Coworking Spaces im Aufschwung

1. Oktober 2020 Mehr

Flexibilität und Offenheit halten in die Arbeitswelt und damit auch in die Architektur der Arbeitswelt Einzug. Die Entwicklung der Coworking Spaces ist auf diesen Trend zurückzuführen. Doch nicht nur Selbständige nehmen die vielseitigen Einrichtungen in Anspruch. Auch Kleinfirmen und deren Mitarbeiter finden hier eine produktive Umgebung vor.

Weltweit stehen Unternehmern und selbständigen Personen mittlerweile über 8.000 solcher Arbeitsbereiche zur Verfügung. Ihren Fokus legen die Einrichtungen – neben der Flexibilität – auf die Kommunikation und in weiterer Folge die Vernetzung. Immerhin war die gegenseitige Befruchtung von Ideen von Beginn an Kernelement der Coworking Spaces. Doch das moderne Konzept revolutioniert nicht nur die Berufswelt, sondern schafft auch neue Wege für die Umnutzung in der Architektur und bereichert das Stadtbild.

 

Büro Fabrik

 

Büro Fabrik

 

Die Stärken offener Raumstruktur
Das flexible Arbeitskonzept ist salonfähig geworden – immer mehr Unternehmen machen von ihm Gebrauch. Den räumlichen und konzeptuellen Unterschied zum klassischen Büro sehen Firmen hier durchaus als Chance, da die Einrichtungen durch ihre offenen Raumstrukturen Austausch und Vernetzung fördern. Heterogene Nutzergruppen haben somit die Möglichkeit, sich gegenseitig zu inspirieren.

Doch wodurch genau zeichnen sich moderne Coworking Spaces aus und worin liegt ihre Stärke? Tatsächlich ist das Konzept noch sehr jung. Die Vorstufe zu diesem entstand erst im Jahr 1995 in Berlin. Zu dieser Zeit wurde der erste sogenannte „Hackerspace“ ins Leben gerufen. Er diente schon damals dem Zweck des gemeinschafts­orientierten, flexiblen Arbeitens. Eine vergleichbare Einrichtung wurde 1999 in New York von „42 West 24“ eröffnet. Der Kommunikationsaspekt stand hier allerdings noch im Hintergrund.

Der nächste Coworking Space erblickte 2002 in Wien mit der Schraubenfabrik das Licht der Welt. Bekanntheit erlangte er zunächst als „entrepreneurs center“. Das gemeinschaftsorientierte Arbeiten stand hier aber von Beginn an im Fokus der Anbieter und stieß bei den Teilnehmern auf Anklang. Nicht umsonst sehen sich die Betreiber der Einrichtung selbst als „Mother des Coworking“ an.

Ab dem Jahr 2005 stieg die Zahl der Coworking Spaces weltweit schließlich stark an. Auch heute noch werden immer mehr der Einrichtungen eröffnet und weiterentwickelt. Viele von ihnen bieten mittlerweile eine Kombination an fixen und flexiblen Lösungen an. Kennzeichnend für jene Arbeitsbereiche ist, dass sie jedem Teilnehmer offen stehen und frei zugänglich sind. Einige Institutionen, wie das Coco-Quadrat im 4. Wiener Gemeindebezirk, stellen ihren Besuchern sogar stundenweise Tische zur Verfügung.

Interessant ist, dass sich die Mehrzahl der modernen Arbeitsplätze nicht in neuen Gebäuden ansiedelt. Vielmehr dienen ihnen ältere, historische Bauten sowie frühere Standorte nunmehr verlassener Einrichtungen als Zuhause. Einzelarbeitsplätze sind offen angelegt und ermöglichen damit einen Austausch. Und ebendiese Kombination aus Flexibilität und räumlichem Komfort ist eine der größten Stärken des Coworking.

 

 

House of Bandits © Jolly Schwarz

 

Intelligente Umnutzung
Anzutreffen sind viele der gemeinschaftsorientierten, flexiblen Arbeitsplätze also in ehemaligen Fabriken, Geschäften und sogar Kinos. Betreiber schätzen besonders die offene Gestaltung jener Räumlichkeiten. Die hohen Zimmerdecken alter Industriebauten sorgen in Kombination mit großen Fenstern für eine einladende Atmosphäre.

Betreiber von Coworking Spaces sehen in stillgelegten Firmengebäuden Potenzial und fördern deren Umnutzung. Damit beeinflusst das noch junge Konzept bereits das Ortsbild vieler Städte. Da die Einrichtungen aufstrebende Berufstätige anziehen, tragen sie sogar zum Aufwerten von Stadtteilen bei. Ein Positivbeispiel dafür ist die Büro Fabrik im 10. Wiener Gemeindebezirk. Realisiert wurde sie in einer verlassenen Glasfabrik im ehemaligen Arbeiterbezirk. Das Bestreben der Betreiber war es, den ursprünglichen Charme der Werkstatt trotz der Sanierung zu erhalten. Heute stehen Coworkern auf einer weitläufigen Fläche mit industriellem Charme 60 flexible Arbeitsplätze, die sich an die Größe des betreffenden Unternehmens anpassen lassen, zur Verfügung. Ein frei zugänglicher Küchen- und Gartenbereich dient dem gemeinschaftlichen Austausch.

