In Resonanz mit der Umgebung
Das Vorarlberger Architekturbüro Ludescher + Lutz steht für Architektur, die weit über das reine Bauen hinausgeht. Mit einem tiefen Verständnis für die kulturelle und landschaftliche Einbettung ihrer Projekte, schaffen sie Räume, die sich harmonisch in ihre Umgebung einfügen und gleichzeitig neue Potenziale freilegen. Im Interview sprechen wir mit Elmar Ludescher und Philip Lutz über ihre Philosophie, wie Handwerk und Tradition in ihre Arbeit einfließen, und warum Architektur immer auch eine Form von Resonanz mit dem Umfeld sein soll.
© Klaus Vyhnalek
Was hat Sie damals motiviert, ein eigenes Büro zu eröffnen, und welche Vision hatten Sie dabei?
Philip Lutz: Frei sein. Keinen Chef haben.
Elmar Ludescher: Ich habe bereits während meines Studiums bei Dietmar Eberle praktiziert und mir gleich gedacht, „Das Berufsbild hat sicher noch mehr zu bieten“. Philip und ich haben in Wien studiert – er bei Hans Hollein auf der „Angewandten“, ich bei Gustav Peichl auf der „Bildenden“. Wir sind beide recht früh in die Selbstständigkeit gegangen. Bei mir war der Anstoß ein gewonnener Wettbewerb 1998 oder 1999, der mir die Chance bot, erstmalig meine eigenen Ideen umzusetzen.
Philip Lutz: Ich war nach der „Angewandten“ noch an der Columbia in NYC, um Städtebau zu studieren. Dieses Thema war für mich bis dahin immer eine Art schwarzes Loch. Beim Studium in Wien wurden ständig geheimnisvolle Argumente aus dem Städtebau herangezogen und nicht näher erläutert. Es hieß in verschiedenen Situationen: „Städtebaulich geht das gar nicht!“ Das war ein Argumentationsfeld, aus dem sich erfahrene Architekten bedienen konnten, und das ich für mich erschließen wollte.
Kennengelernt haben wir uns zunächst über einen gemeinsamen Freund, als wir unsere eigenen Büros bereits hatten. Wirklich zueinandergefunden haben wir über einen gemeinsamen Wettbewerb. Diesen haben wir zwar nicht gewonnen, aber die Zusammenarbeit und die Kommunikation haben funktioniert. In der Folge konnten wir weitere Wettbewerbe bestreiten und 2010 dann auch gemeinsam mit Gerhard Aicher und Zechner & Zechner den Wettbewerb zur Seestadt Bregenz gewinnen. Das war für uns der Anlass, unsere beiden Büros zusammenzulegen.
Auf dem Postareal und Gemeindeplatz, Egg, schafft ein kräftiger, punktförmiger Baukörper mit Walmdach, einen neuen Fixpunkt im Ortszentrum. Er ordnet die vielen Teilräume des Ortes um sich herum neu und spannt einen Dorfplatz im Süden auf. © Ludescher + Lutz Architekten
Wie würden Sie Ihre architektonische Philosophie beschreiben?
Philip Lutz: Unser Fokus liegt immer in einer sehr ernsthaften Aufarbeitung eines gegebenen Ortes. Wir sind überzeugt davon, dass in Europa die Orte immer schlechter werden, sie werden immer verwässerter und chaotischer. Man braucht sich nur alte Fotografien anzusehen und merkt gleich, wie geschlossen Ortsbilder und Straßenräume früher waren und welche Rolle Fußgänger spielen durften. Man erkennt, wie diese Qualitäten in den letzten vielleicht 80 Jahren Zug um Zug demontiert wurde. Autos und Einkaufszentren haben die Welt erobert und der Baustil dazwischen ist ein reines Durcheinander. Mit den meisten Ortsbildern in Österreich sind wir gar nicht einverstanden.
Wir versuchen deshalb bei jedem Projekt, dass es Anknüpfungspunkte im Umfeld aufgreift, und ein guter Teil des jeweiligen Ortes wird, damit dieser sein Potential entwickeln kann, ein spezifisches Aroma oder etwas wie einen Klang – das Ganze muss klingen. Unsere Projekte sollen kein Schrei sein, sollen den Ort keinesfalls dominieren oder in eine ganz neue Richtung bringen. Wir suchen nach der Stimmung, die dem Ort innenwohnt und versuchen diese Stimmung mit unserem Projekt zu bereichern.
