Das Ende ist der Anfang

3. August 2014 Mehr

 

architektur war in Venedig und Peter Reischer brachte einige Streiflichter und Eindrücke von dort mit. Die Architekturbiennale, mit dem von Rem Koolhaas verordneten Titel ‚Fundamentals‘, gliedert sich wie immer in den Teil, der im Arsenale und den, der in den Giardini stattfindet. Bleiben wir zunächst einmal in diesem parkähnlichen Teil der Lagunenstadt und seinen (Länder)Pavillons.

 

 

Elements of Architecture

Jeder Architekt ist ein bisschen schizophren. Er hat immer einen Fuß in der 5.000 Jahre alten Geschichte der Architektur und den anderen in der Technologie der Zukunft – dieser Leitsatz charakterisiert den Aufbau der Ausstellung im Zentralpavillon mit dem Titel ‚Elements of Architecture‘.

„Die Ausstellung bringt alte, vergangene, gegenwärtige und zukünftige Versionen der Einzelelemente, die Räume schaffen, zusammen. Um divergente, verschiedene Erfahrungen und Wahrnehmungen zu erzeugen, haben wir hier Archive, Museen, Fabriken, Laboratorien, Mock-Ups und Simulationen erzeugt.“ erklärte Rem Koolhaas/OMA bei der Führung anlässlich der Eröffnung der Architekturbiennale 2014 sein Konzept.

Er teilt die Elemente in 12 Gruppen ein: Boden, Decken, Wand, Toilette, Fassade, Balkon, Fenster, Türe, Gang, Herd, Dach und Stiege. Der etwas labyrinthische Aufbau der Ausstellung steht nun auch im Zusammenhang mit der Vielzahl der ‚Elements of Architecture‘. Man muss sich Zeit und Muße nehmen, dann kommen die Aha-Erlebnisse. Wer wusste, dass die Burg Hochosterwitz im 16. Jahrhundert bereits eines der ausgefeiltesten Sicherheits- und Überwachungssysteme besaß? Über einen ganzen Berg verteilt? Heute wird diese gesamte Technik, in einem kleinen PC versteckt, an Security Checkpoints angewendet.
Die Ausstellung enthält eine Vielzahl an wirklich sehenswerten Originalen: Die Sammlung von originalen (Holz)Fenstern aus England, Modelle von chinesischen Gebäuden (aus holländischen Museen), eine Sammlung von WCs, die von Marmortoiletten aus einem Stück aus Rom bis zu einem Hightech-WC aus Japan reicht (dieses sollte man als Datenschützer lieber nicht benutzen, da es anhand der Gerüche und Ausscheidungen Cholesterinwerte, Ernährungsgewohnheiten und andere Eigenheiten des Benutzers analysieren und speichern kann). Echte Mauern aus Ziegel, mit Lehmputz, Kalkputz oder ähnlichem versehen, Schilfmatten als Putzträger – wer kennt das noch, respektive sieht das je in natura?

Auch der geschossförmige Lift, mit dem die chilenischen Bergarbeiter 2010 aus der Mine gerettet wurden, ist interessant, faszinierend, man fragt sich, welches Architekturelement das wohl sei: Es repräsentiert Koolhaas`Aussage, dass auch Menschen zur Architektur gehören – auch Schicksale sind „Elements of Architecture“.
Man kann natürlich diese Zusammenstellung auch als Ausstellungskatalog der Bauwirtschaft betrachten, als etwas für die ‚einfachen‘ Geister, aber vielleicht führt uns Koolhaas nur die Realität des Baugeschäfts vor Augen? Wenn er zum Beispiel darauf hinweist, dass der Raum über der sichtbaren Decke nicht mehr vom Architekten oder der Architektur bestimmt wird, sondern dass dieser Bereich den Installationstechnikern und Gebäudemanagern gehört. Und wir Nutzer uns nur noch mit der rasterförmigen Untersicht zufriedengeben müssen. Diesen Ansatz zeigt er sehr deutlich im großen Eingangsraum unter der kürzlich restaurierten, mit Fresken versehenen Kuppel. Oben in der Kuppel eine ‚tolle‘ Architektur – getrennt vom Menschen durch eine eineinhalb Meter dicke Technikschicht mit Röhren und Leitungen.

Es wird auch deutlich und stimmt nachdenklich, dass der Architekt nicht mehr wirklich in die Entscheidung der einzelnen Architekturelemente eingebunden ist – Fenster, Türen, Böden und Fassadenelemente werden aus dem Regalfach der entsprechenden Baumärkte entnommen.

