Differenzdruck-Thermografie: Leckagen lokalisieren und dokumentieren

23. November 2018 Mehr

Die Thermografie ergänzt und erweitert die Möglichkeiten der Differenzdruck-Messung. Welches Equipment ist erforderlich und was ist bei der Messung und Auswertung zu beachten?

Die Differenzdruck-Messtechnik ist nicht nur ein bewährtes Werkzeug zur Bestimmung der Luftwechselrate und damit der Luftdichtheit von Gebäuden, sondern dient in Verbindung mit der Thermografie auch zur Ortung von Luftleckagen an der Gebäudehülle. Dabei wird zunächst über ein Gebläse ein konstanter Unterdruck von ca. 50 Pascal (Pa) eingestellt. Die an den Leckagestellen einströmende Außenluft lässt sich dann raumseitig anhand der geänderten Oberflächentemperaturen thermografisch nachweisen und dokumentieren. Bei der technischen Ausstattung, Durchführung und Auswertung sollte man jedoch einiges beachten.

 

Thermografie

Teamarbeit: die Wärmebild- und Differenzdruck-Messtechnik ergänzen sich bei der Suche nach Leckagen. Foto:©Fluke

 

Messprinzip und Einsatzbereiche
Undichtigkeiten an der Gebäudehülle sind per Thermografiekamera nicht ohne Weiteres erkennbar, da sich die ins Gebäude einströmende Luft unter Normalbedingungen zuvor erwärmt. Wird die Wärmebildtechnik zusätzlich mit dem Differenzdruck-Messverfahren kombiniert, lassen sich Lecks in der Gebäudehülle schnell, berührungs- und zerstörungsfrei lokalisieren und dokumentieren, weil sie sich als Temperaturunterschiede zu erkennen geben. Die Luftleckageortung per Thermografiekamera basiert darauf, dass die Luftdurchströmung im Leckagebereich eine Abkühlung der unmittelbar umgebenden Bauteiloberflächen bewirkt und diese als Temperaturunterschiede auf dem Display der Infrarot-Kamera sichtbar werden. Die Luftdurchströmung wird in der Regel mit einem Gebläse erzeugt, das mithilfe eines verstellbaren Metallrahmens und einer Plane luftdicht in eine Haustür-, Balkon-/Terrassentür- oder Fensteröffnung eingesetzt wird. Bei Thermografie-Aufnahmen von innen wird ein Unterdruck erzeugt, sodass die kalte Außenluft durch vorhandene Leckagen in das Gebäude strömt und dabei die Randbereiche der Leckagestelle abkühlt. Da schon geringe Temperaturdifferenzen zwischen innen und außen ausreichen (ab 5 Kelvin), lässt sich die Differenzdruck-Thermografie nahezu ganzjährig einsetzen. Ist etwa im Hochsommer die Temperatur außen höher als innen, erwärmen sich die Strömungswege entsprechend und sind dann ebenfalls thermografisch sichtbar. Zwar kann auch durch einen im Gebäudeinneren erzeugten Überdruck eine Durchströmung der Konstruktion von innen nach außen mit warmer Luft erzeugt werden. Aufgrund des höheren Wärmeübergangs an der Außenluft und einer Abkühlung durch Wind erwärmen sich Außenbauteile allerdings kaum. Äußere Temperaturunterschiede fallen dadurch geringer aus als bei der Leckageortung von innen, weshalb diese Methode nur in Ausnahmefällen genutzt wird. Insgesamt sind die Einsatzmöglichkeiten der Differenzdruck-Thermografie sehr vielfältig: Leckagen an Dampfbremsen, Sperrschichten oder Bauteilübergängen lassen sich ebenso lokalisieren und dokumentieren, wie Konstruktions- und Ausführungsfehler. Auch Ausführungsqualitäten lassen sich überprüfen oder notwendige Sanierungsmaßnahmen eingrenzen. In Streitfällen kann die Leckagedokumentation Klarheit schaffen – etwa bei Mietminderungsforderungen wegen Zugerscheinungen. Das Verfahren ist prinzipiell bei allen Gebäudekategorien einsetzbar, besonders effizient ist es bei großen Gebäuden wie etwa Turnhallen, Hallenbädern oder Gewerbe- oder Industriehallen. Große Gebäude mit wenigen, hohen Räumen lassen sich mit relativ wenig Aufwand kostengünstig überprüften und zugleich dokumentieren. Eine alternative Überprüfung der Leckagestellen mit einem Nebelgenerator, Rauchröhrchen oder Anemometer (Strömungsmessgerät) ist ungleich aufwendiger. Mit der Verbesserung der Luftdichtheit lassen sich oft auch Belästigungen durch Gerüche minimieren oder der Schallschutz verbessern. Diese Probleme treten insbesondere zwischen verschiedenen Wohnungen innerhalb eines Hauses oder gewerblich genutzten Räumen und benachbarten Wohnungen auf.

