Baustelle 4.0: Erst digital, dann real bauen

15. November 2017 Mehr

 

Während andere Branchen die 4.0 industrielle Revolution einläuten, hinkt der Bausektor hinterher. Neue Technologien versprechen rationellere Abläufe, mehr Termin- und Kostensicherheit.

 

 

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Digital bauen, bevor man real baut: Durchgängige digitale Prozessketten sind ein wichtiger Schritt in Richtung Industrie 4.0.
© Autodesk

 

Medienbrüche, Mehrfacheingaben, unterschiedliche Kommunikationswege, Daten und Software-Werkzeuge sowie mangelnde Absprachen zwischen den Projektbeteiligten bestimmen den Planungs- und Baualltag. Daraus resultieren häufig Planungs- und Ausführungsfehler, Mehrarbeit, Termin- und Kostenüberschreitungen. Während in anderen Industriezweigen durchgängige digitale Prozessketten – von der Konzeption, über die Planung und Entwicklung bis zur Fertigung – längst Standard sind, gibt es im Baubereich noch viele Defizite.

 

Industrie 4.0 auf der Baustelle?
Industrielle Fertigungsabläufe lassen sich kaum mit Bauvorhaben vergleichen. Schließlich werden auf der Baustelle keine Massenprodukte hergestellt, sondern im Rahmen arbeitsteiliger, handwerklicher Tätigkeiten individuelle Projekte realisiert. Dennoch lassen sich Teile von Industrie 4.0 übertragen. Wesentliche Merkmale der „vierten industriellen Revolution“ sind unter anderem eine durchgängige Digitalisierung der Fertigung und Logistik sowie die Vernetzung autonomer, „intelligenter“ Objekte und Systeme mit dem Ziel, die Produktion zu flexibilisieren und zu optimieren. Davon sind viele Baubereiche noch weit entfernt. Zwar nutzen Architekten, Fachplaner, Bauunternehmer und Handwerker digitale Werkzeuge, die untereinander jedoch nicht kompatibel sind. Projektdaten müssen von den Projektbeteiligten deshalb immer wieder neu eingegeben und im weiteren Projektfortschritt manuell gegenseitig abgeglichen werden. Das kostet unnötig Zeit und ist vor allem eine stetige Fehlerquelle. Untersuchungen zufolge könnten alleine durch leistungsfähigere Datenschnittstellen 15 bis 20 Prozent an Planungskosten für ein Bauwerk eingespart werden. Voraussetzung dafür ist allerdings eine gemeinsame, gewerkübergreifende Datenbasis, die sich die Planungsmethode Building Information Modeling (BIM, siehe: Rationeller planen, bauen und nutzen, architektur 8/2014) zum Ziel gesetzt hat.

BIM: Basis digitaler Prozessketten
BIM-Modelle zeigen auf, wie man durchgängige digitale Prozessketten auf der Grundlage eines 3D-Gebäudedatenmodells, klar definierten Verantwortlichkeiten, Qualitätsvorgaben, Koordinations- und Kommunikationsabläufen im Baubereich realisieren kann. Im Idealfall nimmt der Detaillierungsgrad des BIM-Modells mit dem Planungs-, Bau- und Montagefortschritt sukzessive zu, sodass man es für die Planung, Realisierung und Nutzung vielfältig verwenden und nach Mengen-, Kosten-, Material-, Ressourcen- oder Zeitkriterien auswerten kann. Es ermöglicht im Vorfeld statische, bauphysikalische oder energetische Optimierungen. Kosten, Massen und Mengen/Stücklisten werden aus dem 3D-Modell generiert und bei Änderungen aktualisiert, ebenso wie alle aus dem 3D-Modell automatisch abgeleiteten Ausführungs- und Montagepläne. Simulationen ermöglichen die Vorwegnahme von Baustellenabläufen, Visualisierungen virtuelle Baustellenbesichtigungen und verbessern die Kommunikation mit Projektbeteiligten. BIM ist mittlerweile in allen Bausparten präsent, Gegenstand zahlreicher Normierungs- und Standardisierungsbestrebungen, wird von allen Verbänden der Bauindustrie ebenso wie von politischen Gremien unterstützt, entwickelt sich auch hierzulande zu einem Standard und hat das Potenzial, den nächsten technologischen Schritt in Richtung Baustelle 4.0 zu forcieren.

 

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BIM hat sich zum Ziel gesetzt, die gesamte Prozesskette digital abzubilden – von der Erstellung, über die Ausführung und Nutzung bis zum Rückbau von Bauwerken.
© Hilti

 

5D-Simulation: digitales Baustellenkino
Durch die Verknüpfung unterschiedlicher Fachmodelle (z. B. für den Rohbau, das Baugelände, die Baustelleneinrichtung etc.) mit den geplanten Vorgängen im Bauzeiten- und Terminplan lassen sich zeitlich-räumliche Abhängigkeiten der Bauprozesse visualisieren und optimieren. Bei dieser „4D-Simulation“ werden zeitliche Abläufe über einen definierten Projektzeitraum visualisiert. Dadurch lassen sich – ähnlich der Fabrikationsplanung – gewerkübergreifend geometrische oder zeitliche Konflikte aufdecken. Wird diese 4D-Simulation zusätzlich um Baustoff-, Maschinen-, Ressourcen- oder Logistikdaten ergänzt, kann man mit dieser 5D-Simulation praktisch das komplette Bauvorhaben im Vorfeld virtuell realisieren und beispielsweise Engpässe bei den Ressourcen oder der Logistik erkennen. Baustellen-, Montage- und Logistikabläufe wie die Baukran-Aufstellung, die Belegung von Lagerflächen oder die Fertigteilanlieferung können optimiert werden. Wird der gesamte Bau- und Montageprozess vorab simuliert und damit digital vorweggenommen, lassen sich später nur schwer zu behebende Fehler erkennen, und dadurch erhebliche Folgekosten einsparen. Die kontinuierliche Visualisierung der Arbeiten, Soll- und Ist-Stände erleichtern die Steuerung der Baustelle, das Nachtragsmanagement oder Wirtschaftlichkeitsrechnungen. Wird das 5D-Modell während des Baufortschritts kontinuierlich aktualisiert und über virtuelle Projekträume allen Beteiligten zur Verfügung gestellt, kann es in jeder Projektphase wichtige technische und wirtschaftliche Informationen liefern. Kritische Abläufe oder Alternativen lassen sich vorab simulieren, um sie später auf der realen Baustelle ohne Verzögerungen oder Stillstandszeiten realisieren zu können.

 

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Mit Hilfe von 4D- und 5D-Simulationen können Prozessabläufe auf der Baustelle im Vorfeld visualisiert und optimiert werden.
© Ceapoint

 

Vom BIM zum CIM
Werk- und Detailpläne, Massen-, Mengen- und Stücklisten bilden meist den Endpunkt der CAD- oder BIM-Planung von Bauwerken. Auf dieser Grundlage werden Baustoffe und Produkte bestellt und verbaut. Einen Schritt weiter geht die digitale Fertigung. Dabei werden Planungsdaten direkt in digitaler Form an die Produktion und Fertigung übergeben. Diese durchgängige Datennutzung ist beispielsweise Standard im Stahl-, Holz oder Betonfertigteilbau. Im Betonfertigteilbau übertragen Großplotter präzise und fehlerfrei beliebige Umrisskonturen des BIM-Modells direkt auf dem Schalungstisch, Schalungsroboter fertigen im Zusammenspiel mit intelligenten Schalungssystemen Fertigteile mit nahezu jeder gewünschten Kontur, numerisch gesteuerte Mattenschweißanlagen stellen individuell geformte Matten inklusive Aussparungen und Randverbügelungen mit hoher Präzision her und legen sie direkt in die Form. Maschinen, Anlagen und Fertigungsabläufe können schneller auf neue Anforderungen angepasst werden. Unternehmen können damit flexibler und kostengünstiger auf Kundenwünsche oder Markt­erfordernisse reagieren.
Eine medienbruchfreie digitale Fertigung, insbesondere komplex geformter Bauteile, ermöglicht neue Fertigungsverfahren wie die Additive Fertigung, auch „3D-Druck“ genannt. Diese auf 3D CAD-, respektive BIM-Konstruktionsdaten basierende Technologie ermöglicht eine schnelle Herstellung individueller Einzelobjekte oder Kleinserien. Dabei werden Objekte additiv aus einem flüssigen, pulverförmigen oder festen Ausgangsmaterial aus Kunststoff, Kunstharz, Keramik, Metall, Beton oder anderen Materialien mithilfe chemischer und/oder physikalischer Prozesse schichtweise aufgebaut. Erste kommerzielle Anwendungen für den Druck von Gebäudebauteilen oder kompletter Häuser gibt es bereits und die Technik steht im Baubereich erst am Anfang (siehe z. B.: www.3druck.com/tags/3d-druck-bauwesen).

 

Mobile und Cloud Computing
Immer mehr Bausoftware-Lösungen offerieren mobile Funktionen für die Zeiterfassung, das Aufmaß, die Ressourcenplanung etc. und ermöglichen so medienbruchfreie, digitale Prozessketten vom Büro auf die Baustelle und zurück. Mit Mobile Computing, also der Nutzung mobiler Hard- und Software sowie drahtlosen Kommunikationstechnologien für eine rationellere Vor-Ort-Datenerfassung, den mobilen Zugriff auf Büro- und Projektinformationen sowie dem automatischen Datenabgleich, lassen sich Informationen genau dort eingeben oder abrufen, anzeigen oder modifizieren, wo sie gerade anfallen oder benötigt werden. Handschriftliche Baustellennotizen und das anschließende fehlerträchtige Eintippen im Büro entfallen. Unterstützt wird der Mobilitätstrend zusätzlich durch Internet-basierende IT-Dienste, auch Cloud Computing genannt. Programme und Daten sind nicht mehr auf der Festplatte des eigenen PCs gespeichert, sondern auf Servern im Internet abgelegt. Das bietet den Vorteil des plattform-, zeit- und ortsunabhängigen Zugriffs auf Programme, Daten oder Speicherkapazitäten. All dies kann auf mobilen Rechnern unterwegs, von der Baustelle oder vom Home-Office aus abgerufen werden, sofern vor Ort eine ausreichend schnelle mobile Internetverbindung vorhanden ist. Virtuelle Projekträume sind typische Anwendungsbeispiele für Cloud-Computing-Anwendungen. Damit können räumlich getrennte Projektteams gemeinsam an Bauprojekten auf einer identischen Datenbasis arbeiten.