Kritik klingt an, wenn man die Abteilung ‚Stiegen‘ betrachtet: Einst waren es Elemente, die den sozialen Stand und Rang des Bewohners repräsentierten, heute sind sie von Gesetzen und Sicherheitsvorschriften bestimmt, gestaltet und standardisiert. Balkone, die früher als Ausdruck einer Macht oder Politik benutzt wurden, sind heute Anhängsel der Architektur zur Erzielung von Profit oder Begründung für Wohnbauförderung. Oder die Fenster: Wo ist die Handwerkskunst und Fertigkeit der Tischler – angesichts eines Roboters der IKEA-like ein zigtausendfaches Öffnen vorführt – geblieben? Manchmal kann man sich des Eindruckes eines gewissen Zynismus oder Resignation des Kurators nicht erwehren. Es scheint, als ob man einen Durchgang durch die Koolhaas‘sche Psyche mitmacht. Verkündet Rem Koolhaas vielleicht das Ende der Architektur? Aber jedes Ende birgt auch einen neuen Anfang in sich.

 

Länderpavillons

Die ‚fundamentals‘ unserer Architektur, die von jedem Architekten, immer und überall verwendet werden, sind ein unsicheres Gemenge aus heterogenen Einflüssen wie Zeitgeist, Technik, Wirtschaft und auch Mythologie. Das lässt sich auch an einigen der anderen Länderpavillons ablesen.
Die Amerikaner übertreiben – wie immer – in ihrem Pavillon: 1.000 Architekturprojekte von amerikanischen Firmen/Büros werden zur Schau gestellt. Jeweils mit Foto und ausführlichem Text zum Abreißen. Warum nicht gleich ein Telefonbuch?

Eine ganz eigene, sehr parodistische Veranstaltung war ‚Fair Enough‘ im russischen Pavillon. Wer sich mit den 20 Kojen nicht ausführlich beschäftigte – verstand gar nichts.  Aber dem Interessierten erschloss sich bei den Gesprächen mit den ‚einzelnen‘ Ausstellern, die selbstkritische, sarkastische Präsentation des russischen Bauwesens: Es wurden von fiktiven Baufirmen und Immobilienbüros etc. ebenso fiktive, teilweise absurde Vorschläge zum (Neu)Bauen angeboten. Unter vielsagenden Namen wie: Prefab Corp,  Dacha Co-oP, Estetika Ltd, Lissitzky, Ark-Stroy oder ‚The Russian Council for Retroactive Developement‘ traten, oft sogar verkleidete Protagonisten auf, die einen ‚Neo-Russia‘ Baustil verkauften.

Der tschechisch/slowakische Pavillon versuchte – ganz dem Motto von Koolhaas entsprechend – eine Bestandaufnahme des Bauvolumens in den beiden Ländern über die letzten 100 Jahre. Herausgekommen ist die Tatsache, dass eigentlich – aufgrund von Kommunismus und Sozialismus – nur sogenannte Paneelbauten in den unterschiedlichsten Ausprägungen errichtet wurden. Insgesamt 2 Millionen Quadratmeter Wohnbauten!

Deutschland präsentierte in dem – in der Zeit des Nationalsozialismus umgestalteten – Pavillon mit seinen viereckigen Säulen, einen Nachbau des sogenannten Kanzlerpavillions bei Bonn. Vor dem Aufgang parkte dementsprechend eine schwarze Limousine, der letzte Dienstwagen von Kanzler Kohl. Durch die Verschneidung der beiden, von unterschiedlichen Architekten geschaffenen Architekturen, entstand ein dritter Raum, der mit den Erinnerungen der Besucher arbeitet, Erwartungen stört und andere bestätigt. Zwei Gebäude aus den letzten hundert Jahren verorten sich in einem und öffnen einen Assoziationsraum für die Diskussion über die (eigene deutsche) Geschichte.

Kalt lief es einem beim Besuch des israelischen Pavillons über den Rücken. Große, sogenannte Sandprinter schufen mit maschinengesteuerter Präzision auf – extra aus der israelischen Wüste mitgebrachtem – Sand unablässig Grundrisse, des Staatsgebietes mit allen projektierten und auch schon errichteten Siedlungen, Stadtgrundrisse und Wohnungsgrundrisse. Sie löschten sie wieder aus, und begannen unbarmherzig von Neuem die israelische Siedlungspolitik mit einer spitzen Metallnadel in den Sand zu zeichnen.

Der Schweizer Beitrag setzte sich mit den Arbeiten und Einflüssen von Lucius Burkhardt und Cedric Price auseinander, zweier Vordenker für eine ‚Architektur des Bescheidenen‘ und der Zurücknahme des Eigenen.

