Leerstand als Chance?
Das Thema Leerstand ist komplex und vielschichtig – genauso wie die Städte, die mit diesem Problem zu kämpfen haben. Gemäß der Studie „Perspektive Leerstand“, die vom Fachbereich Soziologie auf der Technischen Universität Wien durchgeführt wurde, gibt es beim Umgang mit ungenutzten Flächen nicht „die Lösung“. Vielmehr muss eine auf die individuelle Raumlage zugeschnittene Planungsmaßnahme entworfen werden.
Als Leerstand werden langfristig unbenutzte sowie unvermietete Gebäude und Wohnungen auf privatem oder öffentlichem Grund definiert. Nicht nur Städte, sondern vor allem auch strukturschwache, ländliche Gemeinden sind oft von dieser Entwicklung betroffen. Befinden sich mehrere ungenutzte Bauten in einem Ort, ist dies nicht nur mit negativen Auswirkungen auf die Ökonomie, sondern gleichermaßen auf den gesellschaftlichen und sozio-kulturellen Kontext verbunden. Insbesondere bei einem Wegfall von Dienstleistungen, die der Daseinsvorsorge dienen, erweist sich der Leerstand eines öffentlichen Gebäudes als problematisch. Handelt es sich beim betreffenden Bauwerk zusätzlich um einen repräsentativen Bau wie einen Bahnhof oder eine Schule, wird mit dem Verlust desselben die Verwahrlosung der betreffenden Gemeinde assoziiert – denn nicht selten findet ein Rückbau langfristig ungenutzter Immobilien statt.
Die Broken-Windows-Theorie besagt, dass eine große Zahl an brachliegenden Bauwerken Vandalismus und in weiterer Folge Kriminalität fördert. Gemäß dieser Hypothese können Anzeichen der Unordnung in einem Siedlungsgebiet – hierzu gehören unter anderem kaputte Fenster, beschädigte Hausfassaden oder Graffiti – die Einwohner desselben zu schwereren Vergehen verleiten. Auf lange Sicht kommt es so zur weiteren Verwahrlosung und Abwertung des betreffenden Stadtteils – anschaulich ließ sich diese Entwicklung in der amerikanischen Stadt Detroit beobachten, die in Bezug auf urbanen Verfall und den damit verbundenen Anstieg der Kriminalitätsrate mittlerweile als internationales Negativbeispiel bekannt ist. Sowohl ländliche Gemeinden als auch Städte sollten daher bereits im Vorfeld eine Strategie für den Umgang mit Leerstand entwickeln – Brachen stellen für die Stadtentwicklung nämlich nicht nur Problem, sondern auch Chance dar.
Ursachen für den Verfall
In den meisten Gebieten sind brachliegende, verwahrloste Grundstücke ein Spiegelbild der ökonomischen Lage. Ist eine Region oder Stadt beispielsweise von einem massiven Rückgang an Arbeitsplätzen und Einwohnern betroffen, resultiert dies oft in großen und dauerhaften Leerständen. Findet die Raumplanung keine adäquate Lösung für den Umgang mit den ungenutzten Flächen, wird die wirtschaftliche Situation des betreffenden Ortes zusätzlich geschwächt. Auch Rück- oder Umstrukturierungsmaßnahmen von Institutionen oder infrastrukturellen Einrichtungen können den Leerstand fördern – verlassen Mieter ein Bauwerk, ohne dass sich zeitnah ein Nachfolger finden lässt, bleibt die Fläche ungenutzt. Innerhalb der letzten Jahre spielte sich dieses Szenario nicht nur in ländlichen Regionen, sondern gehäuft in innerstädtischen Einkaufsstraßen ab. Ursache hierfür sind Einkaufszentren in der Peripherie, gegen die kleinere Anbieter selten ankommen. Für Altstädte bedeutet dies einen langsamen sozialen und ökonomischen Tod.
Für die Bekämpfung von Leerständen stehen der Stadtplanung mehrere Instrumente zur Verfügung – häufig wird diesbezüglich eine Umnutzung des betreffenden Gebäudes angestrebt. Befindet sich die Fläche zudem in Besitz der öffentlichen Hand, empfiehlt es sich, diese – sei es im Rahmen von Veranstaltungen oder sozial motivierten Projekten – öffentlich zugänglich zu machen.
Brache mit Potenzial
Als sogenannte „Good-Practice-Beispiele“ können diesbezüglich internationale Beispiele des Umgangs mit Leerstand in Städten Europas dienen. Experten wie Jens Dangschat vom Fachbereich Soziologie auf der TU Wien sind sich darüber einig, dass Leerstand nicht immer zur Abwertung eines Ortsteils führen muss. Insbesondere der kreative Umgang mit ungenutzten Gebäuden trägt zu einer strategischen Stadtentwicklung bei. Unter anderem hat es sich bewährt, städtische Liegenschaften für künstlerische, soziale und kulturelle Projekte zur Verfügung zu stellen. Wie das Beispiel der NDSM Werft in Amsterdam verdeutlicht, können solche Maßnahmen einen Gewinn für die gesamte Stadt darstellen und ehemals verlassene Orte wieder an Attraktivität gewinnen.
