Die Kunst des Weiterbauens

16. Januar 2025 Mehr

Das Architekturbüro MOSER UND HAGER, gegründet im Jahr 2011 in Linz, hat sich seitdem zu einem bedeutenden Akteur in der österreichischen Architekturszene entwickelt. Im Interview geben die beiden Gründer, Anna Moser und Michael Hager, Einblicke in ihre Motivation, ihre architektonische Philosophie und ihre Herangehensweise an Projekte, besonders im Bereich der Bestandsbauten. Sie sprechen über die Herausforderungen und Chancen, die sich bei der Arbeit mit historischen Gebäuden ergeben, und wie sie Tradition mit modernen Ansprüchen in Einklang bringen.

 

 

Frau Moser, Herr Hager, was hat Sie motiviert, ein eigenes Büro zu eröffnen, und welche Vision hatten Sie dabei?

Wir hatten beide diese intrinsische Lust zu schaffen und zu entwickeln. Es ist sehr schön, Projekte im wahrsten Sinne des Wortes wachsen zu sehen.  Visionen hat man zu Beginn viele, auch einige Irrwege und viel Optimismus. Der rote Faden, der uns aber seit dem Start begleitet, war und ist der Anspruch baukünstlerisch zu arbeiten.

Wie würden Sie Ihre architektonische Philosophie beschreiben?

Unsere Projekte sind getragen von dem Gedanken, Baugeschichte weiterzuschreiben und nicht umzuschreiben. Der baukulturelle Hintergrund, bzw. das kulturelle Umfeld dienen uns hierzu als Grundlage. Unsere Arbeit an den klassischen Vierkanthöfen oder Markthäusern etwa bezieht sich immer auf die kontextuale Auseinandersetzten mit der Bautypologie – also mit dem baukulturellen Hintergrund. Gleichzeitig sind diese Denkmäler ein Speicher an immateriellen Werten, steingewordene Zeugnisse einer gemeinsamen Geschichte, der man gerecht werden muss.

 


Hof B, Steyr Land: Der über längere Zeit leerstehende Wirtschaftshof sollte für reine Wohnzwecke zeitgemäß adaptiert werden. Es galt, den ursprünglichen Charakter des Vierkanters zu erhalten, obwohl sämtliche Räume in ihrer Funktion abgeändert wurden.

 

Woher schöpfen Sie ihre Inspiration? Können Sie uns ein konkretes Beispiel nennen, wie diese Elemente Ihre Arbeit beeinflusst haben?

In den letzten Jahren konnten wir einige Revitalisierungen und Umbauten in Italien und der Schweiz besichtigen. Der Umgang mit historischen Gebäuden ist besonders in Italien viel freier und avantgardistischer als bei uns. Die Spuren der Vergangenheit und die durch die Alterung entstandene Patina werden als wertvoll und poetisch wahrgenommen. Hier in Österreich herrscht oft die Haltung Altbestände in Neubauten transformieren zu wollen. Dabei gehen Qualität, Identität und ein eigenständiger Charakter leider oftmals verloren.

Der Umgang mit bestehenden Gebäuden ist auch ein zentraler Aspekt Ihrer Arbeit. Sehen Sie das Bauen im Bestand als eine Art von Bewahrung oder eher als Transformation?

Bestandsbauten und vor allem historische Bauten haben ihre Geschichte.  Baugeschichte hat tatsächlich etwas mit Schichten zu tun, die es gilt freizulegen, um sie sichtbar zu machen. Unsere Arbeit ist eine beständige Nachjustierung bekannter und bewährter Strukturen. Ein zeitgemäßes Fortschreiben bewährter Typologien und erprobter Techniken. Es ist ein Bewahren und Stärken von Qualitäten und eine Transformation des Selbstverständlichen, eingreifend, wo verändert werden muss.

 

 

Wie gehen Sie mit baulichen und gestalterischen Restriktionen um, die oft mit der Arbeit an bestehenden Gebäuden einhergehen?

Im Bestandsbau, sowie im Neubau sollte immer der Kontext die entscheidende Grundlage für Entwurfsentscheidungen sein. Das heißt,  die Enwurfsparameter sind beim Arbeiten im Bestand nicht restriktiver zu bewerten. Im Bestand, vor allem bei historischem Gebäude gibt es eine große geistes-, bzw. kulturwissenschaftliche Komponente, die einen sehr inspirierenden Input darstellt. Das ist für uns nicht Restriktion, sondern Bereicherung.

Wie entscheiden Sie, welche Elemente eines Bestandsgebäudes erhalten bleiben und welche durch Neues ersetzt werden sollen?

In einer erkenntnisorientierten Arbeitsweise erstellen wir für jedes Objekt einen Analysekatalog. Ursprungstypologie und baugeschichtliche Veränderungen werden erfasst. Daraus ergibt sich eine sehr klare Vorgehensweise bei der zu schützende und erhaltenswerte Elemente bestimmt werden. Ergänzt wird dieser mit den persönlichen Geschichten der Besitzer. Eine Holztür oder ein Familienerbstück kann dadurch zu einer zentralen Rolle des Entwurfs werden.

 


Einem der wohl emotionalsten Eckpunkte des Daseins widmeten sich Moser und Hager mit der Konzeptionierung der Verabschiedungshalle in Kematen an der Krems. Mit dem sensiblen Entwurf des Baus wollen die Architekten der Bedeutung des Ablebens gerecht werden – Details im Innenraum zeigen zusätzlich den Stellenwert des Lebens auf und begleiten die Hinterbliebenen bei ihrer Trauer.

 

Wie gehen Sie mit dem Spannungsfeld zwischen den Anforderungen an Energieeffizienz, dem Erhalt historischer Bausubstanz und eventuellen Vorgaben des Denkmalschutzes um?

