Auf der Suche nach neuen Lösungen
Das Architekturbüro „silberpfeil-architekten“ steht seit 2001 für dynamische und innovative Architekturentwicklungen, die sich durch einen hohen Anspruch an Qualität und Nutzerorientierung auszeichnen. Im Interview geben die Gründer Peter Rogl und Christian Koblinger sowie die Architektin Christina Lang Einblicke in ihre Arbeitsweise, ihre Philosophie und die Herausforderungen moderner Architektur.
Das Motto auf Ihrer Website lautet „Inhalt schafft Raum“. Was ist damit gemeint?
Peter Rogl: Mit Inhalt ist der gedankliche, konzeptuelle Überbau gemeint, der in all unseren Projekten die Basis des Ergebnisses, also den Raum bildet. Wir beschäftigen uns tiefgründig mit jeder Thematik, die ein Auftrag verlangt. Durch intelligente Lösungen und Berücksichtigung von Kontext und Inhalt schaffen wir diesen ganz besonderen, einzigartigen Raum. Unser Motto beschreibt also die fundierte Auseinandersetzung mit den Parametern jedes Projekts und den dadurch generierten Mehrwert.
Ist der Name „Silberpfeil” Programm, und wenn ja, was sagt er aus?
Peter Rogl: Bei Gründung von silberpfeil-architekten vor bald 25 Jahren war der Name Synonym für Innovation, dynamische Prozesse und Teamgeist. Gegenwärtig sind wir in einem Prozess der unternehmerischen Veränderung, in dem ein erweiterter Personenkreis Verantwortungen bekommt. Wir analysieren dabei unser Unternehmen tiefgreifend, Werte, Identität und Profil werden geschärft und am Ende feilen wir vermutlich auch am Unternehmensnamen. Alles ist in Bewegung! Mehr möchten wir aber noch nicht verraten.
Das seit 1917 im Gartenpalais Schönborn beheimatete Volkskundemuseum Wien ist nicht nur eines der großen internationalen ethnographischen Museen Europas, sondern auch ein offener Ort für soziale Interaktionen, Diskurse und partizipativen Austausch. Diesen Anspruch kann das Haus gegenwärtig nicht optimal erfüllen, daher entwickeln Silberpfeil Architekten das Wettbewerbsprojekt im engen Austausch mit der Museumsleitung weiter, um die Philosophie des Museums in Einklang mit der Architektur zu bringen. © SpA
Wie kann man Ihre Arbeitsweise als Architekturbüro beschreiben?
Christian Koblinger: In dem zuvor beschriebenen Prozess haben wir uns selbst als harmonischen heterogenen Haufen bezeichnet. Es wird mehr oder weniger alles im Team erarbeitet. Dieses Team ist multikulturell, jung und zeichnet sich durch ein großes Interesse an und Verständnis für die Position der anderen aus. Das führt bei sehr unterschiedlichen Charakteren, Denk- und Arbeitsweisen mitunter zu langen Diskussionen und Entwicklungsprozessen, am Ende aber auch zu fundierten Ergebnissen in den Projekten.
Wie definieren Sie Ihre Rolle als Architekten und euren Standort im Spannungsfeld der Architektur zwischen Kunst, Wirtschaft und dem von manchen nicht gern gehörten Begriff Dienstleistung?
Christina Lang: Die Architektur war in jeder Epoche im Spannungsfeld vielfältiger gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Vorgaben und Rahmenbedingen. Wir verstehen uns in diesem Spannungsfeld einerseits als Mediatoren, bei denen die Rahmenbedingungen zusammenlaufen. Auf der anderen Seite sehen wir uns aber auch als Fürsprecher und Verfechter qualitätsvoller Architektur. Wir verstehen „Dienst“ nicht als Pflicht, sondern als Aufgabe. Damit können wir gut leben und ich denke, wir erfüllen unsere Rolle in dem angesprochenen Spannungsfeld verantwortungsvoll und zugleich selbstbewusst.
