Es geht um Respekt, Begeisterung und Empathie
Ein Gespräch mit Mag.arch. Erich Bernard von BWM Architekten über die Aufgabe von Architektur und die Rolle des Architekten.
Was ist Architektur? Was ist ihre Aufgabe?
Architektur ist ein komplexes Zusammenspiel unterschiedlicher Felder. Die Hauptthemen sind künstlerisch, gesellschaftlich und natürlich bedarfsdeckend. Der Mensch – und hier in erster Linie der Nutzer – spielt immer eine starke Rolle.
Was ist nicht Architektur?
Architektur existiert erst, wenn sie gebaut ist. Davor ist es ein Projekt, vielleicht Kunst, aber eben nicht Architektur.
Virgilkapelle, Wien Museum, Foto:©BWM Architekten
Ist nicht auch eine Architektur eine Form von Kunst?
Nein, im klassischen Sinn nicht. Kunst hat sich selbst im Mittelpunkt. Bei Architektur steht immer die Funktion im Zentrum. Das sind natürlich sehr weiche Trennlinien. Auch Kunst kann soziale, ästhetische oder pädagogische Funktionen erfüllen. Sobald aber die Funktionen überwiegen, wird der Kunstbegriff fraglich. Architektur im Gegenzug muss immer Funktionen erfüllen. Architektur muss halten, dicht sein, und so fort. Ein Kunstwerk darf sich auch auflösen.
Wie lange muss Architektur halten?
Diese Frage kann ich nicht im kategorischen Imperativ beantworten. Und auch der sehr persönliche Imperativ „muss“ hängt davon ab, von welcher Schicht, welchem Teilgebiet von Architektur wir sprechen. Aus meiner Sicht sollte das grobe Skelett, die Hardware eines Bauwerks möglichst lange halten, also weit länger als die Lebensdauer der Nutzer. Die optimale Lebensdauer eines Gebäudes reicht deutlich über Generationen hinaus, also mindestens hundert Jahre, besser noch länger.
Darf Architektur nicht auch temporär sein?
Die Software auf jeden Fall. Das heißt, die Oberfläche darf sich ruhig immer wieder verändern. Wie bei einem Fernseher. Das TV-Gerät selbst bleibt. Aber die Sendungen wechseln. Und innerhalb der Sendungen verändert sich der Bildschirm ebenfalls ununterbrochen. Die Soft-Software sozusagen ist einem ständigen Wandel unterzogen.
Literaturmuseum ONB, Wien, Foto:©ONB_K.Pichler
Was muss Architektur können, um nachhaltig du dauerhaft auf der einen, veränderlich und temporär auf der anderen Seite sein zu können?
Nachhaltigkeit hängt für mich nicht nur mit der Wahl der Materialien oder dem Einsatz technischer Möglichkeiten zusammen, sondern ist in erster Linie eine Frage der Planung. Ein gutes Beispiel sind die Bauten der Gründerzeit. Die Oberfläche wurde bereits hundert Mal umgebaut, die Wände verschoben, den veränderten Nutzungen angepasst, aber das Grundgerüst bleibt dasselbe: Sechs Meter vorne, dann der Mittelraum und sechs Meter hinten. Das ist eine strukturelle Haltbarkeit, die jede Mode überdauert. Wenn ich nur für die aktuellen Anforderungen oder gerade moderne ästhetische Ansprüche baue, dann wird das Bauwerk zu steif, zu unbeweglich und über die aktuellen Gegebenheiten hinaus nicht mehr anpassbar. Das heißt auch, dass die Struktur dem Nutzer nichts aufzwingen darf, sondern sollte im Gegenteil den Nutzer frei gestalten lassen. Das gilt nicht nur für das einzelne Bauwerk, sondern auch im städtebaulichen Sinn. Auch der Wohnbau muss mit den demografischen Veränderungen mithalten können und einmal Raum für Großfamilien bieten können, und dann wieder für Singles – je nach Bedarf. Je starrer hier die Formen sind, umso gesellschaftsfeindlicher wird der gebaute Raum. Formalismus kann leicht zum Feind von Nachhaltigkeit werden.
Was halten Sie davon, Bauwerke um jeden Preis zu erhalten? Stichwort: Denkmalschutz versus Abriss.
Unabhängig von Denkmalschutz sollte man sich bei Bauten, die in dieser Form vielleicht nicht mehr genutzt werden können, zuerst fragen, ob und wie viel davon erhalten werden kann. In meiner bisherigen Berufspraxis habe ich nur selten Häuser erlebt, aus denen wirklich nichts mehr herauszuholen war. Natürlich ist ein Abriss bequemer, sowohl vom Aufwand als auch von den Kosten mittlerweile eine Bagatelle. Die Industrialisierung des Bauens fördert geradezu Abriss und Aufbau. Aber in Hinblick auf die Nutzung vorhandener Ressourcen ist ein Umbau in jedem Fall umweltschonender – und aus meiner Sicht auch reizvoller.
Café Restaurant Grenadier, Burg Forchtenstein, Fotos:©Esterhazy Betriebe / Paul Szimak
In wieweit reizvoller?
