Die Grande Dame der Architektur
Die Erkenntnisse der Architekturkritikerin Denise Scott Brown prägen auch heute noch die Architektur. Umso bedauerlicher ist, dass die begnadete Theoretikerin, Planerin und Lehrerin in der Architekturszene nur wenigen Menschen ein Begriff ist. Eine Ausstellung im Architekturzentrum Wien will dies nun ändern und rückt das Schaffen Scott Browns ins Zentrum.
Seit den 1960er-Jahren beeinflussen die Studien Scott Browns Architekten und Stadtplaner auf der ganzen Welt – zu einem der bedeutendsten Werke Browns zählt aber ihr Buch „Learning from Las Vegas“. Die Erkenntnisse, welche die Kritikerin in Bezug auf die visuellen und sozialen Einflüsse des Ortsbilds der Stadt gewonnen hat, fließen in viele Planungen der heutigen Zeit ein.
Denise Lakofski, Foto:©Clive Hicks
Eine prägende Größe mit Liebe zum Städtebau
Einen Namen machte sich, die heute als Grande Dame der Architektur bekannte, Denise Scott Brown durch ihre vielseitigen Interessen und Engagements. Immerhin widmete sie sich nicht nur der Analyse des bebauten Raums, sondern realisierte auch selbst eine Reihe bemerkenswerter Projekte. Auf vier Kontinenten führte sie Aufträge aus und verwirklichte so ihre Vorstellungen von einer bebauten Landschaft, die den Menschen in den Mittelpunkt stellt. So war sie unter anderem an der Planung der Benjamin-Franklin-Gedenkstätte, dem Humanities Building and Social Sciences Building der State University of New York und dem Erweiterungsbau der National Gallery in London beteiligt. All ihre Werke zeichnen sich durch eine Liebe zum Detail und einer gekonnten, wenn auch dezenten Einbeziehung historischer Verzierungen aus. Die Arbeit der Architekturtheoretikerin lässt sich mit vielen Adjektiven beschreiben – „homogen“ gehört nicht dazu.
Zu Denise Scott Browns Spezialgebiet gehörte aber nicht die Architektur, sondern vor allem der Urbanismus. Dabei widmete sie sich besonders gerne der Revitalisierung historischer Strukturen. Eines ihrer bemerkenswertesten Projekte stellt die Restaurierung einer viktorianischen Stadtstraße in Jim Thorpe im US-Bundesstaat Pennsylvania dar. Auch war es der Städtebauerin möglich, den Ort Appalachia in neuem Glanz erstrahlen zu lassen. Auf Basis einer sozioökonomischen und demografischen Analyse war es Brown möglich, das Bergdorf so umzugestalten, dass dieses nicht nur für die ortsansässige Bevölkerung, sondern auch für Touristen wieder attraktiv wurde.
Zusätzlich versuchte sich Scott Brown im Innenraum- und Möbeldesign – ein Vorhaben, das ebenfalls von Erfolg gekrönt war. Dabei setzte die Designerin auf eine Mischung aus verspielten, farbenfrohen und historischen Elementen.
Bahnbrechende Studien treffen auf urbanistische Raffinesse
„Man kann die Bedürfnisse der Menschen nicht ignorieren, nur weil man glaubt, sie sollten eigentlich etwas anderes wollen.“ – Denise Scott Brown.
