Es ist wichtig, dass Architektur Fragen stellt
KENH wurde 2005 von Kim Tien, Natalie Neubauer-Muzicant und Eric-Emanuel Tschaikner (im Bild von rechts nach links) als Bürogemeinschaft KENH – Büro für Architektur und Design gegründet, seit 2018 firmiert das Büro als KENH Architekten ZT GmbH. Geschäftsführer ist Eric-Emanuel Tschaikner. KENH besteht aus bis zu zehn Menschen. Firmensitz ist in der Wiener Leopoldstadt. © Meinrad Hofer
Aus den Namen von Architekturbüros lässt sich heute oft deren Programm herauslesen. KENH ist ein Akronym aus den Vornamen der Büropartner. Welche Aussage steht dahinter?
Kim Tien: Am Anfang waren wir vier Partner. Helmut Gruber war der vierte, daher das stumme H. Wir haben nach einem Namen gesucht , wollten aber keine Botschaft damit verbinden.
Eric-Emanuel Tschaikner: Das Persönliche im Namen war auch unser Zugang zu unseren Auftraggebern. Uns gefiel auch, dass der Name die Fantasie anregt und ein Irritationsmoment hat. Wir sehen Architektur sehr breit, wollen lange zusammenarbeiten und wollten einen Namen, der uns auch nach fast 20 Jahren noch die Möglichkeit gibt, uns zu positionieren. Nach dem Weggang von Helmut Gruber haben wir das H im Namen gelassen, das könnte auch für die helfenden Hände im Büro stehen.
Der Untertitel „Büro für Architektur und Design“ lässt darauf schließen, dass ihr einen Unterschied zwischen den beiden Begriffen macht. Was unterscheidet Ihrer Meinung nach Architektur und Design?
Natalie Neubauer: Den Untertitel gibt es eigentlich nicht mehr, aber er ist natürlich Teil unserer Geschichte.
Kim Tien: Die beiden sind Architekten, ich komme aus dem Industriedesign, anfangs waren wir eine Arbeitsgemeinschaft. Wir haben schnell gemerkt, dass wir auch Gesamtkonzepte umsetzen können.
Umgestaltung Wiener Praterstern: Maximierung der Grünbereiche und Schaffung eines lebendigen urbanen Platzes © Theresa Wey
Wo liegt für Sie der Unterschied? Was macht gute Architektur aus, was gutes Design?
Eric-Emanuel Tschaikner: Wir sehen Unterschiede in der Qualifikation und in der Arbeitsweise. Klassisch könnte man sagen, Architektur ist raumorientiert, Design ist objektorientiert. Diese Unterschiede verschwimmen immer mehr. Uns ist aufgefallen, dass Designer viel früher als Architekten begonnen haben, sich mit den immateriellen Werten von Produkten auseinanderzusetzen und viel stärker an Themen wie Identität gearbeitet haben. Wir haben diese Kombination bewusst gesucht, weil wir glauben, dass sich beides ergänzen sollte. Architekten neigen dazu, alles zu können, aber es gibt viele Beispiele, wo gute Architekten nicht unbedingt gut im Design waren und umgekehrt. Im Team funktioniert es, wenn man sich ergänzen kann. Diesen Anspruch der ganzheitlichen Betrachtung gab es schon, wenn man an das Bauhaus oder die Wiener Werkstätten denkt. Wir sind skeptisch, wenn das in einer Person zusammenläuft.
Sehen Sie sichin der Tradition Bauhaus und Wiener Werkstätten?
Eric-Emanuel Tschaikner: Tendenziell ja, aber in der Praxis sind unsere Projekte immer architekturlastiger geworden, wobei wir Themen, die im Design präsenter sind, in unsere Architektur integriert haben. Wir haben verstanden, dass Eingriffe im Kleinen große Auswirkungen haben können. Beim Praterstern haben wir mit kleinen Interventionen eine Fläche von 28.000 m2 beeinflusst.
Natalie Neubauer: Das spannende ist, dass Kim mit diesem fundierten Designbackground die Projekte beeinflusst und wir damit einen Mehrwert schaffen. Wir sehen Unterschiede in der Qualifikation und in der Arbeitsweise. Klassisch könnte man sagen, Architektur ist raumorientiert, Design ist objektorientiert. Diese Unterschiede verschwimmen immer mehr. Uns ist aufgefallen, dass Designer viel früher als Architekten begonnen haben, sich mit den immateriellen Werten von Produkten auseinanderzusetzen und viel stärker an Themen wie Identität gearbeitet haben. Wir haben diese Kombination bewusst gesucht, weil wir glauben, dass sich beides ergänzen sollte. Architekten neigen dazu, alles zu können, aber es gibt viele Beispiele, wo gute Architekten nicht unbedingt gut im Design waren und umgekehrt. Im Team funktioniert es, wenn man sich ergänzen kann. Diesen Anspruch der ganzheitlichen Betrachtung gab es schon, wenn man an das Bauhaus oder die Wiener Werkstätten denkt. Wir sind skeptisch, wenn das in einer Person zusammenläuft.
