Terrassenwohnbau statt Einfamilienhaus
Ein Konzept in Richtung Nachhaltigkeit
In Wien mangelt es derzeit vor allem an günstigem Wohnraum mit hoher Lebensqualität. Mit dem Terrassenbau, der selbst auf begrenztem Raum die Realisierung von Grünflächen ermöglicht, ließe sich diese Entwicklung umkehren. Laut Gerhard Steixner, Professor für Hochbau an der Technischen Universität Wien, eignet sich die Terrassenwohnung hervorragend, um hohe Wohnqualität zu erschwinglichen Verhältnissen für eine große Zahl von Menschen zur Verfügung zu stellen.
Vom 31. Jänner bis zum 06. Februar 2017 wurden Besuchern in der TVFA-Halle der Technischen Universität Wien im 4. Wiener Gemeindebezirk zukunftsweisende Projekte für den Wiener Wohnbau präsentiert – den Anlass hierfür stellte die Architekturausstellung „Luxus für Alle – Prototypen für die Grüne Stadt“ dar. Im Mittelpunkt der Ausstellung stand dabei der Terrassenwohnbau. Mit dieser Form des Wohnkonzepts aus den 1970er-Jahren, welches in Wien unter anderem vom 2016 verstorbenen Architekten Harry Glück mit dem Wohnpark Alterlaa im 23. Wiener Gemeindebezirk umgesetzt wurde, sollen Grün- und Freiflächen selbst auf begrenztem Raum einer möglichst großen Zahl von Einwohnern zugänglich gemacht werden. Verantwortlich für die Organisation der Ausstellung war Architekt Professor Gerhard Steixner – mit „Luxus für Alle“ legte dieser den Schwerpunkt in erster Linie auf urbane Wohnräume, die ihren Bewohnern durch starken Bezug zur Natur hohe Lebensqualität sichern. Über mehrere Jahre hinweg setzten sich Studierende gemeinsam mit Steixners Team mit Terrassenhäusern in ganz Europa auseinander, um so einen Einblick in die Vorzüge und das Potenzial jener Wohnform zu erhalten.
Das Ergebnis dieser Recherche waren 3000 Projekte, die von mehr als 500 Studenten entworfen und in Form eines Stadtmodells mit 16.000 Wohneinheiten im Maßstab 1:200 umgesetzt wurden. Zu sehen war dabei eine sehr große Bandbreite an Ideen – unter den Entwürfen befanden sich unter anderem kleinteilige Wohnformen, futuristisch anmutende Projekte sowie großvolumige Baublöcke. Im Fokus der Arbeiten standen vor allem Wohneinheiten, die ihren Bewohnern durch direktes Sonnenlicht sowie mit integrierter Bepflanzung ein naturnahes Umfeld zur Verfügung stellen. Zusätzlich verfügten alle gezeigten Modelle in Bezug zur Wohnfläche über 20 Prozent an privaten Freiflächen in Form einer Terrasse. Mit dieser architektonischen Vielfalt sollen Alternativen zum derzeit vorherrschenden Wohnbaukonzept der Stadt Wien aufgezeigt werden – laut Steixner bauen aktuelle Wohnprojekte nämlich „an den Wünschen der breiten Bevölkerung vorbei“, was bei der städtischen Bevölkerung auf lange Sicht zu Frustrationen beitrage. In den Terrassenwohnungen sieht der Professor die Möglichkeit, den Einwohnern die Qualität des Einfamilienhauses – ein Wohnkonzept, das von vielen Personen noch immer als erstrebenswert erachtet wird – in verdichteter Form in der Stadt zur Verfügung zu stellen.