Im Zentrum von Scott Browns Arbeit stand stets der Respekt für das „Gewöhnliche“, das in Städten trotzdem anziehend auf die Bewohner wirkte. Die sozialräumliche Analyse entwickelte sich in diesem Kontext zu einem der wichtigsten Werkzeuge Scott-Browns. Im Zuge ihrer wissenschaftlichen Abhandlungen analysierte die Theoretikerin nicht nur das Verhalten, sondern auch die Bedürfnisse von Stadtbewohnern. Denn die Planerin wollte für Menschen Architektur entwerfen, die sie mögen – und nicht Konzepte umsetzen, „die die Menschen mögen sollen“. Diesen Punkt missachtete gemäß Denise Scott Brown die damalige Änderung in der Architektur: Die so genannte „Moderne“ zeichnete sich nämlich durch eine gestalterische Reduktion am Gebäude aus. Die Bauwerke wurden damals vordergründig auf die Variablen Konstruktion und Raum beschränkt. Mit diesem Trend setzt sich Scott Brown gemeinsam mit ihrem Arbeits- und Lebenspartner Venturi in ihrer Studie „Learning from Las Vegas“ auseinander. Sie meinte, dass das im Buch beschriebene „zeitlich Entfernte“ – also die historischen Elemente am Gebäude – bei einem rein auf Nüchternheit ausgelegten Baustil auf der Strecke bliebe. Häuser wurden fortan nicht mehr mit den Stilelementen der Vergangenheit beschmückt. Scott Brown und Venturi wollten mit ihrer Kritik bewirken, dass Architekten und Planer von dem Lernen, was sie umgibt. Sie sahen darin die Möglichkeit, dass Bauten entstehen, die zwar einzigartig wirken, aber sich trotzdem gut in ihr Umfeld und die damit verbundene Geschichte eingliedern. Auch die Wüstenstadt Las Vegas durchlief im Laufe der Zeit große Veränderungen. Der früher noch als Metropole für Durchreisende und Autofahrer bekannte Ort mauserte sich zu einem kleinen Vergnügungspark samt Zentrum mit zahlreichen Fußgängerzonen. Für Scott Brown ist diese Entwicklung ein Spiegelbild der Wünsche der Bevölkerung, die ebenfalls einem steten Wandel unterliegen.
Foto:©Timothy Soar
Ist Scott Browns Kritik an der Moderne gerechtfertigt?
Dem nüchternen, bisweilen nur auf Praktikabilität und auf Ordnung ausgerichteten Stil der Moderne konnte die Architekturkritikerin also nur wenig abgewinnen. Gemäß Denise Scott Brown ignorierte diese Strömung nämlich nicht nur den historischen Kontext einer Stadt, sondern dämpfte auch die Kreativität. Kennzeichnend für den zur damaligen Zeit vorherrschenden Pragmatismus waren auch Monumentalbauten aus Beton, deren Erscheinungsbild mehr auf Zweckhaftigkeit ausgerichtet war. Gerade der monumentale Baustil wurde von Scott Brown angeprangert. Denn auch dieser brachte auf paradoxe Weise eine Ideologie zum Ausdruck – die Ideologie des Pragmatischen. Interessant ist dabei, dass die Kritikpunkte Scott Browns nicht der Weiterentwicklung in der Architektur galten – vielmehr wollte die Theoretikerin „die Moderne vor sich selbst retten“. Die Erfüllung menschlicher Bedürfnisse sah sie etwa nicht in Gebäuden, die den Dogmen programmatischer Funktionalität entsprachen. Gemeinsam mit Robert Venturi sprach sie sich gar für das „funktionelle Chaos“ aus. So gesehen, müsste eine Stadt ihren Bewohnern eine ausgewogene Mischung aus geordneten Strukturen und Kreativität bieten.
Doch ist eine derartige Kritik an der Moderne letzten Endes berechtigt? Insbesondere in Bezug auf ihre Funktion waren und sind die Bauwerke aus rohem Beton nicht nur als negativ anzusehen. Schließlich entstanden diese, um die damaligen Bedürfnisse der Menschen zu befriedigen. Und diese liefen zwischen den 1970er- und den 1980er-Jahren in vielen Städten nun mal darauf hinaus, der Wohnungsknappheit Herr zu werden.
Unbestritten ist jedoch, dass das Wirken der Architektin, Stadtplanerin, Lehrerin und Autorin Denise Scott Brown die Architektur der letzten 50 Jahre maßgeblich beeinflusste. Das Architekturzentrum Wien widmet dieser Größe daher nun eine Ausstellung. In Form eines imaginären städtischen Settings stellt das Architekturmuseum das Leben und Schaffen Scott Browns dar. Des Weiteren werden die oft missverstandenen Ideen Scott-Browns vergegenwärtigt und deren Einfluss auf die Architektur anschaulich dargestellt.
Foto:©Robert Venturi
AZW, von Mittwoch, den 21. November 2019 bis Montag, den 18. März 2019
Text:@Dolores Stuttner
Kategorie: Architekturszene