Die teuren Folgen von falschen Nutzwertgutachten
Verkauf von Wohnungen, deren Aufteilung im Erbfall oder die richtige Zuordnung von Kostenanteilen – etwa bei Sanierungen oder der jährlichen Betriebskostenabrechnung – brauchen eine exakte Berechnungsbasis: die Nutzfläche oder den Nutzwert. Dieser Nutzwert wird von Sachverständigen festgestellt, im Nutzwertgutachten dokumentiert, in den Wohnungseigentumsvertrag übernommen, und dann im Grundbuch verbüchert. Ist das Nutzwertgutachten falsch, kann das teuer werden. architektur sprach über diesen Themenbereich mit der Expertin Arch. DI Regina M. Lettner, Geschäftsführerin der baukult ZT GmbH – Architektur und Realitätenconsulting.
Parifizierung erfordert hohe Fachkompetenz
Entspricht der Grundbucheintrag nicht der Realität, führt das im schlimmsten Fall zur Auflösung der WohnungseigentümerInnengemeinschaft oder Rückabwicklung des Kaufvertrages. Geregelt ist das im Wohnungseigentumsgesetz [WEG 2002]. Auf Antrag sind die Nutzwerte vom Gericht insbesondere dann abweichend vom Nutzwertgutachten festzusetzen, wenn das Gutachten gegen zwingende Grundsätze der Nutzwertberechnung verstößt, oder bei einem Wohnungseigentumsobjekt um mehr als 3 Prozent von den tatsächlichen Gegebenheiten abweicht.
Die Architektin und Sachverständige Regina Lettner weiß, welche Fehler gemacht werden und wie sie zu vermeiden sind. Sie meint, dass es im Bewertungsverfahren viele Punkte gibt, die mehr Beachtung erfordern, als sie vielfach bekommen. Man sieht oft falsche Nutzwertgutachten und den Rattenschwanz an rechtlichen Folgen, den diese nach sich ziehen. Daher rät sie, Bewertungen nur von Profis machen zu lassen.
Klare Vorgaben im Wohnungseigentumsgesetz
Was genau zu tun ist, steht ebenfalls im Wohnungseigentumsgesetz. Auch Regelwerke wie die Vorgaben des Hauptverbandes der allgemein beeideten und gerichtlich zertifizierten Sachverständigen oder jene des Magistrats der Stadt Wien, der MA 25 geben Aufschluss über Anforderungen und Bewertungsmethoden. Die häufigsten Fehlerquellen sind:
- Keine (persönliche) Befundaufnahme
- Divergenzen zwischen Bauplan und Bestand und/oder sonstigen Unterlagen
- Das Bestandsobjekt ist nicht wohnungseigentumstauglich
- Falsche Nutzflächenberechnung
- Falsch gerechnete Zuschläge
- Fehlende oder unrichtige Zu- und Abstriche
- Die Zuordenbarkeit ist nicht gegeben
- Die Regelwohnung ist eine virtuell angenommene
- U. v. a. m.
Mit der persönlichen Befundung aller Wohnungseigentumsobjekte lassen sich Fehler vermeiden, etwa die Divergenzen zwischen Bauplan und Bestand, die alltäglich auftreten, wie Regina Lettner feststellt. Sie kenne kein einziges Zinshaus, bei dem der baubehördlich bewilligte Konsens mit der Realität übereinstimmt. Daher ist die häufig geübte Praxis riskant, die Raumnutzungen oder die Nutzfläche ohne Überprüfung einfach aus den baubehördlich bewilligten Plänen oder auch aus Verkaufsplänen zu übernehmen. Man muss nur zu oft feststellen, dass viele Flächensummen unrichtig sind oder einzelne Flächen falsch ausgewiesen werden – zu den „Klassikern“ gehört die falsche Bezeichnung von Balkon oder Loggia. Oft zeigen Verkaufspläne auch Flächen, die Allgemeinflächen sind, wie zum Beispiel Flachdächer oder Vorbereiche von Wohnungseingangstüren. Solche Abweichungen sind unbedingt zu klären. Auch der OGH hat in einem Urteil festgestellt, dass eine persönliche Befundung bei Gutachten unabdingbar ist.
Der Nutzwertcheck als Online-Tool
EigentümerInnen empfiehlt die Expertin, sich vorab selbst schlau zu machen, worum es hier überhaupt geht. Dazu hat baukult ein Tool entwickelt, mit dem man selbst den Nutzwert einer Wohnung näherungsweise berechnen kann. Dieser selbsterklärende Online-Check navigiert in vier Schritten durch das Programm:
Schritt 1: Eingabe der Objektdaten
Schritt 2: Eingabe der Nutzflächen von Wohnräumen, Keller, Lagerflächen, Balkonen, Terrassen, etc.
Schritt 3: Wahl der Zu- und Abschläge, beispielsweise Zuschläge für die Lage an einer verkehrsarmen Straße oder Abschläge für eine Wohnung im fünften Obergeschoss ohne Lift.
Schritt 4: Automatische Berechnung des Nutzwertes der einzelnen Wohnung
Selbstcheck ersetzt kein Gutachten
Klarerweise ist dieser Check kein Ersatz für das Nutzwertgutachten – wie auch ein Online-Kreditrechner von Banken kein Angebot für eine Kreditvereinbarung ist. Lettner betont, dass das Ziel aller Verantwortlichen sein muss, „richtige“ Eigentumsanteile auszuweisen, um den langen Rattenschwanz an rechtliche Konsequenzen zu vermeiden.
Foto:©Redtenbacher
Kategorie: Bau & Recht