Neubau Haus Z, Wien: Für KENH Architekten hat jedes Projekt unterschiedlich relevante Themen. © Lukas Schaller
Wie ist Ihr Background und wie hat das Team zusammengefunden?
Natalie Neubauer: Eric und ich haben auf der Akademie studiert. Wir haben beide bei Gustav Peichl begonnen, ich habe bei Nasrine Seraji abgeschlossen, Eric bei Robert Mull und Rüdiger Lainer. Dort haben wir uns schon früh zu einem Wohnbau-Studienprojekt zusammengeschlossen, wofür wir schief angeschaut wurden.
Eric-Emanuel Tschaikner: Ich habe schon während des Studiums begonnen, erste Projekte zu realisieren, eines davon war vor 20 Jahren ein Passivhaus ohne Heizung, mit Lehmputz und vorgefertigten Holzelementen, das heute noch funktioniert. So habe ich mich früh selbstständig gemacht und zweimal mit Helmut Gruber an Wettbewerben teilgenommen
Kim Tien: Ich habe Industriedesign an der Angewandten studiert, bei Matteo Thun angefangen und bei Enzo Mari abgeschlossen. Dazwischen war ich an der Design Academy in Eindhoven, und schon in meiner Diplomarbeit ging es um Architektur und Identität, es war ein Restaurantentwurf. Ich habe unter anderem bei Eichinger oder Knechtl gearbeitet, wo ich Helmut Gruber kennengelernt habe, den ich mit Eric zusammengebracht habe. Wir haben uns einfach das Büro geteilt, zuerst Helmut, ich und Eric, dann kam Natalie mit dem ersten Projekt.
Natalie Neubauer: Das war 2005 die Renovierung einer Anwaltskanzlei mit der schönen Aufgabe, vom Briefpapier über das Logo, die Homepage, die Möbel bis hin zur Bilderaufhängung die gesamte Architektur zu gestalten. Das war der Einstieg, da haben wir gemerkt, wie schön und spannend es ist, alles auf verschiedenen Ebenen zu machen. Aus diesem Projekt sind dann die nächsten entstanden.
Eric-Emanuel Tschaikner: Ich habe auch immer an der Akademie und an der TU unterrichtet. Kim hat auch eine Coachingausbildung, ich eine Mediationsausbildung. Es gibt einen großen Mangel an Konfliktstrategien in der Architektur- und Designpraxis. Das kommt in beiden Studiengängen nicht vor. Inzwischen wird das als Zusatzqualifikation nachgefragt. Wir haben zum Beispiel gerade ein Wohnbauprojekt gewonnen, weil wir verstanden haben, was der Entwickler will, unter anderem weil wir das entsprechende Verständnis für ein alternatives Prozessdesign mitbrachten. Auch das Projekt Praterstern,mit seinen vielen Stakeholdern, wäre ohne diese Zusatzqualifikationen schwierig geworden. Wir wurden auch schon gebucht, um Raumprogramme im Vorfeld von Ausschreibungen zu erstellen.
Atelierhaus am Semmering: KENH Architekten revitalisierten ein Fertigteilhaus aus den siebziger Jahren. © Meinrad Hofer
Worauf kommt es bei der Mediation zwischen Bauherren, Behörden und Ausführenden an?
Eric-Emanuel Tschaikner: Das Wichtigste ist, die Konflikttheorie zu verstehen und die Werkzeuge zu haben, um Bedürfnisanalysen durchzuführen. Konflikte können meist nur über die Bedürfnisebene gelöst werden. Wenn man im Vorfeld Schnittmengen sucht, kann man als Planer anders agieren. Man muss im Prozess Verständnis zwischen den Beteiligten schaffen, wo sich Interessen überlagern, um zielgerichteter arbeiten zu können.
Natalie Neubauer: Man hat es oft mit Bauherren zu tun, die nicht wissen, was sie wollen oder zu viele Ansprüche haben. Die Entscheidungsfindung ist ein Prozess, den wir mit Workshops moderieren. Ich habe auch Bauherren als Bauherrenvertreterin betreut, was spannend ist, weil man als Architekt diese Seite nicht immer erlebt.
