten das Gemeinschaftsgefühl stärken und so die soziale Integration der jungen Bewohner fördern – eine vielversprechende Idee, die zumindest bis zur Jahrtausendwende auf fruchtbaren Boden fiel.

Beschlossen wurde die Realisierung des Konzepts 1968 zum Anlass des 50-jährigen Bestandsjubiläums der Republik Österreich auf dem ehemaligen Areal der Huldenbergvilla. Die Anlage wurde 1974 eröffnet, wobei Architekt Anton Schweighofer für Planung und Bau der Siedlung verantwortlich war. Die „Stadt des Kindes“ diente als Aufnahmestelle für rund 260 Pflegekinder zwischen 3 und 19 Jahren. Im Jahr 2002 fiel das Konzept jedoch der Heimreform der Stadt Wien zum Opfer. Das bisherige Musterprojekt musste einer Maßnahme, welche die Realisierung von über die Stadt verteilten Wohngemeinschaften vorsah, weichen. Die Gebäude in der „Stadt des Kindes“ wiesen darüber hinaus eine zu geringe Energieeffizienz auf. Somit strebte die Stadt Wien eine Sanierung der Bauten an, wobei diese einer neuen Nutzung zugeführt werden sollten.

 

Stadt des Kindes

 

Planen fürs Gemeinwohl
Die „Stadt des Kindes“ ist ein bemerkenswertes Konzept. Begründet liegt dies einerseits im sozialen Aspekt und andererseits in der architektonisch-städtebaulich einzigartigen Raumstruktur. Mit der gekonnten Verbindung der zwei Elemente wollte Architekt Anton Schweighofer eine Alternative zu den geschlossenen Jugendheimen der Stadt schaffen. Nicht als Randgruppe, sondern als Bewohner eines Zentrums der Kommunikation sollten die Kinder angesehen und in weiterer Folge gesellschaftlich akzeptiert werden. So erhielt die damalige Jugendbetreuung eine neue, gemeinschaftliche Dimension. Die Anlage setzte sich aus fünf Vierfamilienhäusern samt autonomer Betreuung sowie aus Schwimmbad, Jugendklub, Theater, Turnsaal und einer Gaststätte im Zentrum zusammen. Das Grundgerüst der Siedlung stellte ein linearer Straßenraum dar, der die Anlage strukturierte und um den sämtliche Einrichtungen angeordnet waren. Die Häuser der Anlage waren auf einen Parkraum im Südwesten, der gleichzeitig das Herzstück des Konzepts war, ausgerichtet. Durch das umfassende Freizeitangebot sowie die Realisierung der urbanen räumlichen Ausbildung inmitten einer Randlage gelang es Architekt Schweighofer, eine hohe Vielfalt an Nutzungsangeboten zur Verfügung zu stellen. Das Ziel einer dreidimensionalen Erlebbarkeit im Stadtraum war damit erreicht – die Architektur ging in der „Stadt des Kindes“ weit über den funktionalen Aspekt hinaus.

Eine würdige Umnutzung?
Nach weniger als 30 Jahren schlug jedoch die letzte Stunde für das Projekt. Mitte der 1990er-Jahre richtete die Stadt Wien ihr Konzept zur Jungendbetreuung neu aus. Dieses sollte mit den zeitgemäßen Entwicklungen im Einklang stehen, wodurch eine Dezentralisierung der Betreuungseinrichtungen initiiert wurde. Die Idee der Stadt des Kindes war damit nicht mehr zeitgemäß, sodass die letzten Jugendlichen die Einrichtung 2002 verließen.

