Das Wiener Studentenwohnheim

18. Februar 2022 Mehr

Als Ausbildungsstandort ist Wien für Studierende äußerst attraktiv. Dies ist wenig verwunderlich – immerhin punktet die Hauptstadt Österreichs nicht nur mit einem großen Studienangebot, sondern gleichermaßen mit ihrer hohen Wohn- und Lebensqualität. Für die Studierenden, die aus anderen Bundesländern oder dem Ausland nach Wien ziehen, braucht es natürlich erschwingliche und komfortable Wohnformen. Eine Antwort auf dieses Bedürfnis liefern die Studentenwohnheime von gemeinnützigen Anbietern.

 


Auf der Schmelz © MIGRA

 

Sie stellen komfortablen und praktischen Wohnraum für ihre Bewohner zur Verfügung, wobei die Kosten hier fix und überschaubar sind. In der Mehrzahl der Einrichtungen sind die Zimmer bereits voll möbliert, während die Reinigung der Räume ebenfalls inkludiert ist – Studierende haben so den Vorteil, sich voll und ganz auf ihre Ausbildung konzentrieren zu können. Doch steht das Studentenheim als Wohnform mittlerweile vor der Herausforderung, zeitgemäßen Ansprüchen in Bezug auf Ökonomie, Ökologie, Ausbildungs- und Lebensqualität gerecht zu werden. Eine Kombination aus innovativen Bautechnologien und nutzerzentrierter Planung kann einen Lösungsansatz liefern.

 

Die Qualität des Minimalismus

„Während früher Doppel- und Mehrbettzimmer im Studentenwohnheim Standard waren, sind heute Einzelzimmer stark nachgefragt“, sagt Marina Döring-Williams, Professorin an der TU Wien und Co-Autorin des Buchs „Das Wiener Studentenheim“. In Bezug auf die Nutzung der studentischen Wohneinrichtungen findet also ein Wandel in Richtung Privatsphäre statt. Der gesteigerte Wunsch nach mehr Intimität beschränkt sich jedoch nur auf den Schlafbereich; auf Geselligkeit wollen die Bewohner nicht verzichten, weshalb Gemeinschaftsräume in den Heimen nach wie vor eine zentrale Rolle einnehmen. Die Herausforderung für die Architektur liegt somit darin, dem Streben nach Privatsphäre und Gemeinschaft zu entsprechen. In Kombination mit minimalistischen Ansätzen soll so leistbares Wohnen in einem studentengerechten Umfeld möglich sein. Bereits in den vergangenen Jahren wurden diesbezüglich in den Häusern unterschiedliche Schwerpunkte geschaffen. Moderne Einrichtungen setzen sogar auf eine Mischung aus halb­öffentlichen Bereichen und privaten Treffpunkten für Lerngruppen.

 


Pop-Up-Dorms © home4students

 

Für die Architektur und Inneneinrichtung, aber auch für die Preisgestaltung bildet das Studentenwohnheimgesetz die Basis. Ebendiese Vorgaben sollen bei Neubauten, aber auch bei der Renovierung bestehender Heime, eine gesteigerte Wohn- und Lebensqualität gewährleisten. Berücksichtigung findet bei der Planung selbstverständlich auch die Bauordnung – sie schreibt  in neu gebauten sowie in renovierten Studentenwohnheimen Barrierefreiheit vor. Es sind barrierefrei zugängliche und entsprechend ausgestattete Zimmer einzurichten. Aus Kostengründen müssen sich Architekten gleichzeitig auf das Wesentliche beschränken.

Minimalismus kommt aber nicht nur beim Innenraumdesign zum Tragen. Um dem Streben nach Effizienz und Flexibilität Folge zu leisten, werden heute immer mehr Studentenheime in modularer Bauweise realisiert. Bei diesem Verfahren erfolgt die Zusammensetzung des Bauwerks aus vorgefertigten Modulen nach dem Baukastenprinzip. Es ergibt sich hier der Vorteil der verkürzten Bauzeit und der Kostenersparnis. Großbauten wie Studentenheime bestehen aus zahlreichen, sich wiederholenden Nutzungseinheiten, weshalb sich die Modulbauweise für sie sehr gut eignet. Zweifelsohne sind studentische Wohneinrichtungen damit auch Nährboden für nachhaltige und experimentelle Baukonzepte.

 


Pop-Up-Dorms © home4students

 

 

Der Stadtraum als Lebensumfeld

Neben der Gestaltung bestimmt die Lage in der Stadt die Attraktivität eines Studentenheims. Umfragen ergaben, dass für Studierende nicht nur die Nähe zur Bildungsstätte, sondern gleichermaßen eine Anbindung an Grün- und Erholungsinfrastruktur wünschenswert ist.

