Die erste Frau in einer Männerbastion
Kaum ein Land schafft es zurzeit öfter, im medialen Fokus zu stehen als die Türkei. Dass dieses Land jedoch, außer einer regierenden Autorität auch architektonisch einiges an Innovationen zu bieten hat, tritt dabei in den Hintergrund. Peter Reischer unterhielt sich mit der türkischen Innenarchitektin und Designerin Zeynep Fadillioglu – sie ist die erste Frau, die in der Türkei eine größere Moschee, die Sakirin Moschee in Istanbul gestaltet hat – über Architektur, Zeitgeist und Versäumnisse im Bildungssystem.
Frau Architekt Fadillioglu, Sie sagen von sich selbst, dass Sie keine Architektin sind?
Ich habe eine Architekturfirma, angefangen habe ich mit einem Computer- und Informatikstudium, habe es abgeschlossen und Programmieren und Systemanalyse studiert. Dann habe ich Kunstgeschichte und Design in England studiert, das war sehr interessant, weil das Studium vor Ort stattfand, ich konnte die Geschichte in den entsprechenden Gebäuden und Museen, sozusagen live, studieren. Das hat mein weiteres Leben sehr beeinflusst. Über die Beschäftigung mit Management von Restaurants, zusammen mit meinem Mann, bin ich dann zur Innenarchitektur gekommen. Ich habe angefangen, den Innenräumen angemessene Einrichtungen zu entwerfen.
Welche Tendenzen bestimmen heute die Architektur in der Türkei?
Ich bin in einer Zeit aufgewachsen, in der die Türkei sehr von der Strömung des Modernismus beeinflusst war, es wurde und wird heute viel kopiert.
Wenn ich die zeitgenössische, türkische Architektur betrachte, sehe ich zwei Strömungen: Die eine versucht sich dem westlichen Internationalismus anzupassen und die andere versucht sich davon abzugrenzen. Da ist eine Spaltung, wie gehen Sie damit um?
Das ist sehr schwierig und der Grund, dass wir momentan ganz schön „schizophren“ sind. Wir sind alle psychologisch gestört, in vielerlei Hinsicht. Wir durchlaufen eine Transitionsperiode, mit der wir uns schon früher hätten befassen sollen. Wir haben uns von unserem Ursprung abgeschnitten. Dadurch wissen wir nicht mehr, wo wir stehen. In der Ausbildung der Architekten an den Schulen wird die Vergangenheit nicht berücksichtigt.
Wie ist Ihre Reaktion auf diesen ‚missing link‘?
Meine Kritik richtet sich auf das ‚Kopieren‘ entweder der modernen oder der traditionellen Architektur. Sie wird eins zu eins übernommen, dann weiß oder färbig angemalt – und schon gilt sie als etwas Neues.
Wie geht man mit der türkischen Vergangenheit in der Architektur um?
Die Vergangenheit und das Erbe sind sehr präsent in der türkischen Architektur, da muss man nur die Zeit der Seldschuken betrachten. Leider hat das keinen sehr großen Anteil im Ausbildungssystem der Architekten. Man beschränkt sich auf ein bisschen ottomanische und seldschukische Architektur, statt sie wirklich zu studieren und daraus zu lernen. Mich haben immer die Werte interessiert, ich kenne meine Wurzeln genau.
Sie versuchen also eine Synthese oder Symbiose zu erzielen?
Heute kann ich das auch theoretisch erklären, aber eigentlich habe ich damals nur entworfen, auf etwas gefühlsmäßig reagiert. Als ich einmal ein Zelt für einen Klub entwarf, sind die Leute gekommen und haben gefragt: „Haben Sie das aus Indien?“ Wir haben immer schon Zelte in unserer Geschichte gehabt, aber die Menschen wissen das nicht mehr. Ich bin mit der islamischen Kultur sehr vertraut und in der Türkei aufgewachsen. Ich habe den Koran studiert und versucht herauszufinden, was er sagt und wie er verstanden wird.
Wie sind sie zum Bau der Sakirin Moschee gekommen?
Ich habe mit meinem Team von Architekten versucht, das Design der Moschee, die Husrev Tayla* entworfen hatte, etwas zu verändern. Die Kuppel war von einem berühmten Bau in Ankara und die Fassaden waren klimtähnlich, es war eine Mischung verschiedener Stile und Perioden. Der Auftraggeber war einverstanden, Architekt Tayla nicht, aber sein Team willigte dann doch in die Änderungen ein.
Hat die Tatsache, dass Sie als erste Frau in der Türkei eine Moschee gestaltet haben, etwas in der Gesellschaft verändert? Wie waren die Reaktionen?
Das war sehr interessant. Ich musste in der Moschee für das Fernsehen die Veränderungen, die ich entworfen hatte, erklären. Es kamen eine Menge Leute aus den ländlichen Gegenden von Anatolien, um die Moschee anzuschauen.
Normalerweise benutzen den unteren Bereich die Männer und den ersten Stock in einer Moschee die Frauen. Das ist Tradition. Viele Frauen sind nun in den unteren Bereich gegangen, haben die Glasgefäße berührt, die Mihrab angeschaut, alles ihren Kindern erklärt. Das ist eine große Veränderung. Es ist das erste Mal, dass es eine ‚transparente‘ Moschee gibt und die Menschen mögen das. Sie bezeichnen sie als ‚freundliche Moschee‘.
Ist diese Offenheit, auch ein Zeichen für eine Gesellschaft, sich von der Segregation zu einer Integration zu bewegen?
So tief würde ich nicht gehen. Ich habe aber aus meinem Instinkt reagiert. In der Zeit des Baus gab es einen tiefen Bruch in der Gesellschaft und ich wollte diese Moschee nicht politisch missbraucht wissen.
Sie haben also nicht rationell, sondern intuitiv gehandelt?
Ja, ich bin natürlich mit meinem Entwurf zu den höchsten Theologen gegangen, um ihnen das zu zeigen und es abzuklären. Da habe ich gemerkt, dass es keine Richtlinien im Bau von Moscheen gibt. Die Mihrab muss nach Mekka gerichtet sein und man sollte die Menschen nicht provozieren, ihnen nicht zu viel oktroyieren. Die Beschränkungen sind in den Köpfen. Viele Menschen verwechseln ihre Traditionen mit religiösen Regeln.
Heißt das, die Architektur soll nicht die Menschen zu etwas zwingen, sondern zusammen mit den Menschen reagieren?
Ja, sonst wäre es eine Skulptur, ein Symbol. Die Person des Architekten soll im Design, in der Architektur, nicht zu wichtig werden.
Fotos: Zeynep Fadillioglou