Der neue Deko-Trend – ich dekoriere, also bin ich!
Kalte leere Räume mit kahlen Wänden und unifarbene schlichte Möbel fördern zwar eine kontemplative und zurückgezogene Lebensweise, ob man sich darin aber auf Dauer wohlfühlt, sei dahingestellt – besonders wohnlich wirken sie auf jeden Fall nicht. Was in den letzten zwanzig Jahren die Abbildungen der Hochglanzmagazine dominierte und als cool und schick galt, ist nun für viele nicht mehr erstrebenswert.
Erlaubt ist was gefällt!
„Cosy-Style“- und „Shabby Chic“-Möbel, die Rückkehr des Bunten und Filigranen und der Mix von Neuem mit Altem in den unterschiedlichsten Stilen zeigen ganz klar, wohin die Richtung geht und verhelfen der Inneneinrichtung zu mehr Gemütlichkeit, Humor und Ganzheit. Der neue alte Trend: Alles ist erlaubt was gefällt und einem das Gefühl von Zuhause und Geborgenheit gibt. Puristische Sessel werden mit dekadenten Kissen bestückt, Bauernkommoden mit Artdeco-Bilderrahmen und Jugendstil-Leuchten geschmückt und die Matchbox-Sammlung bekommt zusammen mit den Bleikristallgläsern eine eigene Vitrine. Zurückhaltung und Hemmungen sind fehl am Platz! Scheinbarem Kitsch und Krimskrams werden in der Wohnung genauso viel Platz eingeräumt wie den hochwertigen Antiquitäten und Design-Klassikern – einzig auf die richtige Balance und Abstimmung kommt es an. Aus der Mischung von einzigartigen Lieblingsstücken und Gesammeltem mit Patina und aus der Verbindung von Altem und Neuem entsteht ein originärer Recycling-Chic, der zurzeit groß in Mode ist.
Ein bisschen Spaß muss sein!
Man kann nicht leugnen, dass die derzeitige Wirtschaftslage mit all ihren ernüchternden Nebeneffekten, die weltweiten politischen Unruhen und die Naturkatastrophen sich nicht auch auf unsere Wohnsituation und unser Wohnverhalten auswirken.
Die Menschen ziehen sich wieder mehr zurück, gehen weniger aus und fahren auch seltener in den Urlaub. Dieses wohnliche Neobiedermeier mit der Flucht ins Idyll und ins Private bedingt auch ein damit einhergehendes wiederaufkeimendes Interesse an der Einrichtung der eigenen Wohnung, in der man eine eigene neue Welt kreiert.
Dabei bilden sich neue Deko-Trends heraus, die mit einem zwinkernden Auge unsere Sinne ansprechen und uns helfen wollen, den Humor nicht zu verlieren.
Ein Trend, den der Trendexperte der Berliner Agentur politur Oliver Schmid mit „iconic ironic“ umschreibt, bezeichnet eben diesen sorglosen und humorvollen Umgang mit der Krise: „In schwierigen Situationen, in denen uns Lösungen fehlen, neigen wir dazu, diese zu verdrängen und einfach nicht hinzusehen. Doch dazu müssen wir uns ablenken. Wir brauchen andere Reize – auch visuelle – die uns vom Elend, von der Angst und vor anderen negativen Reizen ablenken. Die bunte Einrichtung dient als Antidepressiva.“
Je extremer die Not, je größer die Angst, umso stärker muss auch der Ersatz-Reiz sein. Deko soll uns zum Schmunzeln bringen. Kissen in den schrillsten Farb-Kombinationen und unterschiedlichsten Materialien zum Beispiel peppen jede noch so langweilige Sofagarnitur auf, und darüber darf auch ruhig die alte Kuckucks-Uhr der Oma hängen. Meist wird der lustige Effekt auch dadurch erzeugt, dass befremdlich wirkende oder eben altbekannte Materialien umfunktioniert und für die Objekte herangezogen werden, wie es etwa bei Vorhängen aus einer alten Mantelschoß oder bei einem Wandteppich aus alten gestückelten Tapeten der Fall ist.
„Die enormen Wahlmöglichkeiten in unserer Wohlstandsgesellschaft mit ihrer bunten Warenwelt und den immer schneller wechselnden Produktzyklen verhindert, dass uns die Produkte, die wir konsumieren, vertraut werden können“, meint Oliver Schmid. Deswegen kehren wir wieder zurück zu Altbewährtem und Bekannten, legen erneut Wert auf Erbstücke, die wir mit Neuem kombinieren, und tendieren wieder mehr zu handwerklichen Produkten aus bodenständigen Materialien, die uns ein langes Produktleben garantieren. Aber auch hier schleichen sich Materialneuheiten ein. Urwüchsige Möbel, in die Stroh, Mais, Dornen oder Schutt eingearbeitet werden (Nacho Carbonell), oder eine aus Küchenabfällen gebackene Geschirrkollektion (Studio Formafantasma), machten auf der diesjährigen Mailänder Messe auf sich aufmerksam.
„In den vergangen Jahren sind Wertigkeit und Qualität wichtiger geworden. Wir entfernen uns von einer Wegwerfgesellschaft hin zu einer, der es auf langlebige und qualitativ hochwertige Produkte mit gutem Design ankommt“, so die Designerin Claudia Herke, die auch Mitbegründerin des bora. herke-Stilbüros ist und die Veränderung des Kaufverhaltens nicht nur alleine auf die Wirtschaftskrise zurückführt. „Die Entwicklung resultiert aus einem Überangebot an Produkten und Informationen. Die Menschen haben zu viel konsumiert und fühlen sich erschlagen. Sie haben das Bedürfnis, sich zurückzuziehen und sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Gefragt sind authentische, individuelle Produkte, Handwerkliches und natürliche Materialien.“
Vintage, Retro und Ethno
Wohnen wird wieder weicher. Teppiche, Tapeten, Vorhänge und Polster sind groß im Einsatz und zeigen neben beliebten Retro-Grafiken der 1970er-Jahre auch immer öfter Ethno-Muster ferner Länder. Ein aktuelles Beispiel der Mailänder Messe: Mit seinem Teppich «Mashup» will das Karlsruher Unternehmen Kymo den Orientteppich im «Vintage-Look» neu erfunden haben. Dazu werden alte Perser demontiert, aufbereitet und in Patchwork-Mustern neu zusammengestellt.
Auch wenn Deko lange Zeit als verpönt und minderwertiger Kitsch angesehen wurde, so ist es nun doch in das Design und in die bildenden Künste zurückgekehrt – nicht nur als stilistisches und von den Zyklen des Konsums angetriebenes Phänomen, sondern vor allem auch als signifikante Nebenerscheinung der Globalisierung. So entwickeln Designer heutzutage Formensprachen, die sich das Ornament als Brücke zwischen den Kulturen, Schichten, Ethnien und Geschlechtern zunutze machen.
Die Wohnung zeigt so viel Persönlichkeit wie nie und muss auch ihre Kuriositäten und Inkongruenzen nicht mehr verstecken. Deko verhilft dem Raum zu mehr „Leben“ und zu mehr „Seele“ und ist ein Hilfsmittel, das jeweilige Lebensgefühl zum Ausdruck zu bringen und die eigene Identität zu veranschaulichen. Die Wohnung muss nicht mehr in erster Linie repräsentativ sein, sondern soll Ausdruck unserer Lebensweise, unserer Anschauungen und auch unserer Vergangenheit sein. Man richtet nicht mehr für andere ein, sondern für sich selbst. Dabei gilt: Weniger ist mehr, aber mehr ist gemütlicher!
Kategorie: Design