 

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Mobile und Cloud Computing ermöglicht sowohl die digitale Vor-Ort-Erfassung von Daten als auch einen mobilen Zugriff oder Abgleich auf oder mit aktuellen Planungsdaten.
© Panasonic

 

RFID und IoT
Während der gesamten Bauzeit müssen die tatsächlich erbrachten Leistungen und verbauten Bauteile auf der Baustelle dokumentiert und in das vorhandene virtuelle Baustellenmodell eingepflegt werden. Nur so kann das virtuelle Datenmodell mit dem realen Baustellengeschehen Schritt halten und als verlässliche Entscheidungsgrundlage dienen. Das geschieht entweder per mobiler Hardware oder per automatisierter Identifikation und Datenerfassung (Auto-ID). Dabei kommt meist die RFID-Technik (Radio-Frequenz-Identifikation) zur berührungslosen Objektidentifizierung und -lokalisierung zum Einsatz. Werden sogenannte RFID-Transponder (Funk-Chips) auf oder in Bauteile, Maschinen, Werkzeuge oder Fahrzeuge aufgebracht oder eingebaut, lassen sie sich mit stationären oder mobilen Lesegeräten berührungslos identifizieren und orten. Auf diese Weise erhält man beispielsweise „smarte“ Bauteile mit dezentral gespeicherten Daten, die über den gesamten Lebenszyklus eines Bauwerks genutzt werden können. Die Möglichkeiten reichen von der Steuerung von Bau- und Montageprozessen, über die Echtzeitverfolgung von Bauteilen (Lieferung, Lagerung, Einbau), Abnahmen oder Leistungsverfolgungen, der Geräte-/Maschinenverbuchung, der Wartungs- und Instandhaltungskontrolle, der Rückverfolgbarkeit eingebauter Materialien, der Abbruchplanung etc. (siehe z. B.: www.rfidimbau.de). Einen Schritt weiter geht das Internet der Dinge (Internet of Things, IoT). Darunter versteht man die Vernetzung physischer Objekte mit dem Internet. Direkt am Objekt angebrachte Sensoren ermöglichen zusätzlich eine Erfassung von Zuständen für deren Weiterverarbeitung im Netzwerk oder die koordinierte Ausführung von Aktionen. Das ermöglicht beispielsweise eine wechselseitige Abstimmung von Geräten untereinander – etwa zur Optimierung des Material- oder Energieverbrauchs.

 

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Medienbrüche, unnötige Mehrfacheingaben, unterschiedliche Kommunikationswege, Daten und Software-Werkzeuge sowie mangelnde Absprachen zwischen den Projektbeteiligten dominieren Planungs- und Bauprozesse. © Allplan

 

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Durchgängig digitale Prozesse minimieren Medienbrüche und Fehlerquellen. © Allplan

 

Fazit: Die Technik ist da, …
… aber es fehlen Standards. Durch die Verknüpfung vorhandener Technologien wie BIM, Projekträumen, RFID, Mobile und Cloud Computing sind medienbruchfreie digitale Prozessketten – und damit ein wichtiger Teilaspekt von „Industrie 4.0“ – heute schon möglich. Doch für die praktische Umsetzung fehlen Standards. Die Herausforderung liegt darin, die Vielzahl an Arbeitsschritten, Akteuren, Softwarewerkzeugen, Abhängigkeiten und unterschiedlichen qualitativen Anforderungen abzustimmen. Hinzu kommt, dass Rationalisierungspotenziale nur dann maximal ausgeschöpft werden können, wenn sich alle planenden und ausführenden Unternehmen beteiligen. Andererseits ist „Baustelle 4.0“ nicht die Lösung aller Pro­bleme. Stress, mangelndes Nachdenken, eine mangelhafte Werk- und Detailplanung und erst recht das ständige Ändern von Plänen werden auch weiterhin Probleme und Fehler verursachen. Hinzu kommt, dass zum Bau immer noch das Handwerk gehört und industrielle Prozesse schon wegen des unberechenbaren Faktors Wetter auf das Bauen nicht eins zu eins übertragbar sind. Dennoch kommt man an einer konsequenteren Umsetzung digitaler Prozessketten nicht vorbei, denn sie machen Unternehmen und den Bausektor fit für künftige Herausforderungen und Entwicklungen.

 

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BIM-Modelldaten lassen sich vielfältig nach Mengen-, Kosten-, Material-, Ressourcen- oder Zeitkriterien auswerten.
© RIB Software

 

Text: ©Marian Behaneck

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Kategorie: EDV