Schätze der Wiener Architektur – Prestigeobjekte
Schätze der Wiener Architektur – Prestigeobjekte
Nicht immer müssen es Landmarken und Prestigeobjekte sein, die durch architektonische Finesse bestechen. Auch Wohnbauten und soziale Projekte können als Vorzeigeprojekte der Architektur fungieren. Solcherart gelungene Baumaßnahmen präsentiert die MA 19 im Rahmen der Ausstellung „gebaut 2018“. Den gezeigten Projekten gelingt es, bauliche Herausforderungen wie knapp bemessene Grundstücksflächen, den Gegensatz zwischen Bestandsarchitektur und Neubau sowie Randlagen in der Stadt zu meistern. Sie schaffen hochwertige urbane Strukturen bieten ihren Bewohnern eine hohe Wohn- und Lebensqualität. Abseits von Hauptstraßen und Plätzen befinden sich zahlreiche der bemerkenswerten Bauten, was sie zu verborgenen Schätzen der Stadtplanung macht.
Wie Wohnprojekte den Stadtrand beleben
Das Jahr 2018 war vor allem für die suburbanen Stadtteile Wiens prägend. Dabei stellt die Randlage Planer vor eine große Herausforderung: Denn es reicht nicht aus, Menschen ausschließlich Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Für eine hohe Lebensqualität braucht es gleichzeitig eine gute Verkehrsanbindung sowie ein vorhandenes Angebot an Nahversorgern. Platzmangel ist in den Außenbezirken wie Floridsdorf, Liesing oder Donaustadt immerhin ein untergeordnetes Problem. Ein gewagtes, wenngleich wichtiges Projekt ist dabei die Wohnhausanlage am Nordwestbahnhof im 21. Wiener Gemeindebezirk. Die Anlage setzt sich aus insgesamt 298 Wohneinheiten zusammen. Sie enthält außerdem Kinderbetreuungsstätten, Gewerbeflächen und Wohngemeinschaften. Die Siedlung besteht aus fünf Punkthäusern, die in leicht versetzter Bauweise in eine parkähnliche Grünfläche eingesetzt wurden. Ergänzt werden sie durch ein lang gezogenes Gebäude, das den Grünraum von einer stark befahrenen Straße und vom Lärm der nahe gelegenen Autobahn abschirmt. Eine Promenade erschließt den Norden der Anlage und fungiert gleichzeitig als Verbindung zu angrenzenden Siedlungsgefügen. Die Wohntypen zeichnen sich durch eine vielseitige Bauweise aus und enthalten neben Betonfassaden auch Elemente aus Holz. Begrünte Wandelemente schaffen dabei eine Harmonie und erinnern an eine Gartenstadtsiedlung. Einzig das Angebot an fußläufig erreichbaren Nahversorgern fällt derzeit noch gering aus. An der Konstruktion des Siedlungsgefüges waren mit dem Studio Vlay und Freimüller-Söllinger Architektur gleich mehrere Architekten beteiligt.
Ähnlichen Herausforderungen mussten sich die Planer der Wohnanlage in der Gaswerkstraße stellen. Das Projekt mit dem Namen „Unter den Linden“ grenzt an das Heeresspital in Floridsdorf an und bildet gleichzeitig den Eingangsbereich in ein junges Siedlungsareal. Konzipiert wurde die Anlage als dreieckiger Baukörper mit fünf Geschossen. Insgesamt enthält sie 79 Wohneinheiten, wobei 37 davon SMART-Wohnungen mit einer kompakten Durchschnittsfläche von 63 Quadratmetern sind. In der Mitte des Baus wird durch ein großzügig gestaltetes Atrium für natürlichen Lichteinfall gesorgt. Laubengänge im Inneren machen das Projekt zu einem kommunikativen Bau. Den Bewohnern stehen im Erdgeschoss zudem Home-Office-Flächen, Waschküchen und Gemeinschaftsräume zur Verfügung – sie sollen als Kompensation für die geringe Wohnnutzfläche der Kleinstwohnungen dienen. Das Ziel der Architekten von Superblock war es, mit ihrem Konzept eine Verbindung zwischen Bestand und Neubau herzustellen und das Quartier im Norden Wiens durch eine intelligente Erdgeschossnutzung zu beleben.
Ein Außenbezirk mit einer vielseitigen Architektur, der außerdem über eine hohe Einwohnerdichte verfügt, ist Favoriten. Den 10. Wiener Gemeindebezirk prägen Fabrikgebäude, Gemeindebauten des 20. Jahrhunderts, aber auch Hochhäuser. Ein für die Triester Straße markanter Bau ist das Philips-Haus, welches in den 1960er-Jahren von Karl Schwanzer entworfen wurde. An der Südeinfahrt dient es als Orientierungspunkt und ist damit fest im Gedächtnis der Stadt verankert. In Abstimmung mit dem Bundesdenkmalamt führten Josef Weichenberger architects + Partner den Bau einer neuen Nutzung zu. Im Zuge der Umplanung wurde die innovative Bauweise in moderne Wohnformen übersetzt. Auf einer kleinen Fläche wurde damit eine ausgewogene Mischung aus Wohnraum, Gewerbe, Nahversorgern, einem Loft und einem Fitnesscenter geschaffen. Die „Vertical Village“ beinhaltet 135 Wohneinheiten, womit das Projekt ein gelungenes Beispiel für die historisch vertretbare Umnutzung einer Landmarke ist.