Auch Zwischennutzungen können ein gezieltes Instrument zur Stadtteilentwicklung sein. Allerdings sind temporäre Vermietungen auch mit negativen Effekten auf das betreffende Gebäude und das jeweilige Ortsquartier verbunden. Je nach quantitativem und qualitativem Raumangebot handelt es sich hier zumeist um unbefriedigende Ertragssituationen, einen fehlenden Mehrwert sowie Schäden an der Bausubstanz. Letztgenannter Punkt geht mit einer Wertminderung des Gebäudes einher und bereitet vor allem Privatbesitzern große Sorge.
Oft können als Zwischennutzung geplante Maßnahmen jedoch zu dauerhaft bestehenden Projekten im Stadtraum avancieren – dies gilt insbesondere dann, wenn die Areale einem breit gefächerten Nutzerkreis zur Verfügung stehen.
Managementstrategien für den Wiener Leerstand
In Wien hat Leerstand zwei Gesichter – einerseits in Form absichtlich gehorteter, ungenutzter Wohnungen und andererseits als Brachflächen auf dem Areal ehemaliger Industriebetriebe. Beide Phänomene stellen für die Raumplanung ein erhebliches Problem dar. Leerer Wohnraum und Gebäude tragen nämlich zu einem hohen Verbrauch knapper städtischer Flächen bei. Umso wichtiger ist es, die Anzahl der leer stehenden Wohnungen zu erheben und diese nach Möglichkeit einer alternativen Nutzung zuzuführen. Um mit Wohnungsleerstand in Großstädten adäquat umgehen zu können, bedarf es zuallererst einer Erfassung des Bestandes an ungenutzten Flächen. Gemäß einer Studie der Wiener MA 35 aus dem Jahr 2015 stehen in Wien an die 35.000 Wohnungen leer, wobei es sich bei den meisten dieser Räumlichkeiten um Spekulationsobjekte handelt. Damit es nicht mehr attraktiv ist, ungenutzte Wohnungen zu horten, setzt sich die Wiener Mietvereinigung für eine Leerstandsabgabe ein – diese soll bewirken, dass die betreffenden Objekte wieder vermietet werden und der Bevölkerung wieder als Wohnraum zur Verfügung stehen.
Handelt es sich beim Leerstand nicht nur um einzelne Wohnungen, sondern gleich um ein ganzes Areal, lässt sich das Problem nicht einfach durch Abgaben lösen. Bei der Vielzahl an ungenutzten Bauwerken handelt es sich häufig um Flächen in den ehemaligen Industriegebieten der Wiener Peripherie. In ihrem ungenutzten Zustand verbrauchen die stillgelegten Fabriken viel wertvolle Fläche. Befinden sich gar mehrere solcher Gebäude nebeneinander, trägt dies zum Entstehen verlassener, verkehrlich schlecht angebundener Brachen und damit zur Verschwendung von potenziellem Wohnraum im Stadtgebiet bei. Abwanderung in die oberflächlich attraktivere und besser erschlossene Peripherie ist die Folge. Dieser Entwicklung lässt sich mit einer gezielten, langfristigen Planung sowie einer Umnutzung der Gebäude gegensteuern.
Ein Beispiel für eine gelungene Zwischennutzung in der Stadt Wien stellt die ehemalige Traktorfabrik im 21. Wiener Gemeindebezirk dar. Während auf der Fläche bis zum Jahr 2020 ein modernes Gewerbezentrum entstehen soll, wird das Areal samt dem Gebäude bis zum Baubeginn für öffentliche Veranstaltungen wie das Schokolade- und Wein-Festival genutzt. Und auch nach der geplanten Sanierung wird ein Teil der ehemaligen Produktionswerke den Einwohnern Wiens zugänglich bleiben. Allerdings ist ebenso eine Aufwertung des Gewerbegebiets geplant. Diese Entwicklung ist dabei nicht nur positiv zu sehen. Als warnendes Beispiel dient diesbezüglich die Stadt Zürich – in der Großstadt kam es durch das Aufblühen der sogenannten „Creative Industries“ und Zwischennutzungen auf ehemaligen Industrieflächen zu einer Wertsteigerung der Areale. Nun mangelt es jedoch an günstigem Arbeits- und Lebensraum in der Stadt. Damit auch Wien seinen Anteil an leistbaren Flächen nicht verliert, sollte weniger auf die Realisierung prestigeträchtiger, moderner Stadtteile, sondern vielmehr auf Erschließung und Erhalt des günstigen Mietraumes gesetzt werden.
Text: ©Dolores Stuttner
Kategorie: Architekturszene