Die Möglichkeiten ausschöpfen
Lisi Wieser unterstützt mit ihrer Plattform „Architektur für alle“ private Baufrauen und Bauherrn bei Umnutzung, Umgestaltung, Umbau und Erweiterung ihres Zuhauses. Spezialisiert ist sie auf Projekte im kleinen und kleinsten Maßstab, die sie architektonisch betreut. Ihre Plancoachings stoßen als skizzenhafte Beratungen auf großes Interesse und vor allem auch auf Bedarf. Mit ihrer Arbeit will sie einen Beitrag dazu leisten, die Architektur wieder mit mehr Wertigkeit zu versehen.
Was nehmen Sie aus der Coronazeit für Ihre Arbeit mit?
Meine Plancoachings mache ich seit Corona ausschließlich online. Ich sitze Menschen gerne gegenüber, somit hätte ich das ohne diese Umstände wohl nicht ausprobiert. Überraschenderweise haben wir tatsächlich festgestellt, dass wir im Online-Modus mehr Ideen haben, mehr produzieren, schneller zum Punkt kommen und auch weniger Zeit brauchen. Zuhause scheinen sich die Leute sicherer zu fühlen und auch konzentrierter zu sein. Durch die Live-Übertragung können sie auch direkt bei dem mitschauen, was ich am Tablet zeichne. Das ist eine Kleinigkeit, aber am Papier zeichnend habe ich immer meine Hand vor dem Blatt. Am Bildschirm sehen sie genau, was ich mache und können mitreden.
Wer sind die Leute, mit denen Sie Plancoachings machen?
Das sind Menschen, die umbauen und viel selbst in die Hand nehmen möchten. Mein spezieller Kundenbereich liegt immer unter einem Budget von 500.000 Euro. Oft geht es darum, ein geerbtes Haus an ihre eigenen Lebensumstände anzupassen. Ich entwickle dazu ihre Grundrisse und sie bekommen von mir Inputs, wie sie das Haus oder die Wohnung, zu ihnen passend, adaptieren können. Ich entwerfe nicht nur für EigentümerInnen, sondern auch für MieterInnen. Diesen fehlt oft ein zusätzliches Zimmer und sie fragen sich, ob es notwendig ist, dafür in eine größere Wohnung mit erheblichem Mietaufschlag umzuziehen. Ich unterstütze sie dann dabei, die bestehende Wohnung umzubauen und umzunutzen.
Auch und vor allem kleine Details können viel bewirken und zur Wohlfühlatmosphäre beitragen: einladende Sitzplätze zum Verweilen und Ausblicke an der richtigen Stelle. Dazu stellt Lisi Wieser auch auf ihrem Blog viele Tipps und Tricks zur Verfügung.
Was zeichnet Ihren besonderen Arbeitsbereich aus?
Ich arbeite in dem Privatbereich, wo ArchitektInnen eigentlich zu viel leisten müssen. Es gibt einen Grund, wieso die meisten Architekturbüros Projekte unter einem Bauvolumen unter 500.000 Euro nicht bearbeiten. Für die ArchitektInnen laufen da nur Arbeitsstunden hinein und es schaut dabei wenig heraus. Wirtschaftlich ist das eigentlich nicht tragbar. Auch leisten sich heutzutage nur wenige dieser privaten Baufrauen und Bauherrn ArchitektInnen, da viele schon schwer den Umbau an sich finanzieren können. Dadurch ist bei mir die Kommunikation ganz wichtig. Das Architekturwissen muss so übersetzt werden, dass es mein Gegenüber leicht und verständlich begreift. Auf diese Art von Vermittlung bin ich spezialisiert. Ich muss klar machen, wieso beispielsweise diese Tür genau da wichtig ist und nicht um einen halben Meter verschoben werden kann. Mein innerer Drang ist es, den Leuten mitzuteilen, dass sie nur einmal umbauen und das jetzt Überlegte sie nichts kostet, aber trotzdem total wichtig ist. Ob das Fenster in der Morgensonne ist und einen Blick ins Grüne hat, soll überlegt werden. In Österreich gibt es dafür keine Ansprechperson. Ich unterstütze sie sozusagen dabei, ihre eigenen besten ArchitektInnen zu sein.
Wie ist der Schwerpunkt Ihres Büros entstanden?
Aus einer Beobachtung heraus habe ich gemerkt, dass es viele Leute, Freunde und Bekannte gibt, die ein Haus bauen und dafür Hilfe suchen. Es gibt Menschen, die Expertise brauchen und bereit sind Geld dafür auszugeben. Sie finden aber niemanden, der ihnen etwas bietet, womit sie etwas anfangen können. So ist „Architektur für Alle“ entstanden, das war für mich ein logischer Schritt.
Was ist Ihre Motivation, sich dieser Nische am privaten Markt zuzuwenden?