Wiener Projekt: Unter den Linden
Gekonnte Verbindung von Alt und Neu
In den inneren Bezirken existieren Neubauten neben Gründerzeithäusern. Nicht immer gelingt es, ein harmonisches Gesamtbild zu schaffen. Im schlimmsten Fall wirken junge Projekte neben historischen Bauten identitäts- und gesichtslos. Ein Positivbeispiel für einen gelungenen Kompromiss ist der Wohnbau in der Beatrixgasse 27, einem der ältesten Straßenzüge des 3. Wiener Gemeindebezirks. Mit dessen verspielter Fassade, die sich dem Straßenverlauf anpasst, gelang es den Planern von A.C.C. Ziviltechnik, das Spannungsfeld zwischen den Bürobauten der 1950er- und 1960er-Jahre und den Gebäuden der Gründerzeit zu durchbrechen. Das Ergebnis davon ist der Wohnbau „The Ambassy – Parkside Living“. Er enthält Kleinwohnungen ab 50 Quadratmetern Wohnfläche, Familiendomizile mit bis zu 160 Quadratmetern sowie Ambassador-Residenzen mit maximal 190 Quadratmetern. Der Wohnbau stellt damit sowohl Einzelpersonen als auch Familien Lebens- und Wohnraum zur Verfügung.
Wohnhausanlage am Nordwestbahnhof
Die Architektur des Sozialen
Berücksichtigung fanden im Rahmen der Ausstellung „gebaut 2018“ ebenfalls soziale Projekte. So auch das VinziDorf im 12. Wiener Gemeindebezirk. Es bietet alkoholkranken, obdachlosen Männern privaten Lebensraum. Vom Personal werden sie beim Stillen ihrer Grundbedürfnisse sowie bei der Erledigung alltäglicher Tätigkeiten unterstützt. Dafür stehen 24 Schlafplätze in Einzelwohneinheiten zur Verfügung. 16 Wohnmodule wurden dazu in einer dorfartigen Struktur angelegt. Prägende Elemente sind dabei die Holzbauweise sowie die Einbettung in die naturnahe Umgebung. Immerhin sind die Module des VinziDorfs Wien im Obstgarten eines ehemaligen Exerzitienhauses gelegen. Trotzdem entspricht die Anlage der „geschlossenen Bauweise“ – ein Aspekt, der in der Widmung festgelegt wurde. Denn alle Baulichkeiten fassten die Architekten unter einem gemeinsamen Dach zusammen. Um den Obstbäumen Platz zu machen, ist die Überdachung an bestimmten Stellen unterbrochen oder weicht zurück. Sowohl Dach als auch Wohnmodule sind mit gespendetem Plattenmaterial verkleidet. Damit Bewohner ihr Haus leicht finden, ist jede Einheit in einer anderen Farbe gehalten. Das Projekt finanzierte sich Großteils durch Sach- und Arbeitsspenden. So bauten Schüler der HTL-Mödling die Wohnmodule.
Ein wichtiges Bestreben sozialer Architektur besteht darin, leistbaren Wohnraum zu schaffen. Denn Wohnungsknappheit ist ein Thema, das die Stadt und damit die Planer vor große Herausforderungen stellt. Eine mögliche Antwort auf dieses Problem liefert das Wohnhaus in der Herbortgasse in Simmering. Auf dem Platz der ehemaligen Ventilwerke entstand unter Mitwirkung von Architekt Martin Kohlbauer in den letzten Jahren ein neues Quartier. Es besteht aus zwei Punkthäusern, die durch zwei- bis dreigeschossige Foyers erschlossen sind. Auf den ersten Blick fallen die abgerundeten Ecken der Gebäude auf. Sie werden von weitläufigen Balkonen umsäumt. Mit dem Projekt von Kohlbauer wurden insgesamt 105 Wohneinheiten realisiert – weitere 401 sollen folgen. Daneben wird eine Seniorenwohngemeinschaft mit sechs Heimplätzen zur Verfügung stehen. Gemeinschaftsräume sollen einen Austausch der Mieter sowie eine gemeinsame Freizeitgestaltung ermöglichen.
Vorzeigeprojekte als Vorreiter
Es ist wichtig, Experten, aber auch Laien auf Vorzeigeprojekte in der Stadt aufmerksam zu machen. Denn bemerkenswerte Konzepte dürfen nicht zu versteckten Architekturschätzen im Raum werden – und leider passiert es bei der Vielzahl an Projekten in der Großstadt schnell, dass gelungene Stadtentwicklungsmaßnahmen untergehen.
Positive Entwicklungen in der Architektur dienen zukünftigen Generationen als Inspiration und liefern Lösungsansätze für die Herausforderungen im urbanen Raum. Die Ausstellung „gebaut 2018“ im Dezernat „Begutachtung“ der MA 19 ist noch bis Juni 2020 zu sehen.
Text & Fotos:©Dolores Stuttner
Kategorie: Architekturszene