 

Thermografie

Das Messprinzip basiert darauf, dass in der Regel von innen ein Unterdruck erzeugt wird, sodass die Außenluft durch vorhandene Leckagen in das Gebäude strömt und dabei die Randbereiche der Leckage abkühlt – oder im Hochsommer erwärmt. Foto:©BlowerDoor

 

Wie werden Leckagestellen sichtbar?
Entsteht bei der Differenzdruckmessung eine Temperaturdifferenz zwischen innen und außen von mindestens 5 Kelvin, ist sie auf dem Kameradisplay erkennbar – je höher der Temperaturunterschied ist, desto besser. Die Ränder der abgekühlten Bereiche erscheinen infolge der Luftdurchströmung auf dem Kameradisplay nicht scharf umrissen, sondern “ausgefranst“ als “Schleier”. Ist dies der Fall, kann relativ zuverlässig auf vorhandene Luftleckagen geschlossen werden. Nicht immer lässt sich jedoch anhand einzelner Thermogramme sicher beurteilen, ob die Temperaturunterschiede aufgrund von Leckagen auftreten oder andere Gründe wie Wärmebrücken haben und welcher Effekt überwiegt. Hinzu kommt, dass Wärmebrücken an Bauteilübergängen oder Durchdringungen zugleich auch Luftleckagen aufweisen, sodass sich beide Effekte häufig überlagern. Diesen unbestimmten Bereichen kann man mit der „Differenzmethode“ auf den Grund gehen: Dabei werden mithilfe eines Stativs vom fraglichen Bereich jeweils zwei Thermogramme mit demselben Bildausschnitt erstellt: Ein Thermogramm wird ohne, das andere mit Druckdifferenz erstellt. Beide Thermogramme werden anschließend übereinander gelegt und voneinander “abgezogen”. Auf dem daraus entstehenden Differenzbild sind dann nur die durch die Luftdurchströmung bedingten Temperaturdifferenzen sichtbar. Eine entsprechende Differenzbild-Funktion ist in den meisten Auswertungsprogrammen der Thermografiekamera-Hersteller enthalten. Eine sichere Leckagenerkennung auch bei sehr kleinen Temperaturdifferenzen verspricht auch die Software Bau.Tools von BlowerDoor. Fehlstellen, die aufgrund sehr geringer Temperaturunterschiede im Thermogramm kaum oder gar nicht zu erfassen sind, werden präzise berechnet und visualisiert. Dabei werden alle im Untersuchungszeitraum aufgenommenen Thermogramme rechnerisch ausgewertet und nur die Veränderungen anschließend bildlich dargestellt. Laut Anbieter lassen sich so Luftleckagen und Lufthinterströmungen sicher erkennen und von anderen Problemen abgrenzen. Allerdings ist die Software nur mit spezieller BlowerDoor-Messtechnik und einer FLIR-Wärmebildkamera einsetzbar.

 

Differenzdruck-Thermografie

Zum Messaufbau gehören ein Gebläse, das mittels verstellbarem Klemmrahmen und Folie luftdicht in eine Haustür-, Balkon-/Terrassentür- oder Fensteröffnung eingesetzt wird. Foto:©BlowerDoor

 

Differenzdruck-Thermografie

Wichtig ist, dass die Messung frühzeitig durchgeführt wird, sodass Verklebungen, Fenstereindichtungen, Kabeldurchführungen oder Wandanschlüsse noch sichtbar und leicht reparierbar sind.  Foto:©BlowerDoor

 

