Industriedesignerin mit Forschungsdrang

2. Dezember 2024 Mehr

Von ihrem Studio in Berlin aus arbeitet die Industriedesignerin und Materialforscherin Sofia Souidi sowohl in einem wissenschaftlichen als auch in einem gestalterischen Kontext: „Ich sehe unsere interdisziplinäre Praxis als einen Raum für Wissensaustausch und kollaborative Kreativität im Sinne einer ästhetischen und nachhaltig gebauten Umwelt für die Zukunft.“

 

 

Die deutsch-algerische Industriedesignerin Sofia Souidi wurde in Kassel geboren und lebt heute in Berlin und Bad Freienwalde. Ihren Bachelorabschluss im Bereich Produktdesign an der Hochschule Potsdam ergänzte Souidi durch einen Master am Royal College of Art in London, bevor sie 2017 ihr interdisziplinäres Studio in Berlin gründete. Seit 2019 arbeitet Souidi gemeinsam mit dem Fraunhofer Institut für Holzforschung an einem biobasierten Bindemittel. 2023 erhielt sie Stipendien der Design Farm Berlin und der Ikea Stiftung. Davon abgesehen war Souidi auch in der Lehre an der Bauhaus-Universität Weimar, der Fachhochschule Basel und der Angewandten in Wien tätig. Ihre Arbeiten wurden bereits vom Futurium Museum Berlin ausgestellt und in „Die Neue Sammlung“ der Pinakothek der Moderne aufgenommen sowie mit internationalen Preisen ausgezeichnet.

 


Die Vasenkollektion „Bleu Mourant“ ist in ihrer Formensprache verschiedenen Seen in Brandenburg nachempfunden. Der Name leitet sich aus dem Französischen ab und steht für blassblau, wörtlich „sterbendes Blau“ – die Aufglasurfarbe wurde bereits von der königlichen Porzellanmanufaktutr KPM verwendet.

 

Objekte, die Geschichten erzählen

Souidis Entwürfe und Objekte sind nicht einfach nur praktisch, dekorativ oder bezaubernd – sie transportieren allesamt eine tiefgründige Botschaft, die mit unserer Umwelt zu tun hat. Bestes Beispiel ist die Vasenkollektion „Bleu Mourant“ für den AW Newcomer Shop, die das Land Brandenburg als trockenste Region Deutschlands thematisiert. Diese Tatsache manifestiert sich auch in dem stetigen Verlust an der Menge an Wasser in den Seen des Bundeslandes im Norden Deutschlands. „Einige sind bereits aufgrund steigender Temperaturen verschwunden“, sagt Souidi. Die Formen der Vasen sind dem Wannsee, Liepnitzsee und Seddiner See nachempfunden, die Farbgebung bezieht sich auf den sinkenden Wasserspiegel. Die Porzellanobjekte werden als keramischer 3D-Druck hergestellt und aus Hunderten von feinen Schichten aufgebaut, bevor sie anschließend im Brennofen aushärten. „Alle Restmaterialien aus dem Prozess werden für neue Objekte wiederverwendet.“

Die Leuchte „Gradient“ soll die durch das Fenster einfallende Sonne nachahmen. „Lichtfarbe und -winkel verändern sich leicht – fast unbewusst – in Abhängigkeit von der Zeit.“ Das Projekt zielt darauf ab, eine Brücke zwischen dem Außen und dem Innen zu schlagen: „Seit der Industrialisierung verbringen die Menschen immer mehr Zeit in Innenräumen, nahezu 90 Prozent unseres Tages sind wir umgeben von wenig natürlichem Licht.“ Mithilfe der Led- oder Oled-Technologie lässt sich Tageslicht als natürliches, nicht konstantes Phänomen je nach Zeit, Wetter und Architektur des Ortes annähernd nachahmen. „In Zukunft werden immer mehr Menschen in Großstädten leben. Aufgrund des Platzmangels werden die Gebäude weiter wachsen, was bedeutet, dass weniger Sonnenlicht in unsere Räume gelangt. Wie wird sich der Mangel an Licht auf den menschlichen Körper auswirken? Wie kommen wir der Natur künftig nahe?“

 


Die Leuchte Jojo wird durch das Ziehen an einer Schnur aktiviert, wobei das Licht im Sinne der Bewusstseinsbildung für den Energieverbrauch nach kurzer Zeit zuerst gedimmt wird und dann erlischt.

 

Souidis Entwürfe stellen mitunter viele Fragen und liefern nicht immer die eine klare Antwort. Einen besonders spielerischen Ansatz vertritt die Leuchte „Jojo“, die mit einer Schnur umwickelt ist und ein warmes Licht ausstrahlt. Die taktile und intuitive Interaktion mit dem Objekt durch das Ziehen an der Schnur, um das Licht einzuschalten, ist Form- und Namensgeber. „Jojo funktioniert analog und soll ein ausgewogenes Verhältnis zur Technik fördern. Außerdem geht es bei diesem Projekt um die taktile Interaktion mit dem Objekt und darum, ein Bewusstsein für den Energieverbrauch zu schaffen.“ Denn das Licht wird nach einiger Zeit automatisch schwächer, bis es schließlich ganz erlischt und das Jo-jo neu aufgezogen werden muss.