Interessant ist auch der dänische Pavillon: Was haben Schmetterlinge, Quantenphysik, Poesie und Schmutz gemeinsam? Hier konnte man sich über einen Brief des Nuklearwissenschaftlers Niels Bohr an Einstein wundern, die eigenen Zehen in Sand oder Kiefernadeln stecken, den Geruch von Rinde oder Lehm wahrnehmen. Der Anspruch war, die vergessene Kraft der Ästhetik, nicht nur für die Architektur, sondern auch für Literatur, Kunst, Natur und Wissenschaft wieder ins Bewusstsein zu rufen.

Der österreichische Beitrag mit den ca. 200, um 90 Grad gedrehten und an die Wand gehängten, Parlamentsmodellen der gesamten Welt ist vergleichsweise brav. Die Ausstellung nimmt Rücksicht auf die Struktur des Hofmann-Pavillons (der laut neuesten Erkenntnissen von Jasper Sharp gar nicht von Hofmann sondern eigentlich von Robert Kramreiter ist). Ein klares Konzept, freie Gehfläche, links und rechts an Wänden – wie eine Schmetterlingssammlung – die Parlamente. Das aufliegende Pocketbook liefert interessante Erkenntnisse über Demokratien und die einzelnen Architekturen auf der ganzen Welt. Herausgerissen wird diese Show der ‚Places of Power‘ jedoch durch die Interventionen von Auböck/Kárász und Kollektiv/Rauschen. Sie bringen mit dem Aufbrechen dieser Suprastruktur im Hof eine lebende Aktualität und den Bezug zur Welt in den Pavillon. Tiefergehende Gedanken und Reflexionen vermisst man aber hier.

 

Arsenale

Im Arsenale begab man sich in der sogenannten Corderie, der ehemaligen Seilmacherei, in die ‚Monditalia‘. Koolhaas hat den gesamten Saal Italien gewidmet. Hier erschließt sich dem Besucher die ganze konzeptuelle Tiefe des Kurators. Eine Research-Biennale hat er angekündigt, und das ist sie auch geworden. Keine Selbstdarstellungsbühne für die großen Architekten der Szene, keine Show zum Konsumieren, zum Durchflanieren. Nein, es ist wahrlich keine ‚leichte Kost‘, die dem Besucher da geboten wird. Ein Durchgang ist definitiv zu wenig. Man ist erschöpft. Auf ca. 400 Meter Länge präsentiert sich ein ‚Scan‘ des Landes Italien, mit allen Schwächen, Versäumnissen, großartigen Leistungen, mit Filmen, Musik, Performance, eine Satire auf Berlusconi darf da nicht fehlen. Vom Süden in den Norden, bis an die österreichische Grenze reicht das Spektrum der Positionen. Die Halle ist großzügig der Länge nach durch transparente Stoffbahnen geteilt, so kann die eine Seite mit den über 80 Filmausschnitten ungestört neben der anderen mit den ca. 40 Stationen existieren. Jede der Stationen ist durch eine Bodenmarkierung mit geografischer Länge und Breite genau verortet. Die abteilenden und begleitenden Stoffbahnen sind mit der Landkarte Italiens bedruckt – der Schlauch der Corderie passt ganz gut für den ‚Grundriss‘ des Gastgeberlandes. Texte sind in englischer und italienischer Übersetzung bereitgestellt. Man muss sie aber lesen, sich darin vertiefen – sonst versteht man nichts. Dass es zum Beispiel 14.000 Terroranschläge in den Zeiten der RAF in Italien gegeben hat. Das ganze Drama der Immigranten, die an der Südgrenze abgefangen und interniert werden, die Geschichte der Konzentrationslager im Faschismus, all die Geister der Vergangenheit. Aber auch Einzelpersonen wie ein Künstler, der aus Strandgut Möbel baut, kommen zu Wort. Eine Station der Hochgeschwindigkeitsbahn im Niemandsland wird zum Kunstprojekt, die Cinecitta wird occupata, Pompej zum Spiel von Bauklötzen der Fundstücke. Immer wieder sind Bühnen, auf denen Theateraufführungen oder Tanz stattfinden, in den Weg eingestreut. Denn Koolhaas will auch die Kunst in die Architektur einbeziehen. Schließlich geht es um den Menschen, der Architektur macht und in und mit ihr auch sein Auskommen finden muss. Es ist eine Darstellung voll von Selbstkritik, Tiefgang und Erkenntnissen – nicht umsonst schreibt man dem Kurator Rem Koolhaas eine Ausnahmestellung unter den heutigen Architekten zu.

 

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Kategorie: Architekturszene, Kolumnen