Die Architektur hochhalten
Interview mit Architekt Mag. arch. Martin Kohlbauer – Die Handskizze ist für den Architekten Martin Kohlbauer das wichtigste Ausdrucksmittel und hilft ihm, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Seine Ausbildung an der Akademie der Bildenden Künste in Wien schloss er in der Meisterklasse von Gustav Peichl erfolgreich ab. Heute führt er ebenso eindrucksvoll sein Architekturbüro im Nestroyhof des zweiten Wiener Gemeindebezirks.
Herr Architekt, was wünschen Sie sich von der Architektur?
Dass sie berührt. Architektur ist in hohem Maße ein emotionales Thema. Wohlbefinden und Weiterkommen sind stark davon abhängig, dass man sich in räumlichen Sequenzen bewegt, die einem positiv konnotieren. Als Wichtig erachte ich eine frühzeitige Auseinandersetzung mit architektonischen Themen. Die Verankerung der Architektur in den Lehrplänen aller Altersstufen tut Not. Lange Zeit gab es im Fach Bildnerische Erziehung noch die Initiative „der Architekt kommt in die Schule“, der ich mich zu Beginn meiner Karriere immer wieder zur Verfügung gestellt habe. Schulbildung ist das Eine, eine mediale Präsenz das Andere. Architektur ist leider generell ein Minderheitenprogramm. Eine aktive Auseinandersetzung der Menschen mit Architektur muss gefördert und unterstützt werden. In den alltäglichen Medien kommt Architektur de facto nicht vor. Kultur wird lediglich mit dem Theater in Verbindung gebracht. Wer die neue Buhlschaft ist, bewegt ganz Österreich. Bauen ist Kulturaufgabe, das ist eine wichtige Botschaft. Denn Bauen ist Kultur. Damit sollte sich die Gesellschaft auch entsprechend auseinandersetzen. Das passiert aber viel zu wenig und aus meiner Sicht immer weniger.
Wie nehmen Sie die Wiener Architektur wahr?
Wie in vielen wichtigen europäischen Städten ist die Wiener Architektur auch stark von der Geschichte geprägt. Das Imperiale und der kompakte Stadtkern sind äußerst präsent. Dabei geht es nicht nur um den ersten Bezirk, sondern auch bis zum Gürtel und darüber hinaus. Das prägt die städtische Substanz. Es sind immer die dichten, urbanen Bereiche, die uns faszinieren. Der soziale Wohnbau spielt in Wien eine wichtige Rolle. Nicht nur die Architektur des „roten Wien“ aus den 1920er Jahren, sondern auch die aktuelle Situation findet international hohe Beachtung.
Welchen Stellenwert hat das Geschichtsbewusstsein?
Die Architektur ist eine Beziehungsgeschichte und steht immer in einem zeitlichen Kontext. Man braucht für die Architektur Geschichtsbewusstsein. Architektur studieren heißt ja auch, die Weltarchitektur in ihrem Zusammenhang zu studieren. Das ist wichtig, wenn ich etwas Besonderes machen möchte oder einen spezifischen Input in eine Aufgabe geben möchte. Bezüge herzustellen, ist eine Kunst und macht gute Architektur aus.
Ist Architektur also Kunst?
Es gibt die immerwährende Debatte, ob Architektur Kunst oder Dienstleistung oder Sonstiges ist. Architektur ist Kunst! – ohne Wenn und Aber. Sich von dieser Haltung zu verabschieden, würde bedeuten, sich vom Architekturanspruch zu verabschieden. Eines der allerwichtigsten Dinge ist, dass man diesen Anspruch verfolgt und trotz permanenter Einwände nicht weich wird. Kompromissbereitschaft ist völlig in Ordnung, aber man muss wissen an welcher Stelle.
Sehen Sie sich als einen typischen Wiener Architekten?
Der Titel meiner zuletzt erschienen Werkmonografie lautet „A Viennese Architect“. Dabei handelt es sich nicht um eine bloße Ortsangabe, sondern um ein kulturelles Bekenntnis. Wien ist meine Heimat in vielerlei Hinsicht. Ich fühle mich den Traditionen der Wiener Großstadtkultur sehr verbunden.
Wie wird das Image von Wien durch die Architektur mitbestimmt?
Das Image einer Stadt wird meist von der Außensicht betrachtet und davon generiert. Die Reduktion auf Stephansdom, Schloss Schönbrunn und Riesenrad wird noch lange gepflegt werden. Als Architekt ist man in der glücklichen Lage, eine umfassendere, vielschichtigere Wahrnehmung entwickelt zu haben, die einem als reflektierenden Reisenden immer wieder zu Gute kommt.