 


Das in Kooperation mit dem Fraunhofer Institut WKI entwickelte und durch die Ikea Stiftung geförderte Material Sprwood besteht aus recycelten Holzfasern und einem biologisch abbaubaren Leim aus Milchnebenerzeugnissen. In der Herstellung wird das Holz so natürlich wie möglich belassen und nicht mit umweltschädlichen Stoffen wie Plastik oder Zement vermischt, die nach dem Ende der Lebensdauer nicht mehr vom Holz getrennt werden könnten.

 

Sofia Souidi im Interview

Sie konzentrieren sich in Ihrer Arbeit darauf, die Art und Weise zu überdenken, wie wir Dinge herstellen und zeitgemäße Lösungen entwickeln können, die für die Zukunft Bestand haben – woher kommt diese Motivation und wie sieht das im Alltag konkret aus?

Ich versuche, meine Gestaltung nicht von Trends abhängig zu machen und arbeite bevorzugt mit umweltfreundlichen Materialien. Dabei verzichte ich beispielsweise auf Plastik und Kunststoffe, sofern dies möglich ist. Chemische Gerüche lassen bei mir die Alarmglocken sofort schrillen. Aufgrund meiner Erfahrung aus Qualitätsprüfungen am Fraunhofer Institut weiß ich, dass ein penetranter Geruch bei einem Material höchstwahrscheinlich von überhöhten Schadstoffwerten herrührt – solche Materialen verwende ich kategorisch nicht.

Woran arbeiten oder forschen Sie momentan?

Seit meinem Masterabschluss am Royal College of Art beschäftigen mich gestalterisch-wissenschaftliche Fragestellungen, wobei mein Fokus auf Materialinnovationen, Prozessen und Produkten liegt, die verschiedene nachhaltige Aspekte transportieren. Ich forsche daher weiterhin mit dem Fraunhofer Institut WKI in Braunschweig an Sprwood, einem biobasierten Holzfasermaterial, das aus Reststoffen der Molkereiindustrie produziert wird. Wir konnten bereits zeigen, dass sich der Klebstoff für die Herstellung von Holzfaserplatten eignet und somit die Möglichkeit besteht, ein biologisch abbaubares Material ohne kritische Formaldehydharze industriell zu fertigen. Viele vielversprechende Klebstoffalternativen, wie Lignine, greifen auf Benzole zurück, um fließfähige Eigenschaften zu erzeugen. Diese Stoffe haben aber schädliche Auswirkungen auf die Umwelt. Das von uns entwickelte Bindemittel kommt ohne kritische Zusatzstoffe aus. Wir arbeiten daran, daraus ein wirtschaftlich herstellbares Baumaterial zu machen.

Ein Projekt, auf das Sie besonders stolz sind und warum?

Das wäre tatsächlich Sprwood, weil es ein Problem lösen kann, das in Zukunft weiter an Bedeutung gewinnen wird. Wir wollen das Material wissenschaftlich so weit entwickeln, dass die Produktion nicht nur im Labor, sondern auch in den Maschinen und engen Produktionsabläufen der Industrie funktioniert. Mit der Entwicklung von biobasierten Bindemitteln entkoppeln wir uns von den immer teurer werdenden erdölbasierten Lösungen. Damit machen sich Hersteller nicht nur vom Preis unabhängig, sie können auch auf regional verfügbare Alternativen ausweichen. Nebenbei lassen sich lange Transportwege einsparen.

In welchem Bereich sehen Sie in Bezug auf die (Weiter-)Entwicklung von Materialien derzeit das größte Potenzial?

Pilze sind noch nicht vollständig erforscht, zeigen aber schon jetzt ein enormes Potenzial für verschiedenste Anwendungen.

Ein Material, mit dem Sie besonders gerne arbeiten?

Mir liegt Holz. Es ist ein natürliches Material, das sich auf so unterschiedliche Arten verarbeiten und veredeln lässt. Ich entwickle gerade ein Projekt namens „mixed forest“, für das ich verschiedene Holzarten verwende. Die Idee für das Projekt entstand aus einer Recherche über den Wald der Zukunft heraus. Um dem Klimawandel entgegenwirken zu können, sollte der Wald der Zukunft aus verschiedenen Baumarten bestehen. Mein Ziel besteht darin, die Thematik anhand eines gestalteten Objekts zu zeigen.

Sie haben mit dem FibreFibre Studio eine kollaborative Forschungsplattform für neue Materialien ins Leben gerufen – worum geht es dabei genau?

Die Plattform wird sich mit der Verarbeitung von Fasern beschäftigen, die als Reststoffe anfallen. Dazu gehören beispielsweise landwirtschaftliche Erzeugnisse, wie aus Spargel und Hanf. Diese sollen zu Plattenmaterialen verarbeitet werden. Wir haben gerade eine Förderung beantragt und planen Projekte am Leibnitz Institut für Agrarforschung in Potsdam zu realisieren.

Was würden Sie jungen Design- und Architekturstudent:innen raten?

Ich denke es ist wichtig, mit verschiedenen Disziplinen zusammenzuarbeiten, um verschiedene Perspektiven auf ein Thema einnehmen zu können. Davon abgesehen ist es aus meiner Sicht gut, möglichst schon im Studium kleinere Projekte mit Partnern aus der Industrie oder der Baubranche umzusetzen.

www.sofiasouidi.com

 

 

Text: Linda Pezzei
Fotos: Ivo Hofste, Sofia Souidi

Kategorie: Architekten im Gespräch, Kolumnen, Sonderthema, Start