Schulumbau und Erweiterung Reichsapfelgasse: Das neue Kopf- und Eingangsgebäude ist in Holzbauweise mit einem extrem hohen Vorfertigungsgrad konzipiert, was zu kurzen Bauzeiten und einer Reduktion der Emissionen führt. Durch die Weiterentwicklung der bestehenden Struktur und die Verbindung mit dem Neubau entstehen spannende Innenräume mit hochwertigen multifunktionalen Raumsequenzen und direktem Zugang zu den Freiräumen. © janusch
Sie haben 2023 ein wettbewerbsähnliches Verhandlungsverfahren für die Sanierung des Wiener Volkskundemuseums gewonnen. Welcher Leitgedanke steht hinter dem Projekt?
Christian Koblinger: DDas Thema Bauen im Bestand, Sanieren, Restaurieren und neu Strukturieren, begleitet unser Büro seit 25 Jahren, als wir unseren allerersten Wettbewerb zu dem Thema gewinnen konnten. Was wir damals als Ausflug in eine neue Welt erlebt haben, ist seither in den unterschiedlichsten Formen ein Schwerpunkt unserer Tätigkeit. In dieser Zeit haben wir gelernt, dass unsere Konzepte und Antworten auf die heterogenen Parameter jedes einzelnen Projekts abzustimmen sind. Einmal ist es eine Neustrukturierung mit starken Interventionen, ein anderes Mal sind die Eingriffe, die wir planen, minimal. Einmal ist unser architektonisches Konzept sofort klar, ein anders mal entwickelt es sich Schritt für Schritt als Ergebnis von Recherche und Spurensuche.
Trotzdem, vielleicht aber auch weil wir uns beim Wettbewerb für das Volkskundemuseum sehr bald einig waren, Interventionen unter Wahrung der DNA der historischen Architektur vorzunehmen, also behutsam und respektvoll an dem Palais weiterzuarbeiten, war jeder Eingriff, jeder Abbruch, jede Ergänzung von langen Diskussionen im Team begleitet. Oft haben wir gemeint, ein optimales Ergebnis zu haben, und am nächsten Tag doch wieder überarbeitet. Die kleine Intervention, die oftmals nicht sichtbare Veränderung im historisch wertvollen Bestand, ist eine weit komplexere Aufgabe als die radikale Veränderung. Ich denke wir haben durch diese Art zu arbeiten, fernab ökonomischer Vernunft für unser Büro, das Haus aus den verschiedensten Betrachtungswinkeln kennengelernt und so unsere architektonischen Antworten und Konzepte für die notwendigen Veränderungen gefunden. Dieser behutsame Umgang mit der historischen Substanz gilt auch für die nachhaltige und energetische Verbesserung im Bereich der baulichen Substanz und der Haustechnik.
Schulumbau und Erweiterung Reichsapfelgasse © janusch
Bei einem im vergangenen Jahr gewonnenen Wettbewerb, der Generalsanierung der Ganztagesvolksschule Reichsapfelgasse in Wien, greifen Sie stark in die bestehende Substanz ein. Worauf kommt es bei derartigen Projekten an?
Peter Rogl: Wir haben diesen Wettbewerb zusammen mit unseren Freunden von MAGK Architekten gewonnen und bearbeiten das Projekt als Arbeitsgemeinschaft. Diese Zusammenarbeit ist sehr produktiv und konstruktiv, weil wir unsere Expertise zum Bauen im Bestand und MAGK die Kompetenz im modularen Holzbau einbringen können. Bei diesem Projekt sind die Maßnahmen im Bestand tiefgreifender als im Volkskundemuseum, weil wir nur so den Anforderungen zeitgemäßer pädagogischer Konzepte den entsprechenden Raum bieten können. Im Bestand werden daher dort, wo es funktionale und innenräumliche Verbesserungen erforderlich machen, Umstrukturierungen vorgenommen. Die bestehende Volksschule soll durch die Schaffung neuer Funktionsabfolgen und Raumlösungen, aber vor allem durch die sinnvolle Ergänzung des Kopfneubaues in Holzbauweise in ihrer Qualität gestärkt werden. Bei der Erweiterung der Schule wird mittels vorgefertigter Holzbauweise darauf geachtet, dass, abgesehen von einer energetisch hochwertig gedämmten Gebäudehülle, Holz mit all seinen Vorteilen als nachwachsender, nachhaltiger Rohstoff effizient eingesetzt wird.
