Mut zur Transformation
An der BOKU der „Künstler“, an der TU der „Öko“ und an der Angewandten der „Techniker“ – bereits während seiner Studienzeit ging es Dominik Scheuch darum, über den Tellerrand zu schauen und interdisziplinär zu denken. An diesem Ansatz hält er mit seinem Wiener Landschaftsarchitekturbüro YEWO LANDSCAPES bis heute fest, indem er sich von anderen Ländern inspirieren lässt und Projekte in Österreich, Deutschland, Ungarn, Tschechien und der Schweiz umsetzt. Im Gespräch spricht der Gründer und Geschäftsführer darüber, wie wichtig innovative Ansätze in der Landschaftsarchitektur in Hinblick auf Extremwetterereignisse sind. Außerdem thematisiert er die Herausforderungen dieses Transformationsprozesses und verrät, was ihn trotz dunkler Prognosen beim Thema Klimakrise optimistisch stimmt.
© Claudia Feierfeil
Wie selbstverständlich wird die Landschaftsarchitektur heute in der Architektur berücksichtigt? Ist ihr Stellenwert groß genug?
Während die Landschaftsarchitektur 2009, als ich mich selbstständig gemacht habe, in Österreich noch eine Randerscheinung war, stellt sie heute eine der Zukunftsdisziplinen in Hinblick auf die Klimakrise dar. Wir haben etliche Partner:innen-Büros, die uns von Anfang an in die Planung miteinbeziehen und auch das generelle Bewusstsein für die Wertigkeit von Freiräumen ist deutlich gestiegen.
Was interessiert Sie als Landschaftsarchitekt im städtischen und im ländlichen Kontext jeweils am meisten?
Wir befassen uns im Büro mit beiden Bereichen. In der Stadt ist die Landschaftsarchitektur bereits gut etabliert, aber auch im ländlichen Raum steigt ihr Stellenwert bedingt durch Fragen von Klimaresilienz, Versiegelung und Renaturierung. Was am Land oft noch fehlt, ist das Bewusstsein für die Chancen bzw. Qualitäten, die Begrünung und Freiraumgestaltung bieten. Ein schönes Beispiel ist der Stadtsee Horn, ein Projekt, bei dem wir ein in die Jahre gekommenes Freibad durch einen parkartigen See ersetzen konnten. Dieser zieht nicht nur die Bewohner:innen von Horn, sondern auch aus umliegenden Gemeinden und sogar Tourist:innen an und wirkt sich damit positiv auf die gesamte Region aus. Meines Erachtens ist es wichtig, urbane und ländliche Räume nicht getrennt voneinander zu betrachten oder gar gegeneinander auszuspielen. Vielmehr sollten wir die jeweiligen Vorteile von beiden nutzen und kombinieren – sei es die gute Infrastruktur in der Stadt oder das Gemeinschaftsdenken am Land.
In Bad Vöslau galt es, das Stadtzentrum fit für die Zukunft zu machen: Das Konzept optimiert die Verkehrssituation, greift das Thema Schwammstadt auf und schafft einen Begegnungsort mit hoher Aufenthaltsqualität. © Kurt Hoerbst
Wo sehen Sie in der Landschaftsarchitektur das größte Potenzial für Innovation und Weiterentwicklung?
Wir stellen im Büro fest, dass es in der Planung einen Paradigmenwechsel gibt. Das bedeutet: Klassischerweise war es so, dass es ein Problem gab, das es zu lösen galt. Heute ist ein großer Teil der Nutzer:innen zu den Themen Grünraum, Nachhaltigkeit, Klimaresilienz etc. aber bereits sehr sensibilisiert und teilweise schon weiter bzw. kreativer, als die Planung selbst. Wir sehen es als unