Die Zukunft des Bauens ist CO2-negativ
“Snøhetta ist ein Ort, von dem niemand kommt, aber zu dem jeder gehen kann.” Was aus einer Arbeitsgemeinschaft aus Architekten und Landschaftsarchitekten begann, ist seiner interdisziplinären Denkweise bis heute treu geblieben. Snøhetta zielen darauf ab, durch eine intensive Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Ort, dem Kontext, der Geschichte und den Menschen, für die sie bauen, spezifische Entwürfe zu entwickeln. Kollektives Arbeiten auf Augenhöhe – sowohl im Team, als auch mit den Fachplanern und Bauherren – ist für Patrick Lüth, Partner und Managing Director von SNØHETTA Innsbruck, mehr als ein Schlagwort, sondern vielmehr eine Notwendigkeit unserer Zeit. Ein radikales Umdenken im Bauwesen ist für Lüth eine nicht aufzuhaltende Entwicklung. Ein wichtiger Aspekt hierbei: das CO2-negative Bauen.
Die Berufswelt der ArchitektInnen verändert sich praktisch täglich. Welche Erfolgsstrategien können Architekturschaffende in diesen Zeiten generell entwickeln, diesem stetigen Wandel zu begegnen?
Ich kann da nur für SNØHETTA sprechen. Wir haben generell eine ungewöhnliche Herangehensweise an diese Thematik. Dadurch, dass wir im Kollektiv arbeiten, gibt es kein System des “von oben herab”. Wir funktionieren als Team. Ich denke, für die Zukunft müssen wir mehr solcher Prozesse entwickeln, die diese Form der (Zusammen-)Arbeit unterstützen. Auch Corona hat diese Haltung in keinster Weise beeinflusst. Wir wissen jetzt, dass die rein digitale Zusammenarbeit zwar möglich ist, das Bedürfnis des physischen Kontakts dabei auf die Dauer allerdings unbefriedigt bleibt. Diese Form der Kommunikation wandert also als neues Werkzeug in unsere Toolbox. Auf die Dauer gehen beim Hetzen von Video-Meeting zu Telefon-Call und zurück die leisen – und so wichtigen – Zwischentöne leider verloren. In einer so kreativen Disziplin wie der unseren, sind es aber gerade die Feinheiten, die einen Entwurf besonders machen. Der direkte Kontakt ist daher durch nichts zu ersetzen.
Leitmotive für den Masterplan von Budapest South Gate sind Resilienz und Nachhaltigkeit, Identität und Diversität, Vision und Pragmatik sowie natürliche und soziale Dynamiken.
© ZOA3D
Birgt der Wandel der Arbeitswelt dennoch auch positive Aspekte für SNØHETTA ?
Ich denke, es besteht schon seit geraumer Zeit eine grundsätzliche Notwendigkeit, sich in der Bauwirtschaft neu zu erfinden. Ich kann hier Werner Sobek nur zustimmen, der unlängst bei einem Vortrag auf den Punkt brachte, dass wir unsere Klimaziele nie erreichen werden, wenn wir so weiterbauen wie bisher. Wir müssen unsere technologischen Grundlagen kurzfristig adaptieren können. Vielleicht sind wir da (zum Teil) auch schon auf einem guten Weg. Dass CO2-sparendes Bauen nicht beim Betrieb, sondern mit der Errichtung beginnt, ist mittlerweile immerhin auch bei vielen Investoren und Bauherren präsent. Da ist eine generelle Justierung am Markt notwendig. Schade, dass in Momenten wie diesen, wo eine breite Masse den Holzbau für sich entdeckt hat, die Preise steigen. Dem könnten allerdings auch Mechanismen in der Verwaltung oder der Politik entgegenwirken – Stichwort E-Mobilität. Leider haben die großen Baufirmen, und damit der Massivbau, in Bezug auf Kostensicherheit und Erfahrung den ökologischeren Baustoffen noch einiges voraus. Wenn wir es allerdings schaffen, CO2-neutrales Bauen zu propagieren und auch die Bauherren ins Boot holen, dann wäre ein großer Schritt getan.
Das Powerhouse Telemark produziert über einen Lebenszyklus von mindestens 60 Jahren gerechnet mehr Energie als es verbraucht. Die nach Südosten ausgerichtete Fassade und das Dach werden jedes Jahr 256.000 kWh erzeugen, was etwa dem Zwanzigfachen des jährlichen Energieverbrauchs eines durchschnittlichen norwegischen Haushalts entspricht. Überschüssige Energie wird in das Stromnetz eingespeist.
© IVAR KVAAL
Was wird von einem zukunftsgewandt agierenden Architekturbüro erwartet und welchen Einfluss hat die Digitalisierung auf Ihre Arbeit?
Mit der, in den 90er Jahren einsetzenden, Digitalisierung der Welt der Architektur, sind auf der Grundlage dieser neuen Möglichkeiten eine Reihe abgefahrener Entwürfe entstanden. Dieser Aspekt ist meiner Meinung nach mittlerweile nicht mehr wichtig. Anstelle dieser modischen Erscheinungen ist heute der Inhalt wieder ausschlaggebender als die Form – was ich absolut begrüße. Die Digitalisierung als solche ist dennoch allgegenwärtiger Bestandteil unserer Arbeitsprozesse, bestimmt aber nicht den Output. Errungenschaften wie BIM sind heute Standard und wir greifen gerne auf die praktischen Funktionen zurück. Die Werte, die hinter einem Entwurf stehen, können solche Programme allerdings nicht berücksichtigen. Gerade Aspekte wie Gesellschaft oder Nachhaltigkeit fügen wir diesen digitalen Tools also ganz analog hinzu. So empfinde ich auch die Designplattform Spacemaker weniger als Bedrohung für uns Architekten, denn als Fingerzeig, dass sich die Architektur stetig weiterentwickelt. Gesellschaftliche Räume emotional denken, können am Ende nur wir selbst.
Powerhouse Telemark © IVAR KVAAL
Wo sehen Sie den Architekten in seiner Rolle in der Zukunft? Was wird (oder muss) sich im Selbstverständnis ändern?
Der Architekt als “Meister seines Fachs” ist ein veraltetes Klischee. Ich sehe ihn vielmehr in der Rolle des Vermittlers – wobei das Gestalten der konstruierten Umwelt die Hauptaufgabe bleibt. Was sich wohl ändern wird: Wir werden weniger Neues bauen, sondern vermehrt an kreativen Konzepten der Umnutzung arbeiten. So lassen sich Kosten einsparen, aber auch CO2, das ja bereits “verbraucht” wurde. Oftmals erscheint es dennoch leichter, neu zu bauen. Da müssen wir die Akzeptanz der Auftraggeber erlangen, aber auch ein politisches wie gesellschaftliches Umdenken anstoßen. Durch Aufklärung und fachliche Diskussionen können wir als Architekten und Planer durchaus Einfluss nehmen. Meiner Meinung nach wird die Rolle des Städtebaus in diesem Zusammenhang oft noch unterschätzt. Last but not least gehört das Bewusstsein für Architektur und Baukultur in Österreich grundlegend gesellschaftlich sensibilisiert. Da haben uns andere Länder viel voraus.
Ein positiver Aspekt, den Sie aus dem vergangenen Jahr mitgenommen haben?
Die reduzierte Reisetätigkeit hat im Alltag ein enormes Zeitkontingent freigesetzt, ein sehr positiver Aspekt. Auch die Erweiterung unseres Arbeitsraumes in die virtuelle Welt hat letztlich dazu geführt, dass wir nun problemlos zwei Mitarbeiter im Ausland sitzen haben – eine Sache, die wir uns so vorher vielleicht nicht hätten vorstellen können. Ich muss da oft an ein Zitat denken, dass ich während des Lockdowns gelesen habe: “nothing should go back to normal, normal wasn’t working”. Ich sehe aber auch, dass da ein enormes Bedürfnis zurück zur Normalität besteht. Wir werden also sehen, was bleibt. Wir jedenfalls hoffen auf ein radikales Umdenken im Bauwesen und werden definitiv Teil davon sein.
Alpinschule Innsbruck (ASI) office: Das Konzept für den Holzbau setzt auf die Symbiose zwischen Natur und Mensch – ein Thema, das die Arbeit der ASI prägt. Neben einem offenen Büro-Konzept steht ein nachhaltiges Energiekonzept im Mittelpunkt. Die Fassade aus Kletterpflanzen fungiert als „grüne Pufferzone“, deren Mikroklima die benötigte Energie für die Gebäudekühlung vermindert.
© Christian Flatscher
Was macht Produkte und Baustoffe Ihrer Meinung nach nachhaltig, effizient oder smart?
Ein heute geplantes Gebäude sollte in Zukunft unbedingt rückbaubar sein. Die Umsetzbarkeit dieses Anspruchsdenkens hängt natürlich auch vom Auftraggeber ab. Ich würde mir jedenfalls eine nachvollziehbare Dokumentation des CO2-Fußabdrucks für jedes Bauteil und Gebäude wünschen. Das gibt es ja bereits am Markt, aber auch hier ist noch Luft nach oben. Wenn Ausschreibungen in Zukunft dahingehend justiert würden, wäre das ein großer Ansporn für die Hersteller. Eine Grundvoraussetzung hierfür sind sicherlich die Vorgaben in den Bebauungsplänen. Da sehe ich die Politik und Kommunen in der Verantwortung. Denn was ganz klar ist: Wir haben kein Energie-, sondern ein Emissionsproblem.
Alpinschule Innsbruck (ASI) office © Christian Flatscher
Wie sollte die perfekte Zusammenarbeit mit den Fachplanern und Herstellern Ihrer Meinung nach ablaufen?
Neben der Dokumentation des CO2-Fußabdrucks sehe ich den Cradle-to-Cradle Gedanken hier ganz groß. Sortenreines Bauen muss in Zukunft einfach möglich sein. Wir haben bereits Low-Tech-Gebäude umgesetzt, die absolut am Stand der Technik sind. Für das Headquarter von ASI Reisen in Tirol konnten wir beispielsweise auf eine Lüftungsanlage verzichten. Dazu bedarf es allerdings des Bewusstseins der Architekten sowie engagierter Fachplaner, die von Beginn an mit eingebunden werden. CO2-negative Gebäude müssen logischerweise selbst Energie produzieren. Das gilt es bereits im Entwurf zu bedenken, um die Geometrie und Ausrichtung dementsprechend optimal planen zu können. Die Ausbildung der Haustechniker ist da vielleicht noch nicht innovativ genug. Wir haben hier kompetente Planungspartner im Boot, aber für die breite Masse ist der Planungsaufwand noch zu hoch – und nachhaltiges Bauen damit oftmals zu teuer. Das muss sich ändern.
Kategorie: Architekten im Gespräch, Kolumnen