Architektur wird heute noch in einer Struktur geplant, die es schon über einhundert Jahre gibt. Wir halten uns akribisch an die Einteilung nach unseren zehn Planungsschritten. Es hat sich in der Zwischenzeit aber alles komplett gewandelt und wir ziehen die Struktur trotzdem über das Internet, über Google, über BIM. Das stelle ich in Frage, denn es gilt zu schauen, was der Mensch überhaupt braucht. Was die Lösung dafür ist, weiß ich auch nicht. Aber ich denke, idealerweise suchen viele Menschen viele Wege. Diese veraltete Struktur, die die ganze Welt in diese Professionisten-Struktur zu pressen versucht, hat mich sehr angetrieben. Es gibt Projekte – je größer umso besser –, die gut darauf ausgelegt sind und unglaublich viele andere, die nicht hineinpassen. Gleichzeitig hat die räumliche und atmosphärische Ausbildung von ArchitektInnen – vor allem im Wohnbau – sehr wenig Bedeutung. Bei großen Projekten hat Atmosphäre keinen Wert. Das schätze ich bei meinen Kunden, dass sie ein atmosphärisch cooles Wohnzimmer haben möchten. Keiner will ein weiß gefliestes Wohnzimmer, weil es einfach zu putzen ist. Auch deshalb habe ich mich dem privaten Markt zugewandt. Ich möchte für Menschen, für Charaktere, für Leute planen, die ich anschauen kann und nicht für die anonyme Masse. Im privaten Bereich habe ich den größten Impact auf die Architekturqualität.
Wie spiegelt Ihre Arbeit das wider, was Architektur für Sie ist?
Architektur ist für mich der Mensch, der drinnen ist. Ich mache gerade in Berlin meinen PhD mit einem praxisbezogenen Programm. Dessen Aufgabe ist es, über die eigene Arbeit zu schreiben und daraus für andere Wissen zu generieren. Das lädt mich dazu ein, viel über das Nicht-Sehen des architektonischen Feldes nachzudenken, in dem ich arbeite. Oft gerate ich dabei zwischen die Fronten bei der Ansicht dazu, was Architektur überhaupt ist. Viele sagen, dass es keine Architektur ist, wenn es nicht ästhetisch und kein Design ist. Für mich ist Architektur aber am Fenster zu sitzen und in die Sonne hinauszuschauen. Oder hinunterzugehen, einen Baum zu sehen und meiner Freundin in der Küche „Hallo“ zu sagen. Architektur ist für mich Bewegung, Schauen und Licht. Da entbrannten bereits Streits, ob ich überhaupt Architektin bin oder nicht.
Wie kann der Arbeit von ArchitektInnen mehr Bedeutung zukommen?
Es gibt zwischen Deutschland und Österreich einen großen Unterschied: In Deutschland braucht man immer einen Architekten, da gibt es nur ganz wenige Ausnahmen. In Österreich braucht man im privaten Bereich oft gar keinen Architekten. Dann versteht auch keiner, wieso einer notwendig ist. Es gibt auch einen Unterschied zwischen privaten kleinen und großen AuftraggeberInnen. Den ersteren muss ich erklären, was das Gute an unserer Planung ist. Das versuche ich über meine Plattform, wo ich quasi erkläre was der Nutzen unserer Arbeit ist. Zum Glück gibt es diese Attitüde nicht mehr, dass ich schnell einen Entwurf mache und dafür nichts verlange. Denn das geht einfach nicht. Man muss unsere Arbeit – jeden Strich und jede Zeichnung – mit einer Wertigkeit versehen, sonst ist sie einfach nichts wert.
Auch kleine Veränderungen sollen wohlüberlegt geplant sein. So kann etwa ein Kamin viel zur Wohnqualität beitragen, wenn er gut positioniert und mit einem angenehmen Sitzplatz kombiniert ist, der auch im Sommer schöne Ausblicke bietet.
Um welche Entwicklungen wird es in den nächsten Jahren kein Herumkommen geben?
In meinem Bereich geht es dabei um alle Häuser, die zwischen 1940 und 1990 gebaut wurden. Diese kommen jetzt alle in die Jahre und es gibt einen riesigen Sanierungsbedarf. Auf der einen Seite gibt es die Wohnungsnot und andererseits Häuser, die meist von nur ein bis zwei Personen bewohnt werden. Gerade werden viele davon weitergegeben oder vererbt. Junge und auch ältere Menschen wollen dort einziehen und diese durchgewohnten Häuser adaptieren. Das ist ein großes Thema und gleichzeitig auch der CO2-Haushalt. Daraus ergibt sich die Frage, wie man umweltschonend sanieren kann. Wir brauchen nämlich nicht mehr so viel neu bauen, sondern der Bestand muss erneuert werden.
Was möchten Sie der zukünftigen ArchitektInnen-Generation auf den Weg geben?
Schaut auf die Umwelt und auch darauf, dass die Leute über eure Arbeit Bescheid wissen. Es ist nicht gut, ein vorgefundenes System zu übernehmen und genauso weiterzumachen. Es muss die Frage gestellt werden: Finde ich das, was gerade gebaut wird, toll? Werde ich etwas daran verändern, wenn ich einen guten Wettbewerbsbeitrag und einen tollen Entwurf mache? Wenn ich das für mich mit Nein beantworte, dann gilt es zu überlegen, was Alternativen sind und was ich ausprobieren kann. Wir schöpfen zu 99 Prozent nur eine Möglichkeit aus, Architektur zu machen, obwohl es noch so viele mehr gibt.
Fotos: Kristina Brandstetter
Kategorie: Architekten im Gespräch, Kolumnen