Robotic architecture?!
In der Diskussion um die aktuelle Forschung in der Architektur trifft man immer häufiger auf den Begriff „Robotic Architecture“. So auch zuletzt in einem von der TU Graz angekündigten Symposium, bei dem Automatisierungsexperten der Industrie und Architekten aufeinandertrafen.
Fertigungsroboter und automatisierte Produktionsanlagen sind in der Industrie bereits Alltagsgegenstände. Japan ist die führende Nation mit der größten Roboterdichte von 295 Industrierobotern auf 10.000 Industriearbeiter. 2009 betrug der Umsatz der Roboterindustrie in Japan 649.810.000.000 Yen – das entspricht umgerechnet 5,8 Milliarden Euro. Der Weltbestand an Roboter betrug im Jahr 2008 8,6 Millionen Einheiten, Tendenz mit einem jährlichen Zuwachs von rund 2 Millionen neuer Einheiten steigend.
Auch in der Architekturproduktion ist der Großteil der entwerferischen Arbeit einer Migrationswelle ausgesetzt: Roboter, Agenten und Automaten infiltrieren die Planungsstätten und nehmen ihren Platz neben Designern aus Fleisch und Blut ein.
Ein Blick in die Entwicklungsstuben der Universitäten lässt die Zukunft erahnen: Bereits jede größere Ausbildungsstätte unterhält, neben CNC-gesteuerten Fräsen, Laserschneidern und 3D-Plottern, auch einen Fertigungsroboter. Genauso wie in den Abteilungen, in denen nicht nur mit den „physischen“ Robotern experimentiert wird, sondern die Erprobung von virtuellen Maschinen, Agenten im Mittelpunkt steht.
Durch die zunehmende Miniaturisierung von Komponenten, gepaart mit Fortschritt, verschiebt sich die Grenze, die automatisierbare Tätigkeiten von den ausschließlich durch menschliche Einwirkung ausführbaren trennt, stets in Richtung zu komplexeren, höherwertigen Berufsbildern.
Dass der spielerische Aspekt nicht zu kurz kommen muss, beweist die deutsche Designergruppe Realities:United mit dem Projekt „NIX“. Hier wird ein zentrales Energiemanagementsystem eines Bürohochhauses, das die gesamte künstliche Beleuchtung – alle Leuchtkörper von Deckenstrahlern bis zu den Tischlampen – steuert, zu einem Lichtmedium, welches nach Büroschluss zu einem eigenständigen Leben erwacht, um das gesamte Gebäudevolumen mit spielerischen Lichtinstallationen zu bespielen.
Spannend wird auch die Weitervertiefung einer Entwicklung, die man bei den allerorts auftauchenden Medienfassaden kennt: Architektur wird zu einem Kommunikationsmedium, wobei hier das Mediale, im Gegensatz zu den hauchdünn aufgetragenen Leuchtfassaden, die räumliche Struktur des Gebäudes vollends durchdringt.
Im Bereich des Gebäudeentwurfes wird die Entwicklung der Entwurfswerkzeuge, neben noch leistungsfähigeren parametrisierten Modellierumgebungen, die den Arbeitsaufwand bei Änderungen im Design drastisch senken, auch im Bereich der Entwicklung von prognostischen Systemen liegen. Deren Zweck ist das schnelle und umstandslose Bereitstellen von entwurfsrelevanter Feedback-Information, die den Designer genauestens über die Performance des aktuellen Entwurfsstandes informieren und diesem somit die Übersicht über die Konsequenzen von Entwurfsänderungen bereitstellen.
