Die Qualität der Architektur – Isa Stein
Isa Stein zur Aufgabe von Architektur und Architekten
Die Qualität der Architektur kommt durch ein gesamtheitliches Denken.
Isa Stein studierte in Graz, Paris und New York Kunst und Architektur und arbeitete während dieser Zeit für Jean Nouvel in Paris und Vito Acconci in New York, hat national und international ausgestellt und ist in renommierten Sammlungen vertreten. In ihrer Arbeit steht der Mensch als Subjekt im Zentrum. Auch das 2003 gegründete und mit dem Staatspreis Design ausgezeichnete Studio, ein Team aus fünf kreativen Köpfen, plant und entwirft stets in Bezug auf den Menschen.
Foto:©Sabine Stieger
Welche Aufgabe hat gebauter Raum heute im Gegensatz zu früher?
Gebauter Raum hatte in der Vergangenheit das Ziel, uns Menschen einen Raum als Schutzfunktion zu bieten. Dieses Bedürfnis geht zurück auf Vetruv´s Urhütte – und hatte bis vor etwa 20 Jahren Vorrang. Zusätzlich gab es natürlich auch immer monumentalistische Architektur, Prunkbauten oder auch Architektur als Propaganda.
Seit Ende des 20. Jahrhunderts wird Architektur ausgehend vom Dekonstruktivismus vermehrt zur Raumskulptur, im Sinne von Boden, Wand, Decke neu definiert.
Architektur als Skulptur?
Mit dem skulpturalen Anspruch, wie wir ihn durch Frank O. Gerry kennengelernt haben, wird der Dekonstruktivismus weiter gesteigert. Architektur versucht die Schwerelosigkeit zu erlangen. Wir sind in einem übersteigerten Selbst angelangt.
Und wo steht dabei das Bauwerk als Funktion?
Der Raum dient zwar immer noch im erweiterten Sinne dem Schutz unserer Körper, ist jedoch auch eine Hülle oder ein Mittel dafür geworden, neue Geschwindigkeiten unterzubringen. Hier meine ich eine Unzahl von Leitungen. Hat man früher für Haus- und E-Technik noch 25 % der Baukosten angenommen, ist dieser Teil heute bis zu 50% angewachsen. D.h. feinstofflich in der Folge, dass unsere Wände auch nicht mehr die gleiche Wirkung oder Ausstrahlung auf uns haben können.
Studio Isa Stein – Raum für mehr als nur einen kreativen Kopf.
Ist so viel Haus- und E-Technik wirklich notwendig?
Das hat eher mit unserer technologischen Entwicklung zu tun, die neben einer demographischen Veränderung die wirklich große Rolle spielt. Die Frage „Was brauchen wir?“ wird nicht mehr gestellt. Die Formulierung heute heißt „Was ist möglich?“.
Welche Folgen hat das auf den Nutzer?
Diese Entwicklung der „Nutzungsänderung“ unserer Architektur hat einen Vice-Versa-Effekt auf unsere Gesellschaft. Die bis jetzt bekannten Sekundärbedürfnisse von uns Menschen werden geändert. Primärbedürfnisse sind grundsätzlich unveränderlich, damit man lebensfähig ist. Sekundärbedürfnisse verbessern bzw. verändern den Lebensstandard eines Menschen. Wenn die Fragestellung nicht mehr dem Subjekt des Menschen, sondern nur mehr einer sekundären Bedürfnispyramide gilt, dann verändern wir Schwingungen – zwischenmenschlich und somit auch physikalisch.
Im Zentrum steht der Mensch als Subjekt.
Was ist für Sie gute Architektur?
Gute Architektur besteht für mich in der Integration in den Bestand und die Umgebung sowie in der Umsetzung der Ziele, die mit diesem Bauwerk verbunden werden.
Weltoffene Lobby im Hotel Gabrium
Welche Ziele sind das?