Ja, schon allein aus der Geschichte. Besonders schöne Beispiele sind etwa Bauwerke, die noch auf gotischen Kellergewölben stehen oder in Italien, wo an antike römische Bauten, wie etwa einen alten Circus, Wohnhäuser angebaut wurden und heute noch der ovale Platz in der Mitte als Stadtzentrum fungiert. Aber auch jedes andere Gebäude hat eine Geschichte. Und diese kann ich fortführen und weitererzählen.
Es geht aber auch um funktionale Aspekte. Zum Beispiel in der Nachkriegszeit wurden in Wien viele extrem leistungsfähige Bauten errichtet. Diese haben bauplastische Qualitäten, die erhaltenswert sind. Aber natürlich muss bei jedem Neu- oder Umbau zuerst eine genaue Analyse erfolgen, bevor man sich für oder gegen einen Abriss entscheidet.
Ist es für Sie wichtig, dass Ihre eigenen Bauten erhalten bleiben?
Nein, da bin ich relativ emotionslos. Gerade im Retail habe ich schon so oft erlebt, dass ich Shops vollkommen neu planen sollte, die erst wenige Jahre zuvor nach meinen eigenen Plänen umgesetzt worden sind. Aber das ist gut so. Das zeigt, dass die Bauherren mit meiner Arbeit so zufrieden waren, dass sie sich jetzt wieder an mich wenden. Bei dieser Art der Software eines Bauwerks ist ein regelmäßiger Umbau ganz selbstverständlich. Und bei der Hardware liegt es ebenfalls in der Hand des Bauherrn, was nach der Projektübergabe weiter damit geschehen soll. Eitelkeit ist hier, denke ich, fehl am Platz.
Wozu braucht das Bauwerk den Architekten?
Dem Architekten obliegt die Projektsteuerung – nicht nur in praktischer, sondern vor allem auch in kreativer Hinsicht.
Welche Kompetenzen braucht ein Architekt?
Mein Zugang ist hier ein universalistischer, holistischer Zugang. Die Tendenz geht allgemein immer mehr hin zur Spezialisierung. Der Architekt muss über alle Spezialisierungen Bescheid wissen. Er selbst ist sozusagen der Spezialist des Universalismus. Er braucht einen Sinn für das Ganzheitliche. Und er muss in der Lage sein, dass bei ihm alle Netze in einem Punkt zusammenlaufen können. Und dazu gehören vor allem auch Empathie und Kommunikationsfähigkeit.
In wieweit bietet das Studium hier die entsprechende Ausbildung?
Viele Fähigkeiten wie eben Empathie oder Kommunikationsfähigkeit lernt man lange vor und auch noch lange nach dem Studium. Andere muss man sich natürlich aus der Ausbildung holen.
Gibt es hier große Qualitätsunterschiede zwischen den Studien?
Jeder Weg, jede Ausbildung hat ihre Stärken und Schwerpunkte. Und überall gibt es heute großartige Angebote. Ich habe selbst schon an einigen Einrichtungen Vorträge gehalten und war erstaunt über das vielfältige und hochwertige Angebot. Dazu kommt noch, dass Informationen allgemein viel leichter zugänglich sind als früher. Nicht nur aus Büchern, sondern auch aus den verschiedenen Architekturbüros. Wissen serviert wird einem allerdings nirgends. Man muss sich als Student schon das Meiste selbst holen und sammeln. Und dann kommt natürlich noch die Erfahrung dazu. Nicht als Routine im Sinn einer Schablone, sondern vielmehr wie bei einem Jazzmusiker, der nach vielen Sessions und Konzerten aus einem reichen Repertoire schöpfen kann, um dann doch wieder Unikate zu schaffen.
Sacher Eck, Wien, Foto:©BWM Architekten / Christoph Panzer
Was ist für Sie die wichtigste Voraussetzung für den Beruf des Architekten?
Die Begeisterung. Wie bei jedem anderen Beruf auch, denke ich. Man braucht Begeisterung für das, was man tut.
Wo sehen Sie die größten Schwierigkeiten in der Praxis? Wo gibt es Handlungsbedarf?
Schwierigkeiten gibt es natürlich immer wieder. Aber ich sehe das eher als Herausforderungen, die es zu bewältigen gilt. Die jeweilige Bauordnung ist beispielsweise eine solche Herausforderung, aber es muss nicht immer alles einfach oder geradlinig sein.
Und wenn Sie sich etwas wünschen dürften?
Das ist jetzt vielleicht nicht das, was Sie hören wollten. Aber wünschen würde ich mir mehr Respekt. Respekt für bestehende Bauwerke und Respekt für die Projekte, an denen so viele Menschen mit Begeisterung und Herzblut arbeiten. Da ist Respekt für jeden einzelnen der Beteiligten wichtig – und nicht zuletzt natürlich auch für den Architekten, der als zentrale Anlaufstelle genau in der Mitte steht…
Text:©Heidrun Schwinger
Kategorie: Architekten im Gespräch, Kolumnen