Der Erhalt und die Verlängerung der Lebensdauer eines Gebäudes oder die Reaktivierung von Leerstand ist an sich ein ressourcenschonender und klimaschützender Prozess. Im Vergleich zum Neubau weisen Projekte an Bestandsgebäuden eine Reduktion der grauen Emission und des Energieverbrauchs in der Herstellung auf, wenn man daran denkt, welche Masse an Baumaterial erhalten bzw. nicht neu produziert werden muss. Weiteres kann durch Revitalisierung meist eine zusätzliche Bodenversiegelung vermieden werden. Die positiven Argumente überwiegen. Was die Objekte selbst und ihre Energieeffizienz betrifft, gibt es viele Möglichkeiten und Stellschrauben, um ein saniertes Gebäude klimafit zu machen.

Inwieweit sehen Sie sich in der Pflicht, traditionelle Bauweisen zu bewahren oder weiterzuentwickeln? Welche Rolle spielt Handwerk in diesem Kontext, und wie lassen sich traditionelle Techniken in die moderne Architektur integrieren?

Historische, denkmalgeschützte Gebäude unterliegen einem klaren Regelwerk von Denkmalamt und Fachrestauratoren. Bei nichtdenkmalgeschützten Gebäuden arbeiten wir oft denkmalgerecht und materialtreu und vorwiegend mit Firmen mit Expertise im Umbau und Kenntnissen von traditionellen Techniken. Eine fachgerechte Sanierung ist ein Qualitätsmerkmal, und nicht ein Verweis auf moderne oder traditionelle Architektur.

 


Das ehemalige Gasthaus, das im Kern aus dem 15. Jahrhundert stammt, wurde kontinuierlich erweitert und ergänzt. Vor allem Umbauten ab den 1960er-Jahren haben den Charakter des Gebäudes stark verfremdet. In Rückbesinnung auf die ursprüngliche Anlage wurden die früheren Grundrisse im Obergeschoss wiederhergestellt. Gewölbe, Bögen, Böden und alte Wandöffnungen wurden komplett rückgeführt sowie Wand- und Deckenmalereien aus dem Neobarock freigelegt und fachgerecht restauriert.

 

Perfekt abgestimmte und hochwertige Materialpaletten sind ein weiteres Markenzeichen Ihrer Arbeit. Wie treffen Sie die Entscheidung für bestimmte Materialien, insbesondere in der Kombination von Alt und Neu?

Gerade der Spannungsbogen zwischen Alt und Neu versetzt ein historisches Gebäude in die Gegenwart. Materialeinsatz ist neben der funktionalen Adaption der Weg zu einer zeitgemäßen Benutzung und Erscheinung. Patina, Reife und auch die herbe Schlichtheit des Bestandes verstehen wir als Bühne, die es gilt zu bespielen, zu ergänzen und zu kontrastieren. Bei unserem Projekt Hof B wurde etwa der in die Tenne eingestellte Baukörper mit Spiegeln verkleidet, um die umliegenden historischen Tragstruktur der Tenne und die Natur widerzuspiegeln, um auf ihre Schönheit zu verweisen.

Bei der Aufbahrungshalle im Kremstal wurde der ortsübliche und identitätsstiftende Konglomeratstein der Friedhofsmauer als weiterlaufendes Element an der Fassade verwendet. Zu dieser Erdschwere des Steins wurde eine innenliegende transparente und zart wirkende Glasfassade in Kontrast gestellt.

Wie sehen Sie die Entwicklung der Architektur in den nächsten zehn Jahren, insbesondere im Bereich des Bauens im Bestand?

Natürlich würden wir uns ein Minimum an Versiegelung und eine breite Bearbeitung des vorhandenen Bestandes wünschen. Dafür braucht es aber ein soziales Umdenken. Sanierungen werden meist als kostenintensiv und mit individuellen Einschränkungen konnotiert, die unzähligen Qualitäten werden dagegen kaum wahrgenommen. Eine umfassende Diskussion und Aufklärung über die Qualitäten und Vorzüge von Beständen würden eine weitreichende Entwicklung anfeuern.

 

 

Wie planen Sie, die Prinzipien und Werte Ihres Büros weiterzuentwickeln?

Mit dem Schwerpunkt der Sanierung dürfen wir einen Bereich der Architektur bearbeiten, den wir als sehr sinnstiftend erleben. Darüber hinaus zeigt uns die Arbeit am Linzer Mariendom oder am barocken Stift Schlierbach, dass wir diese Bauwerke nur ein Stück in ihrer oder allgemein in der Geschichte begleiten.  Das stellt die eigene Rolle in ein neues Verhältnis und bereichert unsere Arbeit mit der Auseinandersetzung von Wertbeständigkeit weg von modischen Tendenzen. Wir leben in einer sehr schnellen Zeit überflutet mit appetit­lichen Bildquellen. Abweichend von diesen Tendenzen und Einflüssen zu arbeiten und sich als Grundlage geistes- und kulturwissenschaftlich auseinanderzusetzten, ist eine erfüllende Arbeitsweise, die wir beibehalten und intensivieren möchten.

Welche Projekte würden Sie gerne noch realisieren, wenn Sie freie Hand hätten?

Poetische Projekte, welche eine bestimmte Atmosphäre und Stimmung benötigen. Wie etwa die Aufbahrungshalle, die der Situation einen angemessenen Rahmen geben muss. Ein Künstleratelier oder einen Ausstellungsraum und ein richtig gutes Freibad.

www.moserundhager.at

 

 

Interview: Andreas Laser
Fotos: Gregor Graf

Kategorie: Architekten im Gespräch, Kolumnen