Materialwissen neu kuratiert
Material ist mehr als bloße Stofflichkeit. Es ist Träger von Geschichten, Haltungen und Visionen. Mit OFROOM hat Christine Bärnthaler gemeinsam mit ihrem Team ein Werkzeug entwickelt, das Architekt:innen dabei unterstützt, bewusste Materialentscheidungen zu treffen und somit die Bauwende aktiv mitzugestalten.

Das OFROOM Team v.l.n.r. Emma Schneider, Gründerin Christine Bärnthaler, Valerie Zechmeister
Wissen, das entscheidet
Ob im Entwurfsstudio oder im Wettbewerb: Die Materialwahl ist ein entscheidender Moment im architektonischen Prozess. Sie betrifft nicht nur Haptik und Ästhetik, sondern auch Gesundheitsverträglichkeit, Kreislauffähigkeit und Klimabilanz. Wer heute baut, trägt Verantwortung – gegenüber Auftraggeber:innen ebenso wie gegenüber kommenden Generationen.
Während klassische Materialbibliotheken auf Masse setzen, verfolgt OFROOM das Prinzip der „Slow Curation“. Nur Produkte mit belegbar positivem Einfluss schaffen es in die Datenbank. Ein Beispiel ist das HONEXT Board aus Spanien: eine Innenbauplatte aus Papierschlamm, die CO2-negativ produziert wird, frei von Bindemitteln ist und sich vollständig recyceln lässt. Solche Materialien zeigen, wie eng Innovation und Nachhaltigkeit inzwischen miteinander verknüpft sind.
Von der Idee zum Kollektiv
Was als persönliche Erfahrung mit blockierten Innovationen begann, ist heute ein interdisziplinäres Projekt. Initiiert von der Architektin und Lehrbeauftragten Christine Bärnthaler an der TU Wien arbeitet OFROOM als Team, das die Bereiche Architektur, Materialwissenschaft, Kommunikation und Logistik zusammenbringt. Gemeinsam entwickeln sie ein System, das Materialwissen nicht nur sammelt, sondern auch kritisch einordnet, zugänglich macht und kontinuierlich vertieft. Die dahinterstehende Haltung ist klar: Nur durch Teamwork und Konsequenz lässt sich die Bauwende gestalten.

Kuratiert und greifbar: Die OFROOM-Materialpakete im A5-Format machen nachhaltige Innovationen auch haptisch erlebbar.
Mehr als eine Datenbank
Aus diesem Anspruch heraus ist ein vielseitiger Service entstanden. Im Zentrum steht eine digitale Datenbank, die pro Produkt bis zu 1.600 Datensätze erfasst – deutlich mehr, als Hersteller in der Regel offenlegen. Ergänzt wird sie durch ein streng kuratiertes Portfolio mit maximal acht neuen Materialien pro Monat, sodass insgesamt 900 Einträge nicht überschritten werden. Parallel dazu gibt es physische Materialpakete im A5-Format, die beschriftet und geordnet direkt ins Büro geliefert werden. Sie sind ein praktisches Werkzeug, um neben digitalen Daten auch die Haptik erlebbar zu machen.
Darüber hinaus organisiert OFROOM Foren und Veranstaltungen wie das Nachhaltigkeitsforum Wien, das 2023 erstmals stattfand. Mit dem Studio in Wien existiert zudem ein Ort, an dem Beratung, Forschung und Mock-ups zusammenfließen. All das macht deutlich: Material ist hier nicht nur Produkt, sondern Wissen – und dieses Wissen bildet die Grundlage für fundierte architektonische Entscheidungen.
Haltung statt Masse
„Wir sind keine Marketingplattform“, betont Christine Bärnthaler. Während viele Datenbanken auf Quantität setzten, folgt OFROOM der Logik der bewussten Reduktion. Jedes Produkt wird anhand einer Nachhaltigkeitsmatrix mit 41 Kriterien geprüft, die von der CO2-Bilanz und Kreislaufwirtschaft über Biodiversität bis hin zu sozialen Faktoren und Materialgesundheit reichen. Diese Tiefe mache den Unterschied.
Ein zweiter Unterschied liegt im Modell selbst: Der Service ist bewusst als Abo angelegt und nicht kostenlos. Dahinter steckt die Überzeugung, dass Wissen dort am meisten Wirkung entfaltet, wo ernsthaft an nachhaltigen Innovationen gearbeitet wird, und dass Materialkompetenz eine bewusste Investition verdient.

