Braucht Wien einen Universitätscampus mit Prestige?

14. Juli 2015 Mehr

 

Neben der Seestadt Aspern im Osten Wiens und dem Hauptbahnhof in Favoriten gilt der neue Campus der Wirtschaftsuniversität Wien in Leopoldstadt als eines der umfangreichsten Projekte der Bundeshauptstadt. Die parkartige Installation, die nach dem Vorbild angelsächsischer Bildungsstrukturen realisiert wurde, kostete Wien nicht weniger als 500 Millionen Euro.

 

 

Mit der Übersiedelung der Wirtschaftsuniversität Wien an den neuen Standort Leopoldstadt entstand der erste große Universitätscampus der Stadt. Auf insgesamt 90.000 m² wurden fünf neue Gebäude aus der Hand bekannter Unternehmen wie Zaha Hadid Architects, Estudio Carme Pinos, BUSarchitektur, CRABstudio, NO.MAD Arquitectos und Atelier Hitoshi Abe errichtet. Kennzeichnend für das Areal sind zudem die weiten asphaltierten Flächen. Grünraum sucht der Passant derzeit allerdings vergebens.

 

Die Architektur und ihr Einfluss auf die Lernfähigkeit

Studien ergaben, dass das architektonische Design einer Bildungseinrichtung nicht nur das Wohlbefinden, sondern auch die Lernfähigkeit der Studenten beeinflusst. Studenten verbringen im Durchschnitt 12,5 Stunden pro Woche in Lehrveranstaltungen. Auch gelernt wird oftmals in universitären Einrichtungen. Für den Erfolg nimmt unter anderem das Wohlbefinden einen wichtigen Stellenwert ein. Dabei ist die Gestaltung des jeweiligen Gebäudes von großer Bedeutung. Mithilfe eines lernfördernden Entwurfs kann im Idealfall sogar die Studienzeit verkürzt werden – „wer sich wohler fühlt, leistet auch mehr“, bestätigt Architekturpsychologin Rotraut Walden. Unter anderem waren diese Überlegungen Motivation für den Standortwechsel der Wiener Wirtschaftsuniversität.

Ursprünglich war die WU Wien in einem Glaspalast in Spittelau beheimatet. Das 1978 erbaute Gebäude im 9. Wiener Gemeindebezirk blieb weniger als 25 Jahre in Betrieb. Bereits 2005 gab es Pläne, den Hauptsitz der Universität zu verlegen. Kritisiert wurde am alten Standort neben der verwinkelten, unübersichtlichen Struktur vor allem der Mangel an geeigneten Lernplätzen. Zur Umsetzung dieses Vorhabens verhalf schließlich ein europaweiter Wettbewerb, der 2008 ausgeschrieben wurde. Das Ergebnis war der Campus WU im 2. Wiener Gemeindebezirk. Beim Entwurf des Projekts wurden nicht nur Experten, sondern auch die Meinungen der Studierenden berücksichtigt. Dadurch konnte ein Komplex entstehen, der mit einer hellen Innenraumgestaltung sowie durch großzügig angelegte Lernplätze in den Gebäuden punktet. Im Gegensatz zum alten Gebäudekomplex Spittelau bietet der viel gelobte WU-Campus also eine stark verbesserte Außen- und Innenraumgestaltung; perfekt ist das Projekt deshalb aber noch lange nicht.

 

Studentische Grätzel als Identität für die Stadt

Im Vergleich zum angelsächsischen Raum nehmen Hochschulen als architektonische Gebilde in Wien einen eher untergeordneten Stellenwert ein. Etliche historisch gewachsene Einrichtungen sind in Form unscheinbarer Gebäude über die Stadt verteilt und verfügen somit nicht über einen klassischen Campus. Als Beispiel ist hier die Universität Wien, welche die älteste Hochschule des Landes darstellt, zu erwähnen. Zwischen den einzelnen Institutsgebäuden vermisst der Besucher ein Studentenviertel mit Lokalitäten und öffentlichen Plätzen mit „Aufenthaltsqualität“.

Ortsfremden Personen fragen sich, warum sich im Umkreis wichtiger Bauten wie der so genannten „Hauptuni“ nur wenige Aufenthaltsmöglichkeiten für Studenten befinden. Eine Begründung für diesen Trend liegt in der Geschichte Österreichs. Zur Zeit Metternichs verlagerte sich das Leben in die Höfe sowie den privaten Raum. Ihre Freizeit verbrachte die Bevölkerung zumeist im privaten Umfeld, da öffentliche Plätze noch lange Zeit mit Bespitzelung in Verbindung gebracht wurden. Dieses Erbe ist im Wiener Ortsbild auch heute noch verankert.

