Auf die Bedürfnisse der Menschen reagieren
Architektin Laura Andreini von ARCHEA ASSOCIATI
Frau Architekt Andreini, Sie unterrichten viel an Universitäten und Schulen, welche Probleme treten da auf?
Beim Unterricht ist es nie gut, die eigenen Arbeiten zu präsentieren, das ist sogar gefährlich für die Karriere. Weil die Menschen glauben dann immer, man sei der Konstrukteur, nicht der Architekt. Wenn man in einer Klasse mit Studenten ist und mit ihnen über Architektur spricht, über die Erfahrung als Architekt, über die Probleme mit verschiedenen Konstruktionen und Fassaden, über „work in progress“ – dann sind sie fasziniert, dann können sie etwas lernen und mitnehmen, dann sehen sie den Prozess. Dann verstehen sie vielleicht, was gute Architektur mit einem großen Anfangsbuchstaben ist.
Welche Kriterien haben Sie für gute Architektur?
Ich hatte einen Professor, der hat gesagt: „Wenn man ein neues Gebäude sieht, es aber so aussieht, als ob es schon immer da gewesen sei – dann ist es ein gutes Gebäude!“
Bedeutet das den Kontext zum Umraum?
Ja, wenn es einen guten Zusammenhang mit dem Umraum hat, wenn die Materialien stimmen und die Architektur auch mit der Technologie und der Kultur zusammenpasst, dann ist es OK!
Wie sieht es mit dem sozialen Kontext aus?
Auch der soziale Zusammenhang ist wichtig, damit die Architektur demokratisch sein kann. Heute, in der Globalisierung findet ein Wandel in der zeitgemäßen Architektur statt. Projekte sind nicht mehr statisch, sondern verändern sich ständig und konstant. Als Architekt ist es schwierig, sich nur auf eine Richtung, auf eine Ideologie zu fixieren. Heute findet eine Dekontaminierung verschiedenster Ideologien statt. In diesem Kontext denken wir nicht an eine heutige Ideologie, sondern daran, wo die Menschen gut und gerne leben. Das haben bei der heurigen Architekturbiennale in Venedig auch die Kuratorinnen (Grafton Architects) mit ihrem Motto „Freespace“ gemeint: eine demokratische Architektur. Architektur ist eine positive, aktive Disziplin, sie kann nicht nur auf die Vergangenheit reagieren. Wir müssen heute, so wie die Graftons, von der Generosität und dem Humanen der Architektur sprechen. Es ist gut und notwendig, etwas von Technologie und Materialität zu verstehen, aber es muss der soziale Teil betont werden: Architektur ist für jeden!
Glauben Sie, dass die Graftons den Weg von Alejandro Aravena (2016) weiterführen werden?
Ja, das glaube ich. Auf der Biennale kann man immer Versuche einer guten Lösung für die Architektur der Zukunft finden. Meiner Ansicht nach haben die Graftons dieses Problem betont und einen Fokus darauf gebracht.
Architektin Laura Andreini von ARCHEA ASSOCIATI in Florenz ist weltweit tätig, in Beijing, Dubai, San Paolo und Europa. architektur sprach mit ihr über die Problematik von Vermittlung in der Architektur und über die Verantwortlichkeit der Architekten. Foto:©ARCHEA ASSOCIATI
Kann man als Architekt von der Architektur lernen?
Ja, das glaube ich schon. Wenn Architekten viel reisen, lernen sie von anderen Kulturen, anderen Projekten und Architekten. Sie können das auf die eigene Arbeiten anwenden. Selbst kann man kaum etwas Neues erfinden, aber lernen und aufnehmen kann man sehr viel und daraus eigene Variationen entwickeln. Für mich ist das sehr wichtig.
Kann man auch die Welt durch Architektur verändern?
Architektur hat einen sehr großen Einfluss auf die Gesellschaft. Sie ist auch ein wesentlicher Teil unserer Welt. Wir haben heute durch die Immigration und auch durch die Globalisierung eine neue Situation in der urbanen Umgebung, die Städte sind nicht mehr statisch, sondern in Bewegung. Man darf ebenso die Gebäude nicht mehr als statische Objekte denken, sondern was heute so ist, kann morgen anders sein, neue Funktionen verlangen und auch beinhalten. Es muss eine flexible Architektur in einer kontinuierlichen Bewegung sein.
Das hat auch schon Lucius Burckhardt postuliert – eine Architektur, die sich auf die jeweiligen Nutzer in der Zeit anpasst.
Ja, es ist ganz wichtig, das zu verstehen, Architektur kann nicht mehr passiv sein, sie ist fließend. Das ist ein Fokus, der auch die Mentalität der Architekten und Planer ändert. In der Vergangenheit konnte man in Italien in der Stadt lange Zeit nichts verändern.
ANTINORI WINERY – San Casciano Val di Pesa, Italia, 2004-2013, Foto:©Pietro Savorelli
„Form follows Function“ gilt also nicht mehr, denn die Funktion ändert sich durch die Menschen und durch soziale Kriterien. Wohin, glauben Sie, wird sich die Architektur der Zukunft entwickeln, organisch, beweglich, atmend, Hightec …?
Vielleicht wird es keinen spezifischen Stil in der Architektur der Zukunft geben, es wird um die gute Lösung des Augenblickes, des Momentes gehen. Die Architektur wird immer auf die spezifischen Bedürfnisse der Menschen und der Situation reagieren müssen. Heute benötigt man einen Raum für eine bestimmte Aktivität, morgen für eine andere – das heißt, sie muss flexibel werden.
Das könnte auch eine Bedeutung von „Freespace“ sein!
Ja, der „Freespace“ hat in seiner Bedeutung frei für jeden zu sein.
Was halten Sie von einer Architektur, die von Computern und Robotern erzeugt wird?
Die Technologie dafür ist wichtig, aber das sind nur Instrumente.
Was halten Sie von Gebäuden, die nur ein Image sind, eine Landmark?
Ikonische Gebäude sind mehr für Touristen, für das Marketing als für den Menschen. Sie haben den Aspekt, dem Menschen Schutz zu bieten, verloren. Sie dienen mehr dem Prestige der Architekten, eigentlich ist das nicht Architektur, sondern Kunst.
Kann man sich als Architekt das perfekte Gebäude im Kopf imaginieren?
Ja, aber ein Gebäude steht nicht für sich alleine, es steht in einem Kontext und es verändert zugleich auch den öffentlichen Raum der Stadt. Das ist ein sehr komplexer Prozess. Und dieser Verantwortlichkeit muss sich der Architekt immer bewusst sein.
Appartements in Via Milano Maestri Campionesi, Foto:©Pietro Savorelli
Text:©Peter Reischer
Kategorie: Architekten im Gespräch, Kolumnen, Sonderthema