Stichwort Umnutzung: der richtige Umgang mit dem Bestand?

29. Oktober 2018 Mehr

Im Angesicht der fortschreitenden Landflucht erweist sich in vielen Metropolen nicht nur Wohnungsknappheit als Problem. Großstädte mit wachsender Bevölkerung stehen heute auch vor der Herausforderung, auf ihren Plätzen und Straßen für die Aufenthalts- und Lebensqualität ihrer Bewohner zu sorgen. Eine schwere Aufgabe, denn zu bedenken gilt, dass diese Räume den unterschiedlichen Bedürfnissen der Akteure gerecht werden müssen. Auch in Wien stieg die Bevölkerung in den letzten Jahrzehnten stark an, während die Zahl der öffentlichen Flächen vor allem in innerstädtischen Gebieten nur schwer erweiterbar ist. Um Konflikten der verschiedenen Nutzergruppen und Verkehrsteilnehmer entgegenzuwirken, muss die Planung bei der Gestaltung der knapp bemessenen Straßen und Plätze kreative, aber vor allem sozial verträgliche Lösungen finden.

 

Navez-Social-Housing

Navez-Social-Housing
Foto:©Serge Brison

 

„Europas beste Bauten“ im Architekturzentrum Wien steht heuer ganz im Zeichen der Revitalisierung. Die Ausstellung, die von 23. 9. bis 22. 10 2018 stattfindet, liefert Vorschläge für den Umgang mit veralteter Bausubstanz. Anregungen, von denen Großstädte wie Wien durchaus profitieren können.
In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bezog sich die Auseinandersetzung mit dem Bestand in erster Linie auf Bauwerke, die vor dem Ersten Weltkrieg errichtet worden waren. Die hohe Wertigkeit dieser Gebäude ergab sich aus deren Knappheit – so werden Bauten im Stil der Gründerzeit heute nicht mehr konstruiert. Um den Bestand zu erhalten, sollte dieser seiner ursprünglichen und in einigen Fällen sogar einer neuen Nutzung zugeführt werden. Doch nicht nur gründerzeitliche Bauten in Großstädten sind erhaltenswürdig. Ein großes potenzielles Geschäftsfeld ergibt sich für Architekten und Planer aus dem Trend, auch die Wohnbauten, die zwischen 1950 und 1980 errichtet wurden, zu erhalten. Denn hierbei handelt es sich nicht um eine historisch bedeutsame, sondern um eine gar alltägliche Bausubstanz. Daraus ergibt sich der Vorteil, dass Auflagen des Denkmalschutzes nicht existieren, was eine neue Gestaltungsfreiheit mit sich bringt.
Ein Projekt, das von diesen Aspekten Gebrauch macht und einen vorbildlichen Umgang mit einem Wohnbau aus der Nachkriegszeit aufzeigt, stammt aus der Hand von NL architects und XVW Architectuur in Amsterdam. Dieses widmete sich nämlich der Aufwertung und der Sanierung eines Großwohnbaus aus den 1960er-Jahren. Die Architekten hauchten dem 400 Meter langen Plattenbau mit 500 Wohnungen neues Leben ein und retteten somit die Existenz desselben. Der Umbau von DeFlat Kleiburg in Amsterdam war damit von Erfolg gekrönt und wurde letzten Endes mit dem Mies-van-der-Rohe-Award ausgezeichnet. Eine Besonderheit stellte der partizipative Ansatz des Konzepts dar. Die zukünftigen Bewohner dürfen ihre Wohnungen nämlich selbst ausbauen. Dieser innovative Ansatz aus den Niederlanden zeigt neue Wege für den Umgang mit Bestand.

Gebäudebestand auf dem Prüfstand
Die Bedeutung des Bestands hat sich in den letzten Jahren gewandelt. Schuld daran ist vor allem das derzeit vorherrschende Gebot der Ressourcenschonung. Geht es um Denkmalschutz, gibt es klare Kriterien, die darüber entscheiden, ob ein bestimmtes Gebäude erhaltenswert ist. Doch handelt es sich hierbei nur um einen kleinen Prozentsatz der gebauten Umgebung. Anders verhält es sich jedoch, wenn es sich beim betreffenden Objekt um ein vergleichsweise junges Bauwerk handelt. Die Qualität solcher Bauten ist heute auf den ersten Blick noch nicht offensichtlich erkennbar.
Gebäude aus den 1950er-Jahren, die heute nur noch teilweise genutzt werden und einer Sanierung bedürfen, gibt es auch in Wien. Bauten aus dieser Zeit weisen aus planerischer und architektonischer Sicht oft erhebliche Mängel auf, was auf den damals vorherrschenden Zeitdruck zurückzuführen ist. Zur Bekämpfung der Wohnungsnot in Großstädten wurden diese Gebäude nach einer nur kurzen Planungsphase errichtet – weder auf eine ansprechende Gestaltung des Gebäudes selbst noch der Umgebung legte die Stadt hierbei viel Wert. Die häufig sehr groß ausfallenden Wohnkomplexe werden daher heute oft als Schandflecken in der Stadt bezeichnet. Die Lage am Stadtrand ist für die Beliebtheit der Bauten auch nicht unbedingt förderlich. Und doch beutet dies nicht, dass die Gebäude für die Stadt und deren Bewohner ohne Wert sind.

