Gesunde Impulse fürs Büro
Nirgends verbringt der moderne Mensch so viel Zeit wie in seinem Büro. Abgesehen von fünf schmalen Wochen Urlaub und nicht viel mehr als 10 Feiertagen verharrt der Wissensarbeiter von heute mindestens acht Stunden am Tag auf einem Stuhl an einem Tisch. Übers Jahr gesehen reden wir hier von rund 1.500 Stunden, in denen der Büroarbeiter nicht nur seine Wirbelsäule einseitig belastet, sondern oftmals auch sein Gemüt und seine Motivation strapaziert. Das sind circa 55.000 Stunden des Arbeitslebens, die meist von falschem Sitzen, Verspannungen, Abnützungen, Kopfweh und Ermüdung geprägt sind.
Der Arbeitsplatz kann somit gleich doppelt zur Falle werden – ob nun physisch oder psychisch: Das Arbeitsumfeld wirkt sich auf die Leistung der Menschen aus und bestimmt somit indirekt die Leistung, die erbracht wird. Ob nun alter, falsch eingestellter Bürostuhl oder triste Farben in uninspirierender Atmosphäre – beides wirkt sich auf das Arbeitsklima, die Gesundheit und die Stimmung aus.
Psychisch
„Es bedarf einer Förderung der emotionalen Faktoren, um die Produktivität im Wissenssektor nachhaltig zu fördern. Die Wohlfühlqualität im Büro dient damit keinem Selbstzweck“, meint der Verfasser des Buches „Begegnungsqualitäten in Bürogebäuden“ Roman Muschiol.
Dass man sich weder in kleinen muffigen Zellenbüros noch in unübersichtlich weitläufigen und lauten Großraumbüros wohlfühlt, leuchtet vielen ein. Eine Lösung, die sowohl die finanziellen Aspekte als auch die Anforderungen nach einem spannenden und motivierenden Umfeld im Auge behält, war gesucht und wurde gefunden. Die Geburt des Open Space!
Open Space
Die Arbeit verändert sich und mit ihr der Arbeitsplatz und die Arbeitsräume. „Open Space“ ist eine der lautesten Antworten auf die geänderten Anforderungen. Das neue Schlagwort, unter dem nicht die unendliche und unerforschte auf uns wartende Weite des Weltalls gemeint ist, sondern das geöffnete von Wänden befreite Büro. Dieses bietet sowohl Platz für barrierefreie Kommunikation und inspirierende cometogethers als auch versteckte Orte der Einkehr und des Rückzugs. Eine frei nutzbare Struktur, die den eigenen Schreibtisch als alleinige Wirkungsstätte verabschiedet und den Raum öffnet, um Platz zu bieten. Platz für Zwischenmenschliches und den damit einhergehenden Wissensaustausch sowie Platz für spontane Meetings und entspannende Pausen.
Die Anforderungen sind hoch, doch Business-Lounge, Thinktanks und Coffice bieten variantenreiche Abwechslungen und passen sich perfekt an die jeweiligen Arbeits- oder auch Pausensituationen an. Laut einer Studie aus dem Jahr 2008 (Gensler) würden so die vier Arbeitsweisen Focus, Learn, Collaborate und Sozializing räumlich unterstützt.
Derart intelligente Räume suchen auch die vielen Ich-AGs, die keine Lust mehr haben, ihr Ein-Mann-Unternehmen vom isolierten Küchentisch aus zu führen. Auf diese Weise entstehen immer mehr Bürogemeinschaften, die sich nicht nur den Raum, sondern auch die Ideologie teilen.
In Wien bieten die UnternehmerInnenzentren Schraubenfabrik und Hutfabrik – benannt nach ihrem früheren Produktionsauftrag – all jenen Herberge, die nicht nur günstige Quadratmeterpreise suchen, sondern auch unter ihresgleichen sein wollen. Fabriklofts mit Gussasphaltböden und Lastenaufzug adaptiert zu Großraumbüros mit Kabelkanälen und Couchen werden so zu „Coworking Spaces“ mit Gruppenfeeling. Arbeitsplatz mit Kaffeeküche und Tischfußball inklusive.