Aufklärungsarbeit für den Wiener Wohnbau
Ein Problem für das Ortsbild der Stadt Wien und den städtischen Verkehr stellt das stetig wachsende Umland mit seinen Einfamilienhaussiedlungen dar. Dass das Einfamilienhaus keine raum- und umweltfreundliche Lösung für die Zukunft darstellt, ist aus städtebaulicher Sicht klar – zu hoch ist der Flächenverbrauch, welcher im schlimmsten Fall zur Zersiedelung sowie einer Verwahrlosung innerstädtischer Areale führt. Trotzdem gilt diese Wohnform für zahlreiche Menschen immer noch als Ideal. Viele Stadtbewohner, die es sich leisten können, ziehen in den sogenannten „Speckgürtel“ im Süden Wiens. Hauptgrund für diese Stadtflucht sind schlechte Wohnverhältnisse, die zu einer generellen Unzufriedenheit in der Wiener Bevölkerung führen. Die Lösung dieses Problems sieht Steixner in einem bewohnerzentrierten Städtebau. Gemeint ist damit nicht nur eine an die Bedürfnisse der Bevölkerung angepasste architektonische Gestaltung der Gebäude und Wohnungen, sondern das Ansetzen von „leistbaren“ Kosten für den Wohnraum. Der Preis soll gemäß Steixner dabei so ausfallen, dass die Wohneinheiten samt Grünfläche für einen möglichst großen Personenkreis erschwinglich sind. Tatsächlich hat die Stadt Wien derzeit mit einem Mangel an kostengünstigem Wohnraum zu kämpfen. In zahlreichen Wiener Stadtteilen, die ehemals als Standorte günstiger Wohnungen bekannt waren, setzte in den letzten Jahren der Prozess der Gentrifizierung ein. Diese Entwicklung brachte zwar einerseits die Aufwertung eines Bezirksteils, aber anderseits einen Anstieg der Wohnkosten mit sich – ein solcher Prozess hat unweigerlich die Verdrängung einkommensschwacher Bevölkerungsgruppen zur Folge. Das Terrassenhaus sieht Georg Steixner als optimale, zukunftsweisende Bauform an, mit der sich dieses Problem lösen ließe – hohe Lebensqualität und leistbares Wohnen lassen sich laut dem Professor mit jener Architektur gut vereinbaren.
„Größtmögliches Glück für eine größtmögliche Zahl von Menschen“
Wenn die Architektur des Wohnbaus keiner funktionalen Logik folgt, sondern vor allem Ästhetik und Prestige in den Vordergrund stellt, sind in puncto Lebensqualität erhebliche Einbußen zu erwarten. Werden beim Planen von Wohneinheiten hingegen in erster Linie die Wünsche der Bevölkerung berücksichtigt, dann steigt gleichzeitig die Akzeptanz für Bauwerke, die auf den ersten Blick extrem wirken. Das Musterbeispiel für ein solches Projekt, das gleichzeitig mehr als 3.200 Wohnungen enthält, ist der eingangs erwähnte Wohnpark Alterlaa in Wien, Liesing. Die im Jahr 1985 fertiggestellte Anlage mit ihren vier markanten Türmen ist eine der größten Wohnsiedlungen Österreichs und zählt mittlerweile mehr als 11.000 Einwohner. Gleichzeitig gilt der Stadtteil in puncto Großwohnsiedlung als Vorzeigeprojekt – immerhin stellt der Wohnpark Alterlaa heute eine der wenigen funktionierenden Satellitenstädte dar. Die auf einem Areal von 240.000 m² gelegene „Stadt in der Stadt“ zeichnet sich dabei durch ein ausgebautes Freizeit- und Dienstleistungsangebot sowie ihre Nähe zu Grünflächen und Naherholungsgebieten wie dem Liesinger Bach aus. Das Markenzeichen der Bauwerke stellen jedoch die terrassenförmig angelegten Wohneinheiten dar. Diese entsprechen Harry Glücks Konzept vom gestapelten Einfamilienhaus und sind daher bis zum zwölften Stock mit Pflanzentrögen, die als Sichtschutz und Kleingarten dienen, sowie einem privaten Freiraum in Form einer Loggia ausgestattet. Ein großes Anliegen der Architekten war es außerdem, den Wohnpark Alterlaa so zu planen, dass dieser nicht zur Schlafsiedlung wird. Aus diesem Grund steht den Bewohnern der Siedlung sowohl im Haus als auch im nahe gelegenen Einkaufspark eine große Zahl von Gemeinschaftseinrichtungen und Nahversorgern zur Verfügung. Gemäß Harry Glück konnte mit diesem Konzept in Bezug auf den Wohnbau das „größtmögliche Glück für eine größtmögliche Zahl von Menschen“ realisiert werden. Selbstverständlich ist der Wohnpark Alterlaa unter den Gesichtspunkten der heutigen Raumplanung verbesserungswürdig. So harmonieren die Türme des Wohnpark Alterlaa aus städtebaulicher Sicht nur wenig mit der umliegenden Bebauung und der Stadtlandschaft. Zudem sind die Freiflächen zwischen den Hochhäusern nur wenig einladend, was nicht zuletzt den begrenzten Aufenthaltsmöglichkeiten sowie dem erhöhten Windaufkommen zu verdanken ist. Trotzdem genießen die Wohnbauten unter der Wiener Bevölkerung und insbesondere bei ihren Bewohnern ein hohes Ansehen. Zurückzuführen ist diese Tatsache vor allem auf die hohe Lebensqualität in diesem Stadtteil. Der Wohnpark Alterlaa sowie die Grundidee hinter dem Konzept ist somit durchaus als Vorbild für den Wiener Wohnbau anzusehen.
Text und Fotos: ©Dolores Stuttner
Kategorie: Architekturszene, News