Mittlerweile haben sich Experten mit der Frage auseinandergesetzt, ob ein so bedeutendes Gebäude wie eine Hochschule auch das Ortsbild prägen sollte. Immerhin wäre der hohe Stellenwert der Wiener Universitäten dann auch für Touristen klar erkennbar. Durch die Planung einer Fläche mit dominanten städtebaulichen Komponenten, wie sie auf dem Areal der WU Wien in Leopoldstadt zu finden sind, kann eine Bildungseinrichtung zu einer Landmark werden. Allerdings ist der Preis eines künstlich geschaffenen, vom Rest der Stadt getrennten Campus, eine fehlende Durchmischung des Publikums. Auch das heutige, wenngleich moderne Gelände der Wirtschaftsuniversität sieht sich mit dem Problem konfrontiert, dass dieses überwiegend von Personal und Studierenden frequentiert wird.

 

Ein verstecktes Vorzeigeprojekt für Europa?

Vom architektonischen Standpunkt aus hat die Fläche der WU im 2. Wiener Gemeindebezirk durchaus prägenden Charakter, weshalb diese als europäisches Prestigeprojekt gehandhabt wird. „Internationalität, Innovation, Vielfalt.“ Mit diesen Schlagworten wirbt der Campus, dessen Masterplan aus der Hand des Wiener Unternehmens BUSarchitektur von Architektin Spinadel stammt. An der Realisierung des Vorhabens waren insgesamt sechs Büros beteiligt, deren Entwürfe sich in Form farbenfroher und massiver Solitäre auf dem Campus manifestieren. Laut Architektin Laura Spinadel findet so mit dem Projekt des Campus WU eine Neuerfindung des Standortes zwischen Wiener Prater und Messegelände statt.

Bereits seit Baubeginn im Jahr 2012 ist der WU-Campus in den Medien ein häufiges Thema. Die bisherigen Meldungen fielen aufgrund baulicher Mängel aber nicht immer positiv aus – Schlagzeilen machten dabei vor allem die losen Betonplatten der Hausfassaden. Das Hauptproblem des künstlich geschaffenen Studentenviertels ist aber nicht etwa in den losen Fassaden und herabstürzenden Betonplatten zu finden. Wer sich die Lage und Beschaffenheit des Areals ansieht, bezweifelt, ob die bebaute Fläche tatsächlich einen positiven Einfluss auf die Umgebung hat. Deutlich wird dies bei der Gestaltung der Freiflächen und Durchgänge. Während beim Grünraumkonzept zwar von einer Flanier- und Begegnungszone die Rede ist, lädt der öffentliche Raum im Campus nur begrenzt zum Verweilen ein. Sitzgelegenheiten sind lediglich in den Eingangsbereichen vorhanden. Geschützte Aufenthaltsräume, die zum Ausruhen in den Gebäuden einladen, befinden sich in privater Hand. Sitzgelegenheiten sind oftmals Teil von Lokalitäten und setzen somit eine Konsumation der Studenten voraus.
Recht sparsam gingen die Planer auch bei der Bepflanzung des Areals vor. Grünräume sind zugunsten einer weitläufigen Betonwüste sehr spärlich gesät. In Anbetracht dessen, dass auf einer Fläche dieses Ausmaßes die Realisierung großer Rasenflächen möglich gewesen wäre, erfüllt das Projekt die Anforderungen der heutigen Zeit nicht. Zu kritisieren ist des Weiteren auch, dass trotz fehlender Parkanlagen im Areal keine räumliche Verbindung zum grünen Prater hin besteht. Obwohl ein Campus, wie die WU Wien, durchaus eine dominante prägende Komponente darstellen könnte, ist sie vom übrigen Teil der Stadt getrennt. Trotz ihrer beachtlichen Größe ist die Fläche beim Wiener Prater weitgehend versteckt – nach außen hin bilden die hohen Mauern der Bauwerke eine Grenze, und – bis auf Studierende und Lehrkräfte – verirren sich nur wenige Personen in das Areal. Unbeteiligten Passanten bleibt die Existenz der imposanten Fläche nahezu ganz verborgen. Dabei erweist sich selbst die auf der Homepage der Wirtschaftsuniversität angepriesene Tatsache, dass „Anrainer und Besucher auf dem Campus ausdrücklich willkommen“ sind, als wenig zielführend.

Soll der Campus WU tatsächlich zu einem Vorreiterprojekt für Europa werden, bedarf es sowohl einer Überarbeitung der Freiflächen als auch der Schaffung sichtbarer Zugänge. Auf diese Weise hätte das Areal der Wirtschaftsuniversität durchaus Chancen, zu einem prägenden Wiener Grätzel zu werden.

 

Text: Dolores Stuttner

 

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Kategorie: Architekturszene, Kolumnen