Eine neue Lebensweise tut Not – Otto Kapfinger
Im Gespräch mit Architekturkritiker Otto Kapfinger:
Otto Kapfinger ist Architekturkritiker und setzt sich mit den Herausforderungen des gesellschaftlichen Lebens in der heutigen Zeit auseinander.
Wie sehen Sie die Rolle in der Architektur in der heutigen Zeit?
Die Architektur muss heute auf eine neue Lebensweise reagieren – diesbezüglich finde ich die Aussage des Architekten und Stadtplaners Bernard Rudofsky treffend: „Keine neue Bauweise – eine neue Lebensweise tut not.“
Dabei ist zu sagen, dass alle Instrumente und erforderlichen Entwicklungen in der Architektur bereits vorhanden sind. Damit diese aber hinreichend zum Einsatz kommen können, ist vor allem die Politik, aber viel mehr die Gesellschaft gefragt. Die Verantwortung alleine in der Architektur zu suchen, ist zu kurz gedacht. In diesem Kontext würde ich auch gerne auf die Ausstellung „Fundamente der Demokratie. Architektur in Österreich – Neu gesehen“, bei der ich als Kurator tätig bin, verweisen. Diese widmet sich dem Wechselspiel aus Architektur und Politik und zeigt auf, wie sich beide Bereiche beeinflussen.
Sie haben die Lebensweise der heutigen Zeit als Problem angesprochen – was meinen Sie damit? Warum spielt die Architektur hier nur eine untergeordnete Rolle?
Wer die Schuld oder Lösung für gesellschaftliche Probleme in der Bauplanung sucht, zäumt das Pferd von hinten auf. Dies gilt vor allem für Österreich – immerhin verbrauchen wir mittlerweile das Fünffache unseres ökologischen Fußabdrucks. Um hier einen Wandel herbeizuführen, wäre die Politik zum Handeln aufgerufen. Allerdings haben die politischen Entwicklungen in den letzten Jahren gezeigt, dass wir uns im politischen Bereich in Österreich keine großen Hoffnungen mehr machen dürfen. Ein Negativbeispiel ist in diesem Kontext die Realisierung der dritten Piste am Wiener Flughafen. Diese Maßnahme läuft der Erreichung der Klimaziele zuwider.
Der zunehmende Einfluss von Unternehmen und Industrie ist gemäß Otto Kapfinger schuld daran, dass auch im Bereich der Architektur und Raumplanung Gewinnmaximierung im Vordergrund steht. Für Umwelt und Gesellschaft kann dies zu negativen Langzeitfolgen führen.
Warum kam es Ihrer Meinung nach zu einer so negativen Entwicklung, die auch in der Politik zu einer Stagnation führt? Wo sehen Sie aktuell die größten Probleme in Österreich?
Wir sind eine Konsumgesellschaft, in der zurzeit die Industrie an der Macht ist und bei politischen sowie in weiterer Folge in baulichen Entscheidungen das Sagen hat. Alleine in Bezug auf den Umgang mit der Umwelt und dem Erdboden kommt es hier zu einer großen Ausbeutung, die auf lange Sicht zu riesigen Problemen oder gar einem Kollaps führt. Weder im Pkw- noch im Flugverkehr ist Kostenwahrheit gegeben. Auch die Politik reagiert auf diese Entwicklungen nicht. Vielmehr fährt diese zur Wahrung kapitalistischer Interessen über die Errungenschaften der Architektur und Raumplanung drüber. Ein Negativbeispiel stellt in diesem Kontext das Hochhausprojekt am Heumarkt dar. Auch hier wurden in erster Linie die Interessen der Investoren auf Kosten des Ortsbilds der Stadt Wien berücksichtigt.
Kann diesen negativen Entwicklungen überhaupt noch entgegengewirkt werden?
Es ist heute immer noch möglich, das Ruder herumzureißen. Allerdings darf nicht verschwiegen werden, dass in Bezug auf die Ausbeutung der Umwelt ein schnelles Einschreiten erforderlich ist.
Was muss sich ändern, damit es in der Gesellschaft und damit auch in der Architektur zu einer Wende kommt? Ist hier seitens der Politik überhaupt noch ein Einschreiten zu erwarten?
Von der Politik können wir uns heute nichts mehr erwarten. Als eine der letzten Hoffnungen sehe ich vor allem Aktionen der Zivilgesellschaft. Die Bürger selbst können durch Zusammenhalt ihre Interessen wahren und eine positive Entwicklung herbeiführen. Wenn sich die Bevölkerung in Verbindungen zusammenfindet und sich gegenseitig auf Missstände aufmerksam macht, und gleichzeitig auf einer Umkehr im Denken und im Umgang mit der Umwelt besteht, können durchaus signifikante Änderungen herbeigeführt werden. Ein Beispiel hierfür sind Verbindungen, die sich gegen die Realisierung der dritten Piste auflehnen. Die Früchte einer solchen Bewegung würden sich natürlich auch im Bereich der Architektur manifestieren.
Die Architektur ist Ihrer Meinung nach also eher als Reaktion auf politische und gesellschaftliche Bewegungen anzusehen?
Ich glaube, dass vor allem Projekte, die schließlich umgesetzt werden, sehr stark von der politischen und gesellschaftlichen Situation abhängig sind. Schließlich haben Politiker heute, wenn es um die Realisierung von Bauobjekten geht, viel Entscheidungsgewalt. Architektur und deren Möglichkeiten dürfen also nicht außerhalb des politischen und gesellschaftlichen Kontexts betrachtet werden.
Konnten Sie in Bezug auf Nachhaltigkeit in den letzten Jahren positive Entwicklungen beobachten? In welchen Bereichen sehen Sie derzeit noch Chancen?
Als Vorbild sind in Bezug auf die Nachhaltigkeit vor allem kleinere Gemeinden zu erwähnen. Diese haben in den vergangenen Jahren vor allem im Bereich der Infrastrukturplanung, aber auch in puncto Bauplanung viele Maßnahmen zur Erreichung der Klimaschutzziele gesetzt. Auch ist es etlichen kleineren Orten gelungen, ihre persönlichen Klimaziele zu erreichen und den Ausstoß von Abgasen gering zu halten. In den Medien sowie in der Politik finden solche Errungenschaften aber noch immer viel zu wenig Beachtung.
Gemäß Otto Kapfinger ist in Bezug auf den motorisierten Individual- sowie den Flugverkehr die Kostenwahrheit nicht gegeben.
Text & Fotos:©Dolores Stuttner
Kategorie: Architekten im Gespräch, Kolumnen