Welches Equipment ist erforderlich?
Mit der ÖNORM EN ISO 9972 wurde die Genauigkeitsanforderungen an die Differenzdruckmesstechnik gegenüber der zurückgezogenen ÖNORM EN 13829 verschärft. So muss das Druckmessgerät Druckdifferenzen mit einer Genauigkeit von ± 1 Pa im Bereich von 0 bis 100 Pa (früher: ± 2 Pa im Bereich von 0 bis 60 Pa) messen. Das Thermometer muss eine Genauigkeit von ± 0,5 K (früher: ± 1 K) aufweisen. Wichtig bei der Auswahl ist auch der Förderbereich des Ventilators, der mit etwa 19 bis 7200 m3/h sowohl Messungen luftdichter Wohnungen als auch undichter Räume (z. B. Hallen) ermöglichen sollte. Wurden für die Lokalisierung von Luftlecks bisher Rauchgeneratoren eingesetzt, werden inzwischen die schneller und einfacher einsetzbaren Wärmebildkameras bevorzugt, die Leckagen gleichzeitig auch dokumentieren können. Mit einem Thermo-Anemometer kann bei Bedarf zusätzlich die Temperatur und Geschwindigkeit der Luftströmung im Leckagenbereich gemessen werden. Zum weiteren Zubehör gehört Abdichtungsmaterial wie Abdichtblasen, Malerkrepp und Malerfolie. Sollen mit der Thermografiekamera auch Wärmebrücken lokalisiert werden, sollte sie für Gebäudeanalysen geeignet sein, d. h. beispielsweise über eine Detektorauflösung von mindestens 320 x 240 IR-Bildpunkten sowie eine thermische Auflösung (NETD-Wert) von mindestens 0,06 Kelvin (bei 30°C) verfügen. Für die Differenzdruck-Leckageortung genügen aufgrund der höheren Temperaturunterschiede auch einfachere Kameradaten: mindestens 160 x 120, empfohlen: 320 x 240 IR-Pixel, NETD < 0,1 Kelvin. Um einen möglichst großen Raumausschnitt zu erfassen, ist ein Weitwinkel-Objektiv empfehlenswert. Die in der Regel kostenfrei mitgelieferte Auswertungssoftware sollte die Erstellung aussagekräftiger Berichte ermöglichen. Auch an das Messpersonal stellt die Differenzdruck-Thermografie Anforderungen: Es sollte mindestens über eine dreitägige Grundausbildung zum Thermografie-Messtechniker verfügen. Über die Gerätebedienung hinaus sollte sich das Messpersonal auch mit Fehlerquellen und Grenzen der Differenzdruck- und Thermografie-Messtechnik auskennen und Messergebnisse korrekt interpretieren können. Das setzt sowohl bei der Aufnahme als auch bei der Auswertung Kenntnisse aus den Bereichen Bauphysik, Optik, Wärmestrahlung, Wärmeleitung, Messtechnik, Materialkunde und Baukonstruktion voraus. Kenntnisse über verwendete Materialien und den konstruktiven Aufbau des jeweiligen Messobjekts sind ebenso wichtig, denn sie helfen bei der Deutung thermischer Auffälligkeiten. Auch die Gebäudeausrichtung, Hauptwindrichtung oder das Nutzungsprofil können bei der Bewertung und Interpretation hilfreich sein. Daher ist es von Vorteil, wenn beispielsweise der Eigentümer/Mieter bei der Messung dabei ist, respektive für Fragen zur Verfügung steht. Ferner sollten aktuelle Bestandsgrundrisse, Schnitte, Detailpläne und Baubeschreibungen in Form von Kopien für den Thermografie-Bericht verfügbar sein.

 

Differenzdruck-Thermografie

Für die Leckageortung genügen auch einfachere IR-Kameras mit mindestens 160 x 120 IR-Auflösung. Sollen zugleich auch Wärmebrücken lokalisiert werden, sind höhere Auflösungen gefordert. Foto:©FLIR Systems

 

Differenzdruck-Thermografie

Besonders effizient ist die Differenzdruck-Thermografie bei Hallengebäuden – im Bild Luftleckagen am Rolltor. Foto:©Testo

 

Differenzdruck-Thermografie

Spezielle Auswertungsprogramme ermöglichen eine sichere Leckagenerkennung auch bei sehr kleinen Temperaturdifferenzen. Foto:©BlowerDoor

 