Es ist die Aufgabe des Architekten, sowohl sozial, psychologisch und gesellschaftsbildend zu agieren. Die Qualität der Architektur kommt durch ein gesamtheitliches Denken. Architektur hat gesellschaftlich und physisch Auswirkungen auf viele Menschen, somit ist die Aufgabe sehr breit anzusiedeln.
Und was bedeutet das für die Umsetzung?
Viele Bauaufgaben erfordern die richtigen Projektbeteiligten, d.h. am Anfang muss klar überlegt werden, welche Inputs eingeholt gehören, um das Projekt umzusetzen – dies ist eine städtebauliche, sozialpolitische oder skulpturale Nutzungsfrage. Am Beginn steht die Analyse, umso klarer dieser Prozess läuft, umso größer sind die Chancen, dass Architektur am Ende auch abgebildet wird.
Sollte Architektur demnach primär zweckmäßig sein?
Prinzipiell ist das für mich wünschenswert und notwendig. Zweckmäßig setze ich gleich mit sinnvoll. Zweckmäßig heißt für mich nicht günstig und reduziert im Sinne von billig bauen. Es geht vielmehr um die Analyse der Notwendigkeiten. Diese ist essentiell am Beginn der Reise eines jeden Bauwerks.
Soll generell am Ende jeder Reise ein Zweckbau stehen?
Wenn wir uns wieder dem nähern, was die jeweilige Bauaufgabe ist, einen roten Faden entwickeln, dann weiß man auch in welche Richtung man schreitet. Dann wird auch klar sein, neben den jeweiligen handelnden Personen, ob das Bauwerk als künstlerisches oder skulpturales Bauwerk anzusiedeln ist oder ein zweckgebundenes Bauwerk entsteht. Keine der beiden Richtungen ist besser als die andere, denn es geht um die Frage „Was ist die jeweilige Bauaufgabe?“.
Wieviel Kunst braucht Architektur?
Kunst als Behübschung zu sehen und mit „Kunst am Bau“ ungeliebte Bauwerke zu retten, halte ich für Geldverschwendung.
Was wäre die Alternative?
Nachdem jedes Gebäude ein Prototyp ist und wahnsinnig viel Energie von einzelnen Personen von der Planung bis zur Umsetzung hinein fließt, ist es wünschenswert, dass man sorgsam mit allen Beteiligten und später darin lebenden oder im Umfeld lebenden Menschen umgeht. Wenn Projekte komplett gescheitert sind, ist es besser und mutiger diese abzureißen. Wir brauchen Freude an unserem Stadtraum und Mut zur Entwicklung.
Brauchen wir dazu Architekten? Oder kommen Bauherren, Fachplaner und Baumeister auch ganz gut ohne zurecht?
Architektur ist ein breites Gebiet und sehr viele Disziplinen spielen in unseren Beruf hinein. Wir sind auf die Expertise von anderen Studienzweigen angewiesen und ein Architekt ist im besten Fall ein genialer Generalist. Den Architekten in dieser Rolle würde unsere Gesellschaft und Umwelt dringend brauchen und öfter als nur bei 7% der Bauaufgaben, wie es jetzt der Fall ist. Unsere Ausbildung fördert jedoch immer weniger das gesamtheitliche Denken, sondern bildet den Architekten als Fachmann für Bau aus. D.h. wir werden Baumeister mit einem Diplom. Das ist generell nichts Schlechtes, doch sind wir dann eben Baumeister.
Was ist die Aufgabe des Architekten – neben Baumeister und Fachplanern?
Fast jeder Architekt macht die Erfahrung am Bau, dass Firmen und Facharbeiter den Studierten mit Liebe fachlich ausrutschen lassen. Das hat mir gezeigt, dass die handelnden Personen das Zusammenspiel und die Qualität des jeweiligen Anderen nicht verstanden haben. Natürlich haben Fachleute ein detaillierteres Wissen in ihrem Fach als Architekten. Doch müssen wir uns wie ein Dirigent einer Symphonie verstehen. Ein großartiges Konzert erfordert sehr gut ausgebildete Musiker und Musikerinnen, doch braucht es eine Person, die das zusammenfassen kann.