„Wir wollten selbst nicht mehr von zu Hause aus arbeiten, wollten einen Ort schaffen, an dem wir Gleichgesinnte treffen, die nicht nur unternehmerisch selbstständig sind, sondern dabei auch angenehm leben wollen. Die voneinander lernen, miteinander spielen und allenfalls gemeinsam Aufträge bearbeiten“, erklären Stefan Leitner-Sidl und Michael Pöll die beiden Gründer der Zentren den Nutzen solcher „Reallife Communities“.
Neue Arbeitsformen bedingen neue Räume. Arbeit wird mit Handy und Laptop immer flexibler, und da die Räume immer größer bzw. offener werden, müssen die Menschen mobiler werden. Mit dieser Überlegung versucht der neue Bürostuhl U3-X des Honda-Entwicklungszentrums Tokio die Mobilität des Nahbereichs zu revolutionieren. Ähnlich wie der „Segway“ im Stehen ermöglicht dieses experimentelle Fahrzeug im Sitzen freie Bewegungen in alle Richtungen – genau wie der menschliche Gang. Will einem der Kollege etwas an einem anderen Tisch zeigen, oder will man sich auf ein Meeting mit mehreren zusammensetzen, hat man den Stuhl gleich immer mit dabei – unter sich. Wenn auch noch nicht gänzlich ausgereift, möchte Honda die Praxistauglichkeit unter realen Bedingungen testen und die Forschung und Entwicklung an diesem Fahrzeug fortsetzen.
Physisch
Rückenleiden sind die „Krankheitsursachen Nr. 1“ und verursachen mit einer durchschnittlichen Dauer von 22 Tagen die längste Arbeitsunfähigkeit. Auch die Belastung der Bandscheiben ist beim Sitzen besonders hoch. Gerade durch stundenlanges, starres Verharren in einer Position tut man seinem Bewegungsapparat nichts Gutes.
Bürostühle versuchen diesen Problemen entgegenzuwirken und probieren auf allerlei Arten, die Bandscheiben zu entlasten. Der Bürodrehstuhl „Generation“ der Firma Knoll zum Beispiel ist so elastisch konstruiert, dass er sich in alle Richtungen biegen lässt und somit eine große Bandbreite an Bewegungen und alternativen Sitzpositionen zulässt.
Auch das neue „Mikromotiv“-System der Firma Drabert wirkt Abnützungserscheinungen entgegen und setzt dabei auf passiv bewegtes Sitzen. Während es beim altbekannten Gymnastikball eigener Anstrengung bedarf, nicht herunterzufallen, kann man sich bei diesem System mittels Elektromotor bewegen lassen. „Mikromotiv“ bewirkt eine kaum spürbare und sehr langsame Rotation der Sitzfläche, die die Lendenwirbel zur Bewegung motiviert und verhindert auf diese Weise eine Höhenabnahme der Bandscheiben und Entlastung der Wirbelsäule.
Noch bequemer ist nur das Liegen. Und auch daran wird schon eifrig getüftelt, denn ein Bürodrehstuhl mit integrierter Liegefunktion ist zwar praktisch, statisch gesehen aber immer noch eine Herausforderung.
Aber nicht nur die Sitzgelegenheiten können die Gesundheit erhalten, auch die Tische können dazu beitragen, die Leistungsfähigkeit deutlich zu steigern. Ein Wechsel der Arbeitshaltung zum Beispiel kann Wunder bewirken. Arbeiten im Stehen an dynamische Büromöbel mit Neigungswinkel ist stark im Kommen, und wenn auch der Anteil derzeit noch unter 20 Prozent liegt, wird er in der nahen Zukunft noch um einiges steigen – denn Schlagworte wie dynamisches Sitzen, Rückenmanagement und Ergonomie werden immer vertrauter, und das Bewusstsein für Gesundheit am Arbeitsplatz steigt.
Motivation und Wohlbefinden sowie der Abbau von physischen und psychischen Belastungen ist in der heutigen Arbeitswelt so wichtig wie noch nie. Dabei steckt in der Arbeitsplatzgestaltung viel Potenzial. Variantenreiche und spannende Arbeitslandschaften steigern die Leistung, Motivation und die Identifikation mit der Arbeit. Die Schaffung eines emotionalen Klimas ist ebenso unerlässlich wie die ergonomische Grundversorgung.
Denn wer keine Schmerzen hat, der arbeitet effektiver!
Kategorie: Design