Die günstigen Eigenschaften des Holzbaus kommen auch bei der Sanierung der Gebäudehülle zu tragen. Vorgefertigte Holzrahmenelemente werden der Bestandsfassade vorgehängt und verbessern damit den U-Wert des Gesamtsystems erheblich. Die Verbindung von Neu und Alt ist mechanisch – nicht wie bisher gängig verklebt – und damit trennbar konstruiert, um eine vollständige Zerlegbarkeit und Wiederverwendung zu ermöglichen. All diese Aspekte unterstützen die Stadt Wien als Bauträgerin dabei, die „3 K‘s“ der Nachhaltigkeitsstrategie – Klimaschutz. Klimaanpassung, Kreislaufwirtschaft – in diesem Schulprojekt konsequent umzusetzen.
Um die Ecke denken, war die Leitidee zum Projekt A49. Um die Potenziale des Standorts optimal zu nutzen, war es naheliegend, eine architektonische Gliederung mit schuppenartig angeordneten Erkern und Freiflächen zu entwickeln. So ergeben sich interessante Blickachsen in den Straßenraum und das Erscheinungsbild trägt zur Bereicherung und Lebendigkeit des Umfelds bei. © LIV.at, nunofoto.com
Viele eurer Projekte kommen aus Wettbewerbsgewinnen. In welchem Verhältnis stehen gewonnene und nicht gewonnene Wettbewerbe?
Christian Koblinger: Das Verhältnis ist noch nicht gut genug!
Steht der Gewinn eines Wettbewerbs in einer akzeptablen Relation zum Aufwand? Sind offene Wettbewerbe Ressourcenverschleuderung oder eine Notwendigkeit?
Peter Rogl: Im besten Fall ist der Architekturwettbewerb ein Innovationsmotor und Garant für eine Entwicklung des Bauwesens, bei der die Anforderungen der Zukunft in der Entscheidung für das beste Projekt Berücksichtigung finden. Dafür braucht es aber weit mehr Mut der Entscheidungsträger und Jurys als wir gegenwärtig wahrnehmen. Wir denken auch, dass kooperative Verfahren und generell mehr offene Kommunikation im Wettbewerb Sinn machen würden und so wichtige Aspekte der Ökologie, Soziologie, der Stadtentwicklung, der Standortentwicklung und natürlich der Architektur in Einklang gebracht werden könnten. Wenn der Wettbewerb dazu dient, lediglich das ökonomischste Projekt zu finden, dann ist das frustrierend und langläufig auch nicht zielführend. Für unser Büro war und ist der Wettbewerb überwiegend der Weg zu den wirklich spannenden Projekten, die wir bearbeiten und bearbeitet haben.
Zu- und Umbau am HBLA Semmelweißareal: Im Zuge der Revitalisierung der Parklandschaft zwischen den Häusern 1+2 formuliert sich die „Gemeinsame Mitte“, ein attraktiver Frei- und Erholungsraum, welcher Mehrwert für das zukünftige Bildungsareal in Form eines neu geschaffenen Subzentrums bietet. © janusch
Allerorts wird die Zunahme von Normen und Regulierungen im Bauwesen beklagt. Nimmt die Normierung aus Ihrer Sicht tatsächlich überhand?
Christian Koblinger: Zweifelsfrei sind wir mit einem unglaublichen Normenwahn konfrontiert. Der ist aber auch Abbild einer generellen gesellschaftlichen Entwicklung und Tendenz, wo sich jeder gegen alles absichern möchte. Das beschränkt sich ja nicht auf das Bauwesen alleine, das betrifft alle Lebensbereiche. Natürlich sind wir als Architekten davon besonders betroffen, weil es uns so viele Spielräume, die Architektur braucht, nimmt.
Die österreichische Architektenkammer hat kürzlich postuliert: „Österreich ist genug bebaut“, ruft also quasi ein Ende des Neubaus aus. Teilen Sie diese Ansicht?