Gibt es eine Rollenverteilung im Team, wo liegen eure Schwerpunkte?
Natalie Neubauer: Kim Tien ist für Konzeption, Entwurf, Design und Interieur zuständig, Eric Tschaikner für Konzeption, Entwurf, Hochbau und Baurecht. Ich konzentriere mich auf die Akquise und das Projektmanagement und bringe die Sicht des Bauherrn ein. Wir haben schon immer versucht, die Projekte gemeinsam auf Augenhöhe zu entwickeln, um für den Bauherrn das Bestmögliche zu schaffen.
Wie definieren Sie Ihre Rolle als Architekten und Ihren Standort im Spannungsfeld der Architektur zwischen Kunst, Wirtschaft und dem von manchen nicht gern gehörten Begriff Dienstleistung?
Eric-Emanuel Tschaikner: Grundsätzlich sind alle drei Faktoren notwendig. Wir werden für eine Dienstleistung bezahlt, wir müssen auch wirtschaftlich handeln. Und natürlich versuchen wir, gute Architektur zu machen.
Natalie Neubauer: Und damit sind wir gute Dienstleister. Wir sehen uns in der Pflicht, den Bauherrn bestmöglich zu betreuen.
Eric-Emanuel Tschaikner: Wir versuchen, die Bedürfnisse des Auftraggebers zu verstehen. In der Ausformulierung sind wir die Experten. Ich glaube schon, dass gute Architektur nicht im Auge des Betrachters liegt, sondern dass es durchaus Kriterien gibt.
Welche sind das?
Eric-Emanuel Tschaikner: Es ist wichtig, dass Architektur Fragen stellt. Jedes Projekt hat verschiedene relevante Themen, die mann nur über die richtigen Fragen findet. Und man muss viele Bälle synchron in der Luft halten – Konstruktion, Raumwirkung, Lichtführung, Akustik, Nutzung, Bewegung müssen aus einem Guss sein. Wenn das gelingt, ist das große Kunst auf verschiedenen Ebenen – wirtschaftlich, technisch, sozial. Die originäre Qualität eines Kunstwerks sehe ich in der Architektur untergeordnet, weil es mehr um das Finden und Verstehen geht als um das Erfinden, was in der Kunst eine Grundvoraussetzung für Qualität ist. Ein anderes Kriterium ist die Ökonomie der Mittel. Materielle Ökonomie im Sinne einer Kreislaufwirtschaft, aber auch gestalterische Ökonomie.
Atzmüllerhaus, St. Veit im Mühlkreis: Das Dreigenerationenhaus wurde nicht abgerissen, sondern umgebaut und erweitert. © KENH
Was ist gute Architektur für die Designerin?
Kim Tien: Es ist eine Frage des Maßstabs. Gute Architektur muss mit der gleichen Sorgfalt geplant werden wie Design. Gutes Design verbindet Ästhetik und Funktionalität auf eine Weise, die vom Nutzer als angenehm empfunden wird. Im besten Fall denkt er nicht darüber nach, warum das so ist, sondern empfindet es intuitiv als gut und richtig. Wie im Design gibt es aber auch in der Architektur innovative Ansätze, die anecken dürfen.
Eric-Emanuel Tschaikner: In der Architektur geht es meistens um ein maßgeschneidertes Projekt für den Ort. Und es gibt Projekte wie Mietwohnungen, die anpassungsfähig sein müssen, weil wir die Nutzer nicht kennen. Das ist eine Gratwanderung zwischen Identität und Neutralität. Im Design denkt man an die Reproduzierbarkeit, wie man Objekten Identität gibt und sie emotional auflädt.
Kim Tien: Im Industriedesign geht es natürlich um das Massenprodukt. Wenn es sich leicht und kostengünstig reproduzieren lässt, ist es auch gutes Design. Es geht auch darum, Konsumgüter zu gestalten und Begehrlichkeiten zu wecken. Aber das hat mich nicht interessiert, deshalb bin ich nicht in diesem Bereich geblieben. Architektur ist ein tolles Medium, in dem es immer wieder Anlässe gibt, im Kleinen etwas Maßgeschneidertes zu machen.
In der Bauindustrie nimmt die serielle Bauweise immer mehr an Bedeutung zu. Kann man Erfahrungen aus dem Industriedesign dort verwerten?
Kim Tien: Für mich ist es zum Beispiel im Wohnungsbau wichtig, schöne Benutzeroberflächen zu wählen, mit denen die Menschen täglich konfrontiert sind. Da gibt es oft Streit mit den Auftraggebern. Ich verstehe überhaupt nicht, wie man da sparen kann. Früher haben Böden 100 Jahre gehalten, heute wird an den falschen Stellen gespart. Dazu gehört auch die Schaffung von Orientierung, von angstfreien Räumen.