Elmar Ludescher: Wir suchen nicht so sehr den Kontrast in unserer Arbeit, sondern eher die Synthese mit dem Ort. Wir versuchen Atmosphären herauszuarbeiten, zu verdichten und den Ort positiv aufzuladen. Der Funke muss überspringen, damit wir zur Essenz des Projektes gelangen. Diese Essenz bewahrt und entfaltet ihr Aroma am jeweiligen Ort. Wir glauben, dass es vielfach übertriebene architektonische Ambitionen gibt, und dass es manchen Situationen besser täte, wenn man den Ball flach hielte. Das soll nicht heißen, dass wir auf Gestaltung verzichten, sondern im Gegenteil, dass diese besonders sorgfältig sein muss, um sie in das bestehende Umfeld einzubinden. Im Idealfall sind unsere Projekte Puzzlestücke, die den Ort vervollständigen und optimal ergänzen. Wir wollen Menschen berühren, indem wir schöne Häuser bauen. Unsere Architektur geht über das Notwendige hinaus, mit dem Ziel, etwas Angemessenes und Ganzes zu generieren.
Das Stuhldesign für die Umbrüggler Alm rundet das architektonische Konzept perfekt ab. Es steht in der Tradition alpiner Stühle mit einfachen Steckverbindungen, so genannten Stabellen. © Adolf Bereuter
Gibt es ein Projekt, das diese Philosophie besonders repräsentiert?
Elmar Ludescher: Die neue Zentrumsverbauung in Egg im Bregenzerwald, die gerade im Fertigwerden ist, wäre hier ein schönes Beispiel. Egg gilt als das Tor zum Bregenzerwald und der Platz ist ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt. Die Basis war das alte Posthaus – ein langgestreckter, freistehender Baukörper aus den 1950er-Jahren. Unser Ansatz war es, dass wir den Platz ganz bewusst mit einem hohen punktförmigen Baukörper besetzen wollten, um dem Ort wieder eine Mitte zu geben, die ihm über die letzten Jahrzehnte abhandengekommen ist. Der Teil, der für die Infrastruktur der Post wichtig ist, wurde stehengelassen. Unser Haus haben wir dann darauf, bzw. daneben gesetzt. Vor dem Haus spannt sich nun eine große einheitliche Platzfläche auf und weitere Verbindungswege zum neu angelegten Busbahnhof wurden geschaffen. Der Platz wird so zu einer neuen, einladenden Mitte für Egg.
Wie erreichen Sie in Ihren Projekten die Balance zwischen den Anforderungen moderner Architektur und dem Respekt vor der Landschaft und der lokalen Kultur?
Philip Lutz: Die Kraft eines Ortes und die Landschaft sind immer der Hintergrund, den man wahrnehmen, erkennen und wertschätzen muss. Dann erspart man sich auch viele unnötige Aufregungen und Kämpfe. Wir würden z.B. nie einfach 3.000 Kubikmeter Erde verschieben, um künstlich eine Ebene zu planieren. Wenn die Landschaft geneigt ist, dann kann man vielleicht auch daraus einen Nutzen ziehen oder muss sich ihr anpassen, indem man das Bauvolumen gliedert oder mit dem Hang verknüpft. Ähnlich ist das mit dem kulturellen Hintergrund einer Landschaft. Die Akzeptanz der Menschen vor Ort ist ein Schlüsselfaktor für ein gelungenes Projekt, von der unter anderem Gastronomieobjekte und daher ihre Betreiber besonders stark profitieren können. Was wir nicht täten, wäre der Entwurf von Fertighäusern, die nicht an einen Ort gebunden sind. Das würde mit Sicherheit schiefgehen.
Wie gehen Sie da konkret vor, um das zu bewerkstelligen?
Elmar Ludescher: Wir denken über das Grundstück hinaus und spannen den Bogen von der Einbindung in die Landschaft bis zur Gestaltung der Details. In diesem Brückenschlag zwischen öffentlicher und privater Wahrnehmung sehen wir das Potential von Architektur. Die Kulturlandschaft ist unser größtes gemeinsames Kapital. In Resonanz mit der Umgebung verstärken gute Gebäude die Kraft eines Ortes. Wir versuchen, unseren Teil dazu beizutragen.