Peter Rogl: Wir haben eine ähnliche These bereits 2012 in Vorträgen vertreten, ohne die Bedeutung des Neubaus für Innovationen damit schmälern zu wollen. Damals haben wir gesagt: Europa ist gebaut und wir können bei dem prozentuell verschwindend geringen Anteil von Neubauten in Städten wie Wien keine großen Veränderungen an Lebensqualität, Strukturverbesserung, oder Energieverbrauch erreichen. Wenn wir unsere Lebensqualität substanziell und im breiten Rahmen verbessern wollen, dann müssen wir beim Gebauten ansetzen. Damals lag der Prozentsatz von Wiener Gebäuden, die mehr als fünfzig Jahre alt sind, bei mehr als 70 Prozent. Der Neubauanteil beträgt im besten Fall ein Prozent pro Jahr. Wir sehen daher schon seit langer Zeit den wesentlichen Schlüssel für eine nachhaltige Stadtentwicklung in der Verbesserung und Neustrukturierung des bereits Gebauten für die Anforderungen der Zukunft. Daraus abzuleiten, dass kein Neubau mehr erfolgen soll, wäre allerdings kurzsichtig und absurd. Du kannst im Bestand nicht alle Bedürfnisse optimal erfüllen. So sind bei der Umsetzung von „design for all“ im Neubau bessere Lösungen einfacher zu erreichen.
Zu- und Umbau am HBLA Semmelweißareal © janusch
Unbestritten ist, dass das Bauwesen und damit die Architektur auf aktuelle Themen wie Klimawandel reagieren muss. Wo sehen Sie Architektur und die Rolle der Architekten in der Zukunft?
Christina Lang: Der Bausektor hat einen wesentlichen Anteil am Klimawandel und seinen Auswirkungen. Dieses Faktum sehen wir aber auch als große Chance, da ein breites Spektrum an Verbesserungspotenzial gegeben ist. Dieser großen Verantwortung sind wir uns bewusst, bilden uns in Sachen nachhaltiges und ressourcenschonendes Planen und Bauen laufend weiter und setzen diese Erkenntnisse in unseren Projekten um. Die Maßnahmen sind so individuell wie die Projekte selbst und es muss von Fall zu Fall entschieden werden, welche Maßnahmen aus architektonischer und wirtschaftlicher Sicht vertretbar sind und ein Maximum an Effekt bieten. Einmal ist es die Wahl des Energieträgers, ein anderes Mal die Steigerung der Flächeneffizienz mittels intelligenter Grundrisslösungen. Reduzierung von Versiegelungen, Nachverdichtung statt Bauen auf der grünen Wiese und design for all sind uns ein großes Anliegen und bestimmen oft auch die Auswahl unserer Projekte.
Unsere Rolle als Architekten sehen wir in diesem Zusammenhang als kompetente Partner unserer Auftraggeber, die teilweise schon recht zukunftsorientierte Planungsvorgaben ausgearbeitet haben. Bei der Umsetzung geben wir uns meist aber nicht mit diesen Mindestanforderungen zufrieden, sondern versuchen uns mit innovativen Ideen und Vorschlägen zusätzlich einzubringen, mit dem Wissen und der Verantwortung im Hinterkopf, dass wir nur diesen einen Planeten haben.
So haben wir uns als Generalplaner beim Projekt Volkskundemuseum dafür eingesetzt, dass die ursprüngliche Projektvorgabe – nämlich der Erhalt und die Sanierung der bestehenden Gasheizung – abgeändert wird und innerhalb des Sanierungsprojektes auf eine resourcenschonende, energiesparende Wärmepumpe umgestellt wird.
Was macht gute Architektur aus, nach welchen Kriterien definieren Sie sie?
Peter Rogl: Gute Architektur bietet der Aufgabe angemessene, räumliche Konzepte, die technisch auf höchstem Niveau umgesetzt werden. Das ist uns nicht genug. Sehr Gutes und Unverwechselbares entsteht durch die Auseinandersetzung mit der DNA eines Standorts oder Bestandsgebäudes, der Integration von Lösungen zu Zukunftsthemen, den Nutzeranforderungen und der Suche nach immer neuen Lösungen und Innovation. Es ist wie kommerzielle Markenmode im Unterschied zur Haute Couture! Es ist wie kommerzielle Kunst im Unterschied zur Avantgarde!
Interview: Roland Kanfer
Kategorie: Architekten im Gespräch, Kolumnen