Was sollte der Leckagebericht enthalten?
Ein Leckagebericht macht Messungen, deren Auswertung und Interpretationen transparent, nachvollziehbar und für Laien verständlich ist. Folgende Rahmendaten sollte er enthalten: die Aufgabenstellung, den Auftraggeber/nehmer und die Teilnehmer, ferner Klimadaten (Innen-/Außentemperatur, Wetter, Sonneneinstrahlung, Wind etc.), Objektdaten (Adresse, Gebäudetyp, einen Lageplan mit Himmelsrichtung, die Konstruktionsweise und Materialien der Gebäudehülle, das Gebäudealter, ggf. durchgeführte Renovierungsarbeiten, Heizsystem), Messgeräte-Daten (Hersteller, Gerätemodell, Serien-Nummer, wichtige technische Daten), Bildinformationen zu jedem Thermogramm (Datum und Aufnahmezeit, Farbpalette mit Temperaturskala, Emissionsgrad, die reflektierte Temperatur, Objektentfernung etc. Inhaltlich sollten sich Leckageberichte an den Vorgaben der ÖNORM EN ISO 9972 orientieren und zusätzlich zu den Messreihen für die Luftwechselrate, der Flächen- und Volumenberechnung und der Randbedingungen wie Temperatur, Feuchte, Windgeschwindigkeit auch die kommentierte Dokumentation der lokalisierten Leckagen enthalten, beispielsweise durch ein Thermogramm und ein paralleles Digitalfoto. Zur besseren Orientierung sinnvoll ist insbesondere bei zahlreichen Aufnahmen ein im Grundriss eingetragener Aufnahmestandpunkt mit Blickrichtung. Problembeschreibungen (Leckagestellen, Wärmebrücken, feuchte Stellen etc.) sollten mit passenden Vorschlägen zu deren Beseitigung ergänzt werden. Eine auf die konkrete Aufgabenstellung bezogene Schlussfolgerung und Zusammenfassung sollte den Bericht abschließen. Bei längeren Berichten ist ein Inhalts- und Stichwortverzeichnis sinnvoll.

 

Differenzdruck-Thermografie

Typische Leckagestellen sind Bauteildurchführungen… Foto:©FLIR Systems

 

Differenzdruck-Thermografie

… Bauteilanschlüsse und -übergänge an Fußböden, Schornsteinen oder Dächern, … Foto:©Testo

 

Differenzdruck-Thermografie

… Steckdosen/Schalterdosen, Kabeldurchführungen oder Betätigungstastern von Unter-Putz-Spülkästen. Foto:©Testo

 

Fazit: Ein ideales Team
Neben der Bestimmung der Luftwechselrate oder der Überprüfung der Qualität der Gebäudehülle kann die Differenzdruck-Methode in Verbindung mit der Thermografietechnik auch für die Luftleckage-Ortung nahezu ganzjährig und sehr effizient eingesetzt werden, weil sich Leckagestellen schneller orten und gleichzeitig dokumentieren lassen. Beide Messverfahren ergänzen sich also in idealer Weise: Sowohl die Möglichkeiten als auch die Einsatzdauer wird erweitert und auch die Anschaffungskosten für das technische Equipment amortisieren sich schneller. Die Temperaturunterschiede im Wärmebild korrekt zu interpretieren setzt jedoch Fachwissen aus den Bereichen Differenzdruck und Thermografie-Messtechnik sowie Erfahrung voraus.

 

Weitere Infos im Web*
www.bauthermografie-luftdichtheit.de – Dienstleister mit vielen Beispielen
www.flib.de – Fachverband Luftdichtheit im Bauwesen
www.luftdicht.de – Blower-Door + Thermografie etc.
www.thech.ch – Thermografie Verband Schweiz
www.thermografie.co.at – Österr. Gesellschaft für Thermografie
www.vath.de – Bundesverband für angew. Thermografie

Regelwerke, Literatur und Quellen*
ÖNORM EN ISO 9972: Wärmetechnisches Verhalten von Gebäuden – Bestimmung der Luftdurchlässigkeit von Gebäuden, Differenzdruckverfahren, 2016-03-15
Fouad, N.A./Richter T.: Leitfaden Thermografie im Bauwesen, Fraunhofer IRB Verlag, Stuttgart 2009
Geißler, A.: Blower Door und Thermographie – Möglichkeiten und Fallstricke, e.u.z. 6. BlowerDoor-Symposium, Springe-Eldagsen 2001
VATh: Richtlinie: Bauthermografie zur Planung, Durchführung und Dokumentation infrarotthermografischer Messungen an Bauwerken oder Bauteilen von Gebäuden, Bundesverband für Angewandte Thermografie e.V.; Nürnberg 2016
Wagner, H.: Thermografie – Sicher einsetzen bei der Energieberatung, Bauüberwachung und Schadensanalyse, Verlagsgesellschaft Rudolf Müller, Köln 2011

Anbieter*
Differenzdruck-Messsysteme: www.blowerdoor.de, www.ltm-ulm.de, www.proclima.de, www.retrotec.com, www.woehler.at
IR-Kameras: www.bosch.de, www.flir.at, www.fluke.de, www.icodata.de, www.infratec.de, www.irpod.net, www.milwaukeetool.eu, www.opgal.com, www.pce-instruments.com, www.thermal.com, www.testboy.de, www.testo.at, www.trotec.de

* Ohne Anspruch auf Vollständigkeit

 

Text:©Marian Behaneck

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Kategorie: EDV