Die OFROOM-Web-App macht Materialwissen transparent: Jedes Produkt wird anhand von 41 Nachhaltigkeitskriterien bewertet und umfassend dokumentiert.
Alltagstauglich und praxisnah
Der Mehrwert dieses Ansatzes im Büroalltag zeigt sich rasch. OFROOM inspiriert, spart Zeit und liefert belastbare Fakten, die bei Präsentationen oder Wettbewerben den entscheidenden Unterschied ausmachen können. In einer Recherche etwa stellte sich heraus, dass Korkeichenwälder zu den effizientesten CO2-Speichern gehören – mit einer Bindung von bis zu 14,7 Tonnen CO2 pro Hektar und Jahr. Solche Zahlen machen nachhaltige Materialien greifbar und geben Planer:innen ein starkes Argumentarium an die Hand.
Auch in der Praxis überzeugt der Service. „Mit den OFROOM-Materialpaketen und der Datenbanklizenz haben wir eine wirklich gute Basis gelegt, um nachhaltige Architekturprojekte zu entwickeln”, sagt beispielsweise Dominik Philipp von Dietrich Untertrifaller Architekten. Für ihn ist klar: OFROOM ist kein abstraktes Archiv, sondern ein Werkzeug mit unmittelbarem Mehrwert.
Blick nach vorn
Im Oktober 2025 richtet OFROOM das zweite Nachhaltigkeitsforum in Wien aus – in der Postbushalle am Nordwestbahnhof. Auch dieses Mal wird es kein klassisches Messeformat geben, sondern wieder ein Forum: einen Ort für Diskurs, Inspiration und Begegnung. Internationale Gäste wie Patrick Teuffel, Martha Lewis, Mark Inderbitzin und Floris Schiferli werden über Zirkularität, Re-Use und Lehmbau sprechen. Begleitende Pecha-Kucha-Sessions und Mock-ups machen Materialkultur dabei unmittelbar erlebbar.
Parallel dazu arbeitet das Team an der Weiterentwicklung seiner digitalen Tools. Die Web-App soll schrittweise zu einem maßgeschneiderten Architektur-Tool ausgebaut werden, das alle Planungsphasen begleitet – von der Recherche über die Bemusterung bis hin zur Ausführung.

OFROOM Material Ausstellung im Reallabor Nachhaltiges Bauen der STRABAG
Materialkultur als Verantwortung
Bei OFROOM geht es am Ende um mehr als Daten, Tools und Produkte. Für Christine Bärnthaler bedeutet Materialkultur vor allem eines: Verantwortung. Denn jede Materialentscheidung formt die Welt von morgen. Darin liegt sowohl die Herausforderung als auch die Chance, Architektur neu zu denken: von linearen Prozessen zu zirkulären Kreisläufen, von Ressourcenverbrauch zu Ressourcenschonung, von Material zu Haltung.
Gerade in einer Zeit, in der die Bauwirtschaft für rund 40 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich ist, wird jede Materialwahl zu einer kulturprägenden Handlung. Architektur entscheidet somit nicht nur über Formen und Räume, sondern auch über ökologische und gesellschaftliche Zukunftsbilder.

Wandaufbauten neu denken: Im Entwerfen „Material Begreifen“ an der TU Wien, Forschungsbereich Hochbau und Entwerfen, Professur Staufer Hasler, realisierten Studierende nachhaltige Außenwand-Mock-ups.
Nachgefragt: ein Auszug aus dem Gespräch mit Christine Bärnthaler
Wie ist OFROOM entstanden?
Der Ausgangspunkt war meine Erfahrung, dass innovative Baustoffe oft am Widerstand in der Baukette scheitern. Daraus entstand der Wunsch, Kommunikationstools zu entwickeln, die Architekt:innen und Hersteller:innen ehrlich zusammenbringen.
Was unterscheidet euch von anderen ähnlichen Plattformen?
Wir sind keine Material-Marketingplattform. Uns geht es um ein Wissensmanagement-Tool mit inhaltlicher Tiefe. Qualität statt Masse – maximal acht neue Produkte im Monat.
Welches Ziel verfolgt ihr konkret?
Wir wollen Nachhaltigkeit in der Architektur ganzheitlich abbilden, Lobbys kritisch hinterfragen und Materialentscheidungen transparent machen.
Und worin liegt der konkrete Nutzen für Architekturbüros?
In der Zeitersparnis und Sicherheit. Wir recherchieren im Vorfeld, liefern geprüfte Daten und inspirieren zu mutigen Lösungen, die in Wettbewerben oder Bauprozessen sofort nutzbar sind.
Was plant ihr für die weitere Zukunft?
Unser Nachhaltigkeitsforum wird wachsen und unsere Web-App soll sich zu einem Architekturtool entwickeln, das den gesamten Planungsprozess unterstützt.
Text: Linda Pezzei
Kategorie: Architekturszene, Kolumnen, Start