Philip Lutz: Unser Betrachtungsrahmen ist am Anfang recht weit gespannt. Wir ziehen einen Kreis von etwa einem Kilometer und analysieren, welche Gebäudegrößen, Blickachsen und Beziehungen wir vorfinden. Bei freistehenden Gebäuden in einer offenen Landschaft muss man da eventuell auch deutlich weiter gehen. Speziell in hügeligen Gegenden ist es oft überraschend, von welcher Entfernung und aus welchen Winkeln ein Gebäude einzusehen ist.
Auch lokales Handwerk und regionale Materialien scheinen bei Ihren Entwürfen einen hohen Stellenwert einzunehmen.
Philip Lutz: Auf jeden Fall. Wir richten hier den Fokus auf machbare Architektur und nicht auf komplexe Technik. Wir halten demzufolge auch nichts von sprunghaften Innovationen, bei denen unser Bauherr zum Versuchskaninchen von Industrie und Planern wird. Man kann vielleicht sogar sagen, wir sind der Industrie und deren Produkten gegenüber oft misstrauisch. Wir haben keine Lust, irgendwelche Teile ungewisser Herkunft einzukaufen, die dann eventuell kaputt gehen und alle Betroffenen ratlos zurücklassen. Bauen ist eine alte Kunst und mit lokalen Handwerkern und Partnern lassen sich auch Details besser umsetzen oder abstimmen, als wenn wir nur auf industrielle Komponenten zurückgreifen müssten. Natürlich sind wir froh über z.B. Dachfenster. Solche Bauteile kann ein Handwerker nicht einfach anbieten. Zusammenfassend sei gesagt: Wir haben in Österreich immer noch eine sehr gute Handwerkerschaft, die bereit ist, sich auch mal den Kopf zu zerbrechen und sich auf ein Projekt einzulassen. Das schätzen wir sehr.
Elmar Ludescher: Es ist uns wichtig, wie die Dinge gemacht sind. Deshalb suchen wir den Kontakt zu den Handwerkern. Uns gefällt das Solide, das Echte, Materialien mit Bodenhaftung, die langlebig und ökologisch sinnvoll sind. Die beste aller Dekorationen ist gutes Handwerk.
Ein weiterer Aspekt Ihrer Arbeit liegt in den Details wie speziellen Objekten und Möbeln. Können Sie uns mehr dazu verraten?
Philip Lutz: In unseren Workshops und im Windschatten von größeren Projekten haben wir öfter allgemeinere Details oder auch Nutzgegenstände entwickelt. Beispielsweise keramische Becher, oder ein Beschriftungssystem, für die Landesbibliothek Bregenz, das aus Eisenlettern besteht, welche mittels Magnethalterung einfach neu angeordnet werden können.
Das zeigt für uns die Macht von Architektur, die zu Ende gedacht ist. Man könnte sich auf das Haus beschränken, seine Arbeit machen und heimgehen. Wenn man aber versucht, die Fühler auszustrecken, die Landschaft miteinzubeziehen und auch so lange am Ball bleibt, dass man sich Gedanken über Details macht, z.B. was auf oder neben dem Tisch steht, dann bekommt das Haus viel mehr Spannweite; intellektuell, emotional und haptisch. Und da schließt sich auch wieder der Kreis zu den engagierten Handwerkern. Weil sowas können wir nicht einfach bestellen. Wir glauben, dass sich durch die Spannweite der Betrachtung eine große Kraft entfaltet und ein großes Potenzial der Architektur erschließen lässt.
Elmar Ludescher: Wir haben beispielsweise für die Umbrüggler Alm in Innsbruck einen Stuhl entwickelt, der in einer Tradition alpiner Stühle mit einfachen Steckverbindungen, so genannten Stabellen steht. Er nimmt Bezug auf die eigenwilligen Stuhlentwürfe der 1920er-Jahre im alpinen Raum. Der Stuhl mit seinen geradlinigen Massivelementen erfordert in seiner Herstellung viel Tischlerkunst, Engagement und Passion. Wir hatten eine große Freude, als der Stuhl in den fertigen Räumen stand und sich alle Elemente gegenseitig perfekt unterstützten.
