Rückschau auf das 20. Industriebauseminar
Prof. Arch. DI Christoph Achammer vom Institut für interdisziplinäres Bauprozessmanagement, interdisziplinäre Bauplanung und Industriebau der TU Wien, der die Veranstaltung organisierte und moderierte, leitete die beiden intensiven Vortragstage mit den Worten ein, dass der Kuppelsaal exemplarisch für das diesjährig gewählte Thema stehe, das da lautete: „Refurbished future: Werte, Ressourcen und Strukturen – ergänzen statt ersetzen.“
Vor über 100 Jahren wurde die spektakuläre Kuppel der TU Wien als Holztragwerk geschaffen, um dem aufgestockten Universitätsgebäude die nötige Außenwirkung zu verleihen. Erst vor wenigen Jahren erkannte man nun endlich auch den Wert des Innenraums dieser Struktur und durch Umbaumaßnahmen steht dieser heute in „aufpolierter“ Weise in seiner gesamten Größe für Veranstaltungen zur Verfügung. Was zuvor durch kleinteilige Einbauten in Institutsräumlichkeiten und Aktzeichensäle unterteilt war, erhielt eine neue Nutzung, wobei die vorhandenen Ressourcen nur ergänzt, nicht ersetzt wurden. In eben diesen Räumlichkeiten fand vom 18. bis 20. Mai das 20. Internationale Industriebauseminar statt.
Weit über die technischen Aspekte des Bauwesens hinaus wurde von 27 Referenten in jeweils 20-minütigen Vorträgen in einer breit gefächerten Betrachtungsweise die Herausforderungen an das Bauen heute mit den Randbedingungen der Wirtschaft, der Politik, der Nachhaltigkeit und Effizienz und auch der Ethik und Ästhetik beleuchtet. Neben Architekten, Bauingenieuren und Stadtplanern kamen Maschinenbauer, Materialtechnologen, Politiker, Bauherren, Projektentwickler, Wirtschaftswissenschafter, Universitätsdozenten und Professoren international anerkannter Universitäten und sogar Theologen zu Wort.
Für unsere veränderte Zeit, die durch die Errungenschaften von Globalisierung und Vernetzung Vielschichtigkeit aufdeckt und Schnelllebigkeit bewirkt und in der durch die explosionsartige Zunahme an Informationen traditionelle Wertesysteme verschwinden, wurde der Mensch mit seinen Bedürfnissen nach Kommunikation und Identifikation wieder ins Zentrum des Architekturschaffens gerückt. Die Hauptaufgabe des Architekten von heute ist es, mit den bestehenden Ressourcen die Sehnsucht nach HEIMAT zu stillen.
Nachdem die evolutionäre Phase des Bauens, wie sie nach dem Zweiten Weltkrieg begann, nunmehr vorüber ist, wurde herausgestrichen, dass der Umbau und die Nachnutzung von bestehenden Strukturen innerhalb des gewachsenen städtebaulichen Gefüges die zentralen Aufgaben für Architekten unserer Zeit sind.
Um nur einen kleinen Einblick in die Fülle der spannenden Informationen zu liefern, hier einige Eindrücke: Neben kleinen, aber sehr feinen Interventionen im ländlichen Raum wie der Stiegenannexbau, dem Badehaus oder dem Schaufenster von Gasparin & Meier Architekten, die vom Architekten Beny Meier gezeigt wurden, umfasste das Spektrum auch städtebauliche Aufgaben wie beispielsweise den neuen Universitätscampus in Zagreb, der vom Vizerektor der Universität Zagreb präsentiert wurde.
Bereits im Bau befindliche Revitalisierungen, wie etwa die des Joanneumsviertel in Graz (von den Bauherren Werner Erhart-Schippek und Carl Skela vorgetragen) veranschaulichten eindrücklich die denkmalpflegerischen Herausforderungen solcher Umbaumaßnahmen. Auch die Tabakfabrik in Linz, die einstweilen noch eine Zwischennutzung erfährt, wurde vorgestellt.
Neben Vorträgen über Architektur fanden aber auch Gedanken zu und aus anderen Lebensbereichen Platz, wie etwa jener Abschließende von Christoph Chorherr. Hier erfuhr man über die Denkweise des Politikers zu Neu- und Altbau. Auch von religiöser Seite wurde über Werte und Wertsysteme gesprochen.
Beeindruckend auch der Vortrag von Gabriele Gottwald-Nathaniel, die über die Initiative „gabarage-upcycling design“ vom Anton-Proksch-Institut berichtete. Die Designobjekte aus Wegwerfprodukten, die von suchtgefährdeten und süchtigen Menschen geschaffen werden, stellen auf zweierlei Weise einen sinnvollen Umgang mit vorhandenen Ressourcen dar.
Beim Festvortrag am Vorabend der Seminartage, bei dem Martin Haas als Partner von Behnisch Architekten den angekündigten und beruflich verhinderten Stefan Behnisch vertrat, erfuhr der Zuhörer über Umbau- und Erweiterungsprojekte aus dem Architekturbüro Behnisch. Nachhaltigkeit sowohl im Bezug auf technische Lösungen und Materialwahl als auch direkt auf den Nutzer bezogen im Sinne der Identitätsstiftung sind bei allen Projekten das zentrale Anliegen.
Mit der Themenwahl und der Auswahl der Referenten, die aus den unterschiedlichsten Wissenschafts- und Praxisbereichen kamen, ist es den Veranstaltern des 20. Industriebauseminars gelungen, eine breit gefächerte Betrachtungsweise aufzuzeigen, und so wurden die Zuhörer mit vielen Denkimpulsen in das Wochenende entlassen. Das Seminar zeigte Interdisziplinarität auf hohem Niveau, so wie es der Denk- und Herangehensweise von Architekten entspricht und im Bauwesen stets gefordert wird. Das gut besuchte Seminar bot die Möglichkeit des Austausches und lieferte nachhaltige Denkanstöße.
Schon heute kann man sich gespannt auf das kommende Industriebauseminar in zwei Jahren freuen.
Kategorie: Architekturszene