Mit einem flexiblen Konzept für Kleinbetriebe, Start-ups und Personenfirmen überzeugt gleichermaßen der YURP Coworking Space im 14. Wiener Gemeindebezirk. Er befindet sich im ehemaligen Kino „Baumgartner Grand Bio-Theater“ und punktet dadurch mit einer einzigartigen Innenraumgestaltung. Holzelemente sorgen in Kombination mit hohen Fenster- und Türbögen für ein historisches Flair in heimeliger Atmosphäre. Die Arbeitsinseln sind im ehemaligen Kinosaal untergebracht und bieten Raum für die persönliche Entfaltung. Im alten Vorführraum befindet sich das Besprechungszimmer, was auch das Arbeiten in größeren Gruppen ermöglicht. Entspannung finden Teilnehmer in der Gemeinschaftsküche sowie in einem kleinen Vorgarten.

Wiederum andere Konzepte setzen auf eine bewusst minimalistische Inneneinrichtung. Teilnehmer sollen dadurch dazu animiert werden, sich ihre Büros selbst und nach persönlichem Geschmack einzurichten. Dieser Richtlinie folgt unter anderem das House of Bandits im 15. Wiener Gemeindebezirk. Jener Coworking Space erstreckt sich gleich über vier Etagen. Die Betreiber setzen weniger auf kommerzielle Aspekte, sondern auf Offenheit. Kurz gesagt, steht Besuchern in der Einrichtung viel offener Raum zur persönlichen Entfaltung zur Verfügung.

Doch auch in neuen Projekten finden die Arbeitsbereiche langsam, aber doch Einzug. So wurden in der Seestadt Aspern Räume für Coworking Spaces bereits fix mit eingeplant. Außerdem etablieren sich im noch jungen Nordbahnviertel bereits erste flexible Arbeitskonzepte.

 

YURP Coworking Space

 

YURP Coworking Space © Brigitte Baldrian

 

 

Die Zukunft der Arbeit – die Expansion der Architektur?
Kennzeichnend ist für viele der Einrichtungen die Kombination aus Kaffeehaus-Atmosphäre und Arbeit. Coworking Spaces schaffen dadurch eine einzigartige Herangehensweise an die Arbeitskultur und sehen sich vielerorts als experimenteller Raum für neue Konzepte. Diese gewinnbringende Nutzungsmischung macht sie vor allem für ein junges Publikum attraktiv. Tatsächlich ist der durchschnittliche Coworker zwischen 25 und 39 Jahre alt. Rund 50 Prozent sind als Solo-Selbständige tätig, wobei sich ein Fünftel in einem fixen Angestelltenverhältnis befindet. In letztgenannte Gruppe fallen vor allem Personen, die für kleine Unternehmen mit weniger als fünf Mitarbeitern arbeiten. An die 80 Prozent der Nutzer haben einen Universitätsabschluss. Damit richtet sich das Coworking in seiner derzeitigen Form vor allem an Personen mit einer höheren Berufsausbildung. In diesem Bereich gäbe es durchaus noch Ausbaubedarf, um auch das Interesse anderer Nutzergruppen zu wecken.

Geht es um die Nutzung der Coworking Spaces, ist weltweit ein deutlich positiver Trend zu verzeichnen. Alleine in den letzten 15 Jahren legte die Coworking-Industrie rund eine Milliarde Euro an Kapital zu. Das stetige Wachstum der Sparte ermöglicht nun größere Investitionen in die Architektur und Innenraumgestaltung. Bei der Realisierung flexibler Arbeitsbereiche haben Planer künftig mehr Spielraum. Das Resultat sind aufwendigere Projekte, die neue Standards in der Innenarchitektur etablieren. So wandelte Architekt Henri Cleinge das verlassene Gebäude der Montreal Royal Bank in einen Arbeitsbereich für das Tech-Start-Up Crew Collective um. Das moderne Innenraumdesign tritt hierbei mit der Struktur aus dem Jahr 1926 in einen respektvollen Dialog. Sehen lassen kann sich das Ergebnis allemal – mit ihrem sensiblen und vielseitigen Design animiert die Einrichtung ihre Besucher zum Verweilen.

Doch mit dem erhöhten Spielraum, wächst gleichzeitig die Verantwortung der Architekten. Sollen Coworking Spaces ein vielseitiges Publikum aus allen Sparten anlocken, müssen sie leistbar bleiben. Eine alleine auf Luxus orientiere Planung ist hier fehl am Platz.

 

 

Text: Dolores Stuttner

 

Kategorie: Architekturszene, Kolumnen, Sonderthema