Heute zeugen nur noch einige der erhaltenen Bauwerke von der sozialen Vergangenheit des Areals. Mehrere Jahre standen die Bauten verlassen am Stadtrand leer und verwahrlosten zusehends. 2008 leitete die Stadt Wien schließlich den Abriss der betagten Konstrukte aus den 1970er-Jahren ein, um Platz für Neues zu schaffen. Ziel war es, das Areal zu einer Wohnanlage umzugestalten. Seitens von Bürgerinitiativen und Studentengruppen führte dieses Vorhaben zu Protesten und der Besetzung des Grundstücks. Ziel war dabei, nicht nur den Abriss der Gebäude zu verhindern, sondern diese gleich unter Denkmalschutz zu stellen. Außerdem lautete der Wunsch der Bevölkerung, das Areal samt seiner Infrastruktur einer gemeinschaftlichen oder sozialen Nutzung zuzuführen. Dieser Forderung schloss sich auch Planer Anton Schweighofer selbst an. Erfolgreich waren die Bürger in ihrer Auflehnung aber nur bedingt. Auch das positive Urteil einer UNESCO-Expertenkommission, welche die Bauten „Als Juwel moderner Architektur“ bezeichnete, änderte nur wenig am Vorhaben der Stadt Wien. Die „Stadt des Kindes“ wurde zwischen 2011 und 2013 ihrer neuen Nutzung als Wohnanlage zugeführt. Immerhin bemühte sich das durch eine Jury ausgewählte Architektenteam von Walter Stelzhammer darum, einen Großteil der noch intakten Gebäude von Schweighofer zu erhalten.

Das Scheitern einer Utopie?
Seine hochgesteckten Ziele erreichte das als Ausnahmeerscheinung gehandelte Modell nur für einen begrenzten Zeitraum. Heute schmücken gepflegte Wohnhäuser das ehemalige Areal der „Stadt des Kindes“. Anton Schweighofer kritisiert die Entwicklung und den heutigen Zustand des ehemals sozialen Siedlungsgefüges. Dieses habe seine prägnante Raumkultur verloren und sei damit der neuen „Banalität des Bauens“ zum Opfer gefallen. Die Rettung einiger Bauten wie des Hallenbades sei zwar gelungen, allerdings schaffte es das Architektenteam von ARGE Stelzhammer/Weber nur bedingt, die Ästhetik der Gebäude aus den 1970er-Jahren weiterzuführen – dafür war nach den Abrissarbeiten zu wenig von den Originalen vorhanden.

Unter diesem Gesichtspunkt stellt sich die Frage: Was kann die Architektur von der Utopie der „Stadt des Kindes“ mitnehmen? Ein Musterbeispiel stellt das Projekt in Bezug auf die Verbindung zwischen Architektur und Sozialem dar. Die Gestaltung der Anlage diente nicht nur der rein funktionalen Bedarfsdeckung, sondern sollte den jungen Bewohnern vor allem Wohlbefinden und Akzeptanz vermitteln. Ebensolche Projekte sind in der Architektur leider auch heute noch eine Seltenheit. Für den damaligen Erfolg des Siedlungskonzepts ist nicht zuletzt dessen Lage verantwortlich. Trotz des hohen Anteils an Grünraum und der Nähe zur Natur war das Grundstück durch eine U-Bahn- und eine S-Bahn-Linie erschlossen.

Diese Vorteile dürfen nun auch die zukünftigen Bewohner des Areals genießen. Denn in der Siedlung am Waldrand ist neben einigen Grünflächen bereits eine Infrastruktur samt städtebaulichem Charakter vorhanden. Zusätzlich stehen Hallenbad, Sporthalle und Spielplätze in der Anlage mit insgesamt 252 Wohneinheiten zur Verfügung. Auch einer guten Anbindung an den öffentlichen Verkehr mangelt es nicht. Dieses Vorhaben klingt durchaus vielversprechend, jedoch ist es schade, dass der soziale, auf das Gemeinwohl ausgerichtete Aspekt der „Stadt des Kindes“ nicht erhalten wurde. Durch Förderungen seitens der Stadt Wien wäre es aber durchaus möglich, die Entwicklung solcher Konzepte voranzutreiben. Langfristig ließe sich dadurch die Lebens- und Wohnqualität der Bevölkerung im dicht besiedelten urbanen Raum erhöhen. Auch wenn diese Chance bei der ehemaligen „Stadt des Kindes“ versäumt wurde, kann die Integration des sozialen Gedankens bei zukünftigen Baumaßnahmen gut durchdachte Projekte hervorbringen.

 

 

Das Architekturzentrum Wien lieferte im Rahmen der Ausstellung „Die Stadt des Kindes: Vom Scheitern einer Utopie“ bis 28. Mai Einblicke in die architektonische Gestaltung sowie den Lebensalltag in der Siedlung.

Text: ©Dolores Stuttner

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Kategorie: Architekturszene