Festo, ein Hersteller von Werkzeugen und Pionier der Anlagenfertigung, hat im Besonderen bei der Entwicklung von linearen Antrieben, ausgehend von Pneumatiksystemen, eine Reihe von hochinnovativen Lösungen erarbeitet, die alle eines gemeinsam haben: Die Natur stand Modell. Die fluid muscle Komponente besteht aus intelligent verwebten Fasern, die sich wie Muskeln unter Druck, anstatt sich auszudehnen, verkürzen. In der Folge wurde ein Greifarm mit einem System von Längs- und Ringmuskeln vorgestellt, der die Morphologie eines Elefantenrüssels geerbt hat. Die letzte Entwicklung, die eine Progression vom Mechanismus (fluid muscle) über das Organ (Rüssel) hin zum eigenständigen Organismus im Anlagenbau der Zukunft vollzieht, ist der vor Kurzem vorgestellte Prototyp einer chromglänzenden, sanft durch die Luft gleitenden, sich mit kleinen Flossen antreibenden, fliegenden pinguinartigen Drohne. Als Materialtransporteur der Zukunft wird sie nicht nur Zustelldienste und komplizierte logistische Umschlagplätze ersetzen, sondern auch den Gerüstbau und alle Sorten von Kran- und Förderanlagen.
Die ursprünglich durch deutlich erkennbare Unterscheidungsmerkmale klar gegliederten „Lebensformen“ Natur, Technologie, Mensch werden im zunehmenden Maße durch experimentelle Übertretungen ineinander verwoben. Implantationen, Imitationen, Extraktionen, verstärkende Aufpfropfungen verleihen dem zeitgenössischen Phänomen der Übertragung einen neuen, ungeahnten Bedeutungsstrang.
Übertragung als Methode erfolgt demnach nicht nur im Bereich der Kommunikation, sondern auch als „Technologie-Transfer“: Brückenschläge zwischen biologischen, technologischen und sozio-ökonomischen Lebensbereichen.
Das New Yorker Architekturbüro Diller & Scofidio hat mit dem Blur Building auf dem Genfer See 2004 einen Kulturbau realisiert, der den Gedanken einer übertragungsfähigen Architektur in sich trägt. Das Gebäude ist gleichzeitig Landschaftsinfrastruktur, deren gebauter Teil im Wesentlichen aus einer Wasserförderanlage mit der entsprechenden Verrohrung, und einer Reihe von Plattformen, die für die Begehbarkeit sorgen, besteht. Das Gebäude steht in einem aktiven Austauschprozess (Transaktion) mit seiner Umgebung: Es entnimmt dem See Wasser und generiert daraus den zweiten wichtigen Teil seiner Architektur: eine die Struktur umgebende Nebelwolke, welche die eigentliche Gebäudehülle bildet. Die Architektur ist dadurch mit einem Bein in der Welt der natürlichen Prozesse: Sie kommuniziert mit der Atmosphäre, mit der lokalen Biologie.
Der britische Pavillon auf der Expo Shanghai 2010 versucht Ähnliches. Hier wird die Hülle des Kulturbaus zu einer großmaßstäblichen Fruchtblüte, jede einzelne seiner Abertausenden Leichtbaustacheln trägt Samen bereits verschwundener Pflanzenarten. Diese werden dann bei entsprechenden Umweltbedingungen freigesetzt, um die Gesamtökologie zu informieren.
Kulturbauten wie diese sind experimentelle Vorreiter in der Artikulierung eines neuen Umweltbegriffes in der Architektur. Sie zeugen von einer Auffassung, die hermetisches Abtrennen der Gefahr bergenden Umwelt von dem schutzbedürftigen Nutzer insofern überwinden, als dass das umliegende Ökosystem als etwas ebenfalls Schützenswertes verstanden wird.
Die Herausforderungen der Architektur der Zukunft liegen sicherlich in einer aktiven Auseinandersetzung mit den gegebenen oder sich ergebenden automatisierten hybriden Infrastrukturen. Technik, Mensch und Umwelt werden in Zukunft noch feiner nuancierte, vielschichtigere Übertragungen erfahren. Genauso wie es eine Aufgabe der Kunst, der Legislative, der Gesellschaftstheorie und der Wissenschaft sein wird, Struktur und Ordnung in eine Welt zu bringen, wo die klassischen Grenzen durch eine „Kultur der Implantationen“ stetig verwässert werden, wird es eine zentrale Rolle der Architektur sein, die für diese Gesellschaft adäquate Umgebung zu entwickeln.
Kategorie: Architekturszene