 

DeFlat-Kleiburg1

DeFlat Kleiburg
Foto:©Marcel van der Burg

 

Wer bestimmt den Wert eines Bauwerks?
Auf die Frage, wann ein bestimmtes Gebäude als erhaltenswürdig gilt, gibt es auch heute keine einfache Antwort. In erster Linie ist hier der Zustand des Bauwerks maßgeblich. Eine baufällige Substanz, die einer kompletten Sanierung bedarf, erweist sich schließlich auch für geübte Architekten als große Herausforderung. Zudem ist dieser Prozess für den Auftraggeber mit hohen Kosten verbunden. Zumeist ist die Höhe derselben ausschlaggebend dafür, ob ein bestimmtes Objekt abgerissen und durch ein Neues ersetzt wird. Aber nicht immer sind sogenannte „moderne Bauwerke“ die bessere Lösung. Um Ressourcen zu schonen, gilt es, bereits vorhandene Baustrukturen als Grundlage für die Weiterentwicklung eines Stadtquartiers heranzuziehen. Als attraktiv wird auch häufig eine Kombination aus zeitgemäßer und älterer, bewährter Architektur angesehen. Hier wird dafür gesorgt, dass der ursprüngliche Charakter einer Gegend und damit auch Eigenschaften, die dieser erst ihre Wohnqualität verleihen, erhalten bleibt.
Bevor die Planung eines bestimmten Gebiets in Angriff genommen wird, müssen sich Architekten aber zuallererst die Frage stellen, wie sich Lebens- und Wohnqualität in einem Stadtquartier überhaupt definieren lässt. Nicht immer entscheiden alleine das Aussehen und die Gestaltung eines Gebäudes darüber, ob eine Gegend lebenswert ist. Vielmehr ergibt sich die Qualität des Umfelds aus dem Zusammenspiel mehrerer Objekte. Handelt es sich bei besagter Immobilie jedoch um einen Solitär, der fernab einer dicht besiedelten Struktur liegt, muss dieser neben ästhetischen auch soziale Ansprüche erfüllen. Ein solches Bauwerk sollte daher Freizeitanlagen sowie Nahversorger enthalten. Steht das betreffende Bauwerk noch leer, sollte zumindest der Raum für die Unterbringung erwähnter Einrichtungen vorhanden sein. Diesen Anforderungen müssen sich vor allem auch die Großwohnsiedlungen mit den in die Jahre gekommenen Bauten am Wiener Stadtrand stellen. Um auch in abgelegenen Bauten Lebensqualität zu ermöglichen, sind Planer gefragt, Lösungen zur Integration von sozialen und öffentlichen Einrichtungen zu finden.

Ist eine Umnutzung die Lösung?
Nicht immer muss ein revitalisiertes Gebäude einer neuen Nutzung zugeführt werden. Wie das Projekt von NL architects und XVW Architectuur aufzeigt, kann es durchaus möglich und lohnenswert sein, die ursprüngliche Funktion eines Projekts beizubehalten. Voraussetzung ist natürlich, dass sich die erforderlichen Sanierungsmaßnahmen hinreichend durchführen lassen – dies gilt vor allem für Wohnbauten, die heute einem Mindeststandard gerecht werden müssen. Durch eine Umnutzung ist es jedoch auch möglich, die ursprüngliche Wohnqualität einer Gegend anzuheben. Dies gilt vor allem dann, wenn neben dem Gebäude gleichermaßen die Umgebung einen sprichwörtlich neuen Anstrich erhält. Ehemals desolate Gegenden mit nur wenig Aufenthaltsqualität lassen sich auf diese Weise zu beliebten Quartieren innerhalb der Stadt umformen.
Häufig entscheidet neben Baustil und Lage, der Bedarf in der Bevölkerung darüber, welche Einrichtungen in einem Gebäude Platz finden. Ein weiteres vorbildliches Projekt, das sich mit dem Thema der Umnutzung auseinandersetzt, stammt aus dem Hause MSA und V+. Das Büro aus Brüssel widmete sich dabei der Realisierung eines sozialen Wohnbaus und bietet damit einen innovativen Ansatz für die sich verändernden Bedürfnisse der Menschen im 21. Jahrhundert.
Welche Art der Nutzung also für ein bestimmtes Gebäude infrage kommt, hängt von unterschiedlichen Faktoren ab. Soll eine Sanierung die Ausgangssituation verbessern und die Lebensqualität in einem Quartier steigern, sind die Wünsche der Menschen zu berücksichtigen. Erfolg versprechen partizipative Projekte, welche die zukünftigen Nutzer in die Gestaltung der Objekte mit einbeziehen.

 

DeFlat Kleiburg

DeFlat Kleiburg
Foto:©Marcel van der Burg

 

Text:©Dolores Stuttner

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Kategorie: Architekturszene