Zahlt sich das Studium noch aus? Ruhm und Anerkennung – und auch die Bezahlung sind – zumindest anfangs – doch eher mäßig.
Ganz im Gegenteil: Studenten werden auf Grund der kollektiven Einstufung bezahlt. Würden wir nach Leistung entlohnen, würden viele Studenten nicht erfreut sein. Auch schon deshalb, weil unsere Kinder, unsere Studierenden keine Ahnung mehr haben, was Leistung eigentlich heißt. Aber von nichts kommt eben nichts. Keiner der weltweit bekannten Architekten ist dort, wo er ist, durch Zufall. Natürlich gehört ein bisschen Glück auch dazu. Aber, wo immer man im Leben steht, muss man dies auch selbst tragen können. Berühmt wird man für seine Arbeit – auch für die Arbeit im Bereich Marketing und Sichtbarkeit. Ruhm ist aber sekundär. Es geht beim Bauen um Respekt, nicht um Eitelkeit. Eitelkeiten bringen Projekte um – und das ist bei Architektur meines erachtens immer fehl am Platz gewesen. Insbesondere, da man nicht für sich selber baut.
In Hinblick auf den Nutzer oder auf die Gesellschaft?
Beides. In Österreich liegt die Entscheidung, was wo gebaut wird meist beim Bürgermeister. Und dieser hat nicht nur objektiv funktionierende Orts- und Stadtkerne im Fokus sondern auch Einwohnerzahlen, Kommunalsteuer und anderes, wie etwa diverse Gefälligkeitsdienste. Hier müssen wir überregional regional denken und planen. Dann schafft man Zukunft.
Was würden Sie sich hier von Politik und Medien wünschen?
Der gegenseitige Respekt, das Wissen, dass wir alle einander benötigen um gemeinsam Zukunft zu kreieren, sollte ausreichen, damit wir uns alle gegenseitig unterstützen. Wertschätzung und Respekt sind meines Erachtens die wichtigsten Faktoren um gemeinsam zu wirken. Das gilt innerberuflich und auch fächerübergreifend.
Von der Politik wünsche ich mir jedoch explizit, dass Architektur im Generellen nicht als Behübschung und Werbemittel für den eigenen Auftritt gesehen wird, sondern als wichtige gesellschaftliche Aufgabe. Medien können dies unterstützen, indem sie nicht nur die jeweilige gebaute Architektur in den Mittelpunkt rücken, sondern auch ihre Auswirkungen gesamtheitlich analysieren.
„Künstlerisch skulptural oder zweckgebunden – keine der beiden Richtungen ist besser als die andere. Es geht um die Frage: „Was ist die jeweilige Bauaufgabe?“
Inwieweit ist der Architekt dazu ausgebildet, alle Faktoren zu berücksichtigen?
Der Beruf der Architektur hat sich stark gewandelt. Das zeigt sich auch in der Ausbildung. Statt „Was sollen wir lehren?“ scheint es hier eher zu heißen: „Was möchten wir alles unterkriegen?“. Damit bringt man den Beruf des Architekten um. Vor zehn Jahren noch war klar, dass die Fachhochschulen sozusagen die direkten Notwendigkeiten des Marktes decken und eben facheinschlägige Studenten ausbilden.
Heute nähern sich Betriebe auch an Universitäten an, sponsern diese und schaffen so Abhängigkeiten. Der ausgbildete Architekt sollte aber in erster Linie ein mündiger, selbstdenkender Bürger sein und dann über eine breitgefächerte Ausbildung verfügen, um mit seinem Wissen in vielen Bereichen des Lebens notwendige Zukunftsentscheidungen mit zu entwerfen. Ein Entwurf ist nicht notwendigerweise ein Bauwerk.
Inner Dress, Biennale 2018
Text:©Heidrun Schwinger
Kategorie: Architekten im Gespräch, Kolumnen