Eric-Emanuel Tschaikner: Wir nennen den Zugang in unseren Projekten Friendly Design: Dass der Entwurf dem Nutzer entgegenkommt. Das sind oft ganz kleine Eingriffe, zum Beispiel, dass ein Wohnhaus möglichst wenig Türen hat oder dass wir Panikbeschläge auch dort einbauen, wo sie gar nicht nötig sind, damit die Bewohner mit Einkaufstaschen in beiden Händen durch die Tür gehen können, ohne sie abstellen zu müssen. Diese Nutzerperspektive würde man vielleicht nicht als klassische Aufgabe der Architektur sehen, sondern eher dem Design zuordnen.
Natalie Neubauer: In allen Aspekten unserer Architektur ist der Nutzer, auch der, den wir nicht kennen, der Key Player.
Eure Projekte spannen einen ziemlich weiten Bogen, von Bürolayouts über Um- und Neubau von Einfamilienhäusern bis zur Platzgestaltung. Gibt es einen roten Faden, einen gemeinsamen Nenner in den Projekten?
Eric-Emanuel Tschaikner: Der rote Faden unserer Arbeit ist eher der Prozess, um das Verstehen. Dabei gibt es durchaus Synergien: Beim Praterstern, zum Beispiel, war das Thema subjektive Sicherheit ganz wesentlich. Und das Wissen aus diesem Projekt können wir jetzt auch auf den Wohnbau übertragen.
Natalie Neubauer: Der rote Faden ist, dass es für uns nichts gibt, das man nicht hinterfragen darf.
Kim Tien: Jedes Projekt, ob groß oder klein, ist für uns interessant und erhält die gleiche Aufmerksamkeit. Deshalb haben wir uns nicht spezialisiert. Das Schöne daran ist, dass man sich selbst immer wieder infrage stellen und von den verschiedenen Maßstäben lernen kann. Es gibt auch den sprichwörtlichen roten Faden in unserer Arbeit. Bei fast jedem Projekt gibt es ein Objekt, einen Sessel, eine Kiste oder einen Handlauf in der Farbe RAL 3022 Lachsrot.
Wohnbau Franzosengraben, Wien: Farblich abgestufte Bodenfliesen verhalfen dem 80 Meter langen Baukörper zur Identitätsstiftung. © Bruno Klomfar
Wo liegen die Vorlieben und Stärken von KENH?
Eric-Emanuel Tschaikner: Das große Thema im Moment ist der Umbau – ein Thema, das uns schon lange begleitet. Es gibt zwei Projekte, auf die wir stolz sind: Ein Atelier am Semmering, wo wir ein Plattenbauhaus aus den siebziger Jahren revitalisiert haben. Alle anderen Architekten, die man gefragt hat, haben das abgelehnt. Wir haben aber immer schon gesagt, wenn die Struktur da ist, soll man sie weiterentwickeln. Wie auch beim Atzmüllerhaus, ein Dreigenerationenhaus am Land, das nicht abgerissen, sondern umgebaut und erweitert wurde und seit 20 Jahren gut dasteht.
Natalie Neubauer: Beim Wohnbau MGC mit 140 Wohnungen, wo wir den schwierigsten Bauplatz hatten, ist es uns gelungen, durch Identitätsstiftung, Adressbildung, Grundrissorientierung die Wohnungen attraktiv und beliebt zu machen.
Kim Tien: Was mir bei diesem Projekt Spaß gemacht hat, ist der Gang, den wir so gestalten konnten, dass er nicht erdrückend wirkt. Er ist im Erdgeschoß 60 Meter lang, man beginnt mit anthrazitfarbenen Fliesen, dann wird es immer heller. Im letzten Bauteil steht man plötzlich auf weißem Boden.
Welche Wünsche haben Sie, was die Entwicklung des Bauens betrifft?
Kim Tien: Weniger Versiegelung!
Natalie Neubauer: Eine bessere Planbarkeit in unserer Branche!
Eric-Emanuel Tschaikner: Die Verbindung zwischen Design, Architektur und Industrie interessiert uns sehr im Hinblick auf die Werkzeuge, die wir brauchen. Architektur besteht ja zu einem großen Teil aus vorgefertigten Industrieprodukten. Beratung von Unternehmen bei der Produktentwicklung würde mich daher reizen.
Interview: Roland Kanfer
Kategorie: Architekten im Gespräch, Kolumnen