Wir sind der Meinung, das bereichert ein Projekt ungemein und gibt ihm eine neue Dimension. Es erfordert aber auch viel Kraft und nicht zuletzt eine Bauherrschaft, die mit solchen Gedanken mitgeht. Wir sind sehr interessiert daran, die Räume und ihre Atmosphäre fertig zu denken. Das hat auch etwas mit der Ausführung und der handwerklichen Qualität der Dinge zu tun, und dementsprechend auch mit den Möbeln. Wir sind da schon auch manchmal etwas hartnäckig.
Welche Wirkung sollen Innenräume im besten Fall auf die Benutzer haben.
Elmar Ludescher: Dieselbe wie die Architektur. Am besten werden Innen und Außen zu einer inspirierenden Gesamtsituation. Wir verbringen 90 % unsere Zeit in Gebäuden, darum ist uns wichtig, wie die Dinge gemacht sind.
Philip Lutz: Im Idealfall entsteht eine neue Welt, ein eigener kleiner Kosmos, und für den Besucher ist es im Augenblick der Ankunft nicht mehr so, wie es gerade vor ein paar Stunden in Innsbruck oder vorgestern in einer anderen Stadt gewesen ist. Man nähert sich einer Situation von außen an, kann immer mehr entdecken und fühlt sich immer fester verankert in einer neuen, einer einzigartigen Atmosphäre.
Elmar Ludescher: Man kann das Innen vom Außen nicht wirklich trennen. Es sollte eine durchgehend spannungsvolle Geschichte sein, die beim Erleben eines Gebäudes erzählt wird.
An exponierten Stelle steht das neue Weingut Schmidt, das gleichermaßen der Weinproduktion, der Obsternte und der Gastronomie dient. Das Projekt nutzt den Höhenunterschied des Gipfels, um ebenerdig den Weinkeller zu erschließen. © Elmar Ludescher
Was wird Architektur in Zukunft leisten müssen, um den Bedürfnissen der Menschen gerecht zu werden?
Philip Lutz: Wenn man es gesellschaftlich und raumplanerisch ergründet, dann sehen wir ein Europa der Mobiliät und des „Overtourism“. Das wird zu einem Mega-Problem, denn dieses ständige „Ort wechseln müssen oder wollen“ hat den Status einer Volkskrankheit. Was bleibt, sind völlig belanglose und zersiedelte Landschaften mit Straßen, Großparkplätzen, Skistationen – lauter Orte des Transits, und die Menschen sind zunehmend nur noch in Bewegung, in gewissem Ausmaß auf der Flucht. Es wäre gut, wenn man überall bessere Umgebungen hätte, und es direkt im Wohnumfeld angenehmer wäre. Dann könnten die Menschen vielleicht mit gutem Gefühl auf einen Teil ihrer Reisen verzichten und hätten mehr Identifikation mit dem eigenen Umfeld.
Wie können Sie als Architekten das unterstützen?
Elmar Ludescher: Indem wir nicht austauschbare Orte schaffen, sondern unverwechselbare Situationen. Das gibt Identifikation und in Folge noch ganz viele weitere positive Verstärkungen. Es gibt Nachbarschaft, es gibt Engagement, ein Mitwirken und ein „Bescheid wissen“. Solche Aspekte sollte man in unserer Zeit, ganz jenseits von billiger Heimattümelei, zurückerobern und nicht leichtfertig aufs Spiel setzen.
Welche Projekte würden Sie gerne realisieren, wenn Sie sich etwas wünschen dürften?
Philip Lutz: Ich würde gerne am Karlsplatz etwas bauen. (lacht)
Elmar Ludescher: Es muss nicht gleich der Karlsplatz sein, aber ein innerstädtisches Passstück, ein Gelenk, ein schwieriger Ort in Wien oder einer anderen Großstadt wäre fantastisch. Wir haben jetzt schon einiges in der freien Landschaft gebaut. Im Spannungsbogen unserer Werkschau würde uns deshalb ein urbanes Projekt sehr interessieren.
Interview: Andreas Laser
Kategorie: Architekten im Gespräch, Kolumnen