Skizzieren gehört für Martin Kohlbauer zu seinem Alltag – hier für das Fernwärmewerk Wien Süd.
Sehen Sie die Zukunft der Architektur in der Vertikalität oder in der Horizontalität?
Die Architektur des 20. und 21. Jahrhunderts ist stark geprägt von einem vertikalen Drang. Das wird auch weiterhin so bleiben. Man kann dadurch zwar eine gewisse Dichte erzeugen, aber es bringt auch durchaus Nachteile mit sich. Betrachtet man die Wirtschaftlichkeit eines Hochhauses, so hat es durch den Kern im Inneren eine marginale Nutzfläche. Vertikalität und Horizontalität sind jedoch beide wichtig und können gut nebeneinander existieren, sowie eben auch Alt und Neu.
Sehen Sie die Zukunft der Architektur am Land oder am Wasser?
Persönlich habe ich gern sicheren Boden unter den Füßen, obwohl Venedig einer meiner Lieblingsorte ist. Wasser hat eine besondere Kraft und bietet eine wunderbare Aura und Qualität. Die Beziehung zu Wasser ist also sehr wichtig. Eine Zukunft unter Wasser sehe ich jedenfalls nicht und hätte auch keine Lust dazu.
Könnte man vielleicht auch am Land einen Schritt weiter gehen und die Städte nach unten hin verdichten?
Es gibt faszinierende Beispiele von unterirdischer Architektur, nicht nur aus Gründen des Versteckens, sondern auch unter Einbeziehung der Topografie. Für eine kompakte Struktur kann das Nutzen von unteren Ebenen sehr sinnvoll sein. Ich denke an den Louvre oder Sportbauten von Dominique Perrault. Die aktuelle europäische Kulturhauptstadt 2019 Matera ist ein wunderbares Beispiel.
Was kann man aus der Architektur der Vergangenheit und der Gegenwart für die Architektur der Zukunft lernen?
Die Architektur der Vergangenheit sollte man kennen und studiert haben, denn man kann daraus unendlich viel lernen. Als Architekt lernt man ohnehin ununterbrochen und das auch aus Negativbeispielen. Das Gesehene wird sofort überprüft und reflektiert. Das sollte sowohl mit Vergangenem als auch mit Zeitgenössischem passieren, das ist eine wichtige Basis und hat wesentlichen Einfluss auf das Kommende. Mein persönliches Prinzip lautet „zuerst den Rucksack vollpacken“. Um aus dem Vollen zu schöpfen braucht man solch eine Grundlage. Meine weitere persönliche Basis ist die Zeichnung. Jedes Projekt beginnt mit einer Skizze.
Wird man in Zukunft noch händisch skizzieren?
Menschen wie ich sicherlich. Meine Arbeit ist immer verbunden mit dem Blick aufs Wesentliche. Einer der Vorteile der Skizze ist, dass man viele Aspekte unmittelbar auf das Wesentliche reduziert. Der Computer kann viel und hat tausend Möglichkeiten, wird diese kreative Fähigkeit jedoch auch in Zukunft nicht ersetzen können.
Was werden wichtige Werkzeuge des Architekten sein und wie beeinflussen sie die Architektur?
Die wichtigsten Werkzeuge bleiben immer noch Hirn und Bauch des Architekten. Nur diese befähigen zu Gespür und Empathie. Zu meiner Studienzeit haben wir darüber Witze gemacht, ob das Kurvenlineal die Formensprache beeinflusst. Natürlich hat die digitale Revolution viele Formen generiert. Ob das ein Mehr an guter Architektur ermöglicht, bezweifle ich. Es gibt viele Formen, wo man sich fragen kann: „warum nicht“? Aber die wichtige Frage nach dem „Warum“ wird dadurch nicht kausal beantwortet.
Was ist für Sie ein Leitprojekt für die Zukunft?
Das „Viertel Zwei“ in der Wiener Krieau. Hier gibt es höchsten Anspruch an die Architektur, an die Freiräume, an das Zusammenspiel von Alt und Neu, von Hoch und Nieder, sprich an das Wohlbefinden der Menschen, Nachhaltigkeit wurde von Beginn an nicht nur als Schlagwort groß geschrieben.
Was wird die Architektur der Zukunft nicht sein?
Eigentlich eine Frage auf die man keine Antwort haben kann. Eines wird sie aber sicher nicht sein: überflüssig! Ganz im Gegenteil. Die Architektur ist hochzuhalten.
Mit wenigen Linien wird die Grundidee des Wohn- und Bürogebäudes Korso bei dieser Skizze zum Ausdruck gebracht.
Interview: Alexandra Ullmann
Kategorie: Architekten im Gespräch, Kolumnen