In diesem Kontext ist auch das Konzept von „Mixed Use“ ein wichtiges Thema. Dieser Begriff bezeichnet die gemischte Nutzung eines Baus oder eines Stadtteils. Ein Gebäude, das dieser Idee entspricht, hat beispielsweise nicht nur eine Wohnfunktion, sondern es dient gleichzeitig der Nahversorgung und der Unterhaltung. In Bezug auf ein Studentenwohnheim könnte dies bedeuten, dass sich im selben Bauwerk ein thematisch passendes Geschäft einmietet. Ein Positivbeispiel dafür, ist die von der STUWO betriebene Einrichtung im 15. Wiener Gemeindebezirk, Auf der Schmelz. Geplant wurde das Wohnheim, welches sich in erster Linie an Sportstudenten richtet, vom Architekturbüro WGA. Mit diesem Projekt stellen die Planer den Studenten einerseits modernen Wohnraum und andererseits Freizeit- und Aufenthaltsmöglichkeiten in Form von Grünraum mit Außensportanlagen. Abgerundet wird das Angebot für Studierende der Sportwissenschaft mit einem Shop für Sportartikel und einem Restaurant im Erdgeschoss. Viel Wert legten die Architekten von WGA zudem auf eine barrierefreie Gestaltung aller Anlagen, was die 2013 realisierte Wohneinrichtung zu einem Stützpunkt für den Behindertensport macht.

 


ÖJAB Haus Johannesgasse © ÖJAB

 

Mit seiner Lage im Stadtraum, aber auch durch historische Architektur punktet das Heim der ÖJAB (Österreichische Jungendarbeiterbewegung) in der Johannesgasse, im 1. Wiener Gemeindebezirk. Es handelt sich hierbei um einen ehemaligen Schul- und Klosterbau der Ursulinen, der Musikstudenten 120 Schlafplätze nahe dem Konservatorium zur Verfügung stellt. B18 Architekten bauten das Gebäude im Jahr 2013 zu einem modernen Studentenwohnheim mit eigenem Garten und Musikübungsräumen um. Zeitgemäß ist aber nur die Inneneinrichtung – das historische Gemäuer blieb unangetastet, sodass sich der Bau harmonisch in die historische Wiener Innenstadt einfügt und den Bewohnern eine einzigartige Kulisse bietet.

Wohnheime in inneren Bezirken haben zudem den Vorteil, Unterhaltungs- und Einkaufsmöglichkeiten sowie Gastronomie in unmittelbarer Nähe zu haben. Anders verhält es sich bei Studentenwohnungen in den Wiener Außenbezirken – Experten halten in diesem Fall einen Anschluss an das höherrangige öffentliche Verkehrsnetz für unverzichtbar. Auch sollte eine Einrichtung in der Peripherie mit weiteren spezifischen Standortvorteilen – wie der Nähe zur Bildungseinrichtung, einem Erholungsgebiet oder die Lage in einem modernen Stadtteil – punkten. Letztgenannten Anforderungen wird das STUWO Wohnheim in der Seestadt Aspern, dem größten Wiener Stadtentwicklungsgebiet am Stadtrand, gerecht. Die Einrichtung mit ihren 295 Apartments  zeigt auf, wie Innovation die Entstehung von studentischem Lebensraum fördern kann.

 


ÖJAB Haus Johannesgasse © ÖJAB

 

 

Historische Bauten – moderne Entwicklungen

„Geht es um die architektonische Gestaltung, die Form und die Ausstattung der Studentenheime, so ist in Wien eine große Vielfalt gegeben“, erläutert Elisabeth Wernig von der TU Wien. Tatsächlich finden sich in der Bundeshauptstadt Einrichtungen für studentisches Wohnen sowohl in historischen Bauten als auch – und immer öfter – in Form moderner, experimenteller Einrichtungen. Werden in Wien Studentenheimplätze in bestehenden Gebäuden realisiert, geschieht dies häufig in Gründerzeitbauten. Das Bauen im Bestand ist zweifelsohne ökologischer, da dafür kein Neubau zu errichten ist. Außerdem profitieren die Bewohner von einer einzigartigen Atmosphäre, da sie immerhin in über 100 Jahre alten Bauten leben. Die Implementierung zeitgemäßer Wohnstandards in Altbauten ist aber nur mit einem großen Aufwand möglich – dies gilt vor allem dann, wenn den Anforderungen des Denkmalschutzes Folge zu leisten ist.

Neubauten sind kostspieliger, allerdings lassen sich in ihnen aktuelle Maßnahmen zur Sicherheit und Barrierefreiheit leichter umsetzen. Auch die beschriebene Implementierung neuer Bautechnologien und architektonischer Ansätze ist möglich. In einer Großstadt wie Wien ist eine Kombination aus beiden Herangehensweisen möglich und sogar wünschenswert. Immerhin ist es dann möglich, den zum Teil vielseitigen Anforderungen der Auszubildenden aus aller Welt zu entsprechen.

Gemäß Marina Döring-Williams handelt es sich beim Studentenheim um eine wichtige Einrichtung, da Bewohner dort die Möglichkeit haben, Unabhängigkeit in einem geschützten Rahmen zu erleben: „Der große Vorteil der Wohneinrichtungen liegt darin, dass die Bewohner hier alles aus einer Hand erhalten. So bleibt Studierenden der Aufwand, der sich mit dem Bezug einer Mietwohnung ergibt, erspart. Die Architektur hat die Verantwortung, die Grundlagen für ein autarkes Leben zu schaffen.“

 

Text: Dolores Stuttner

 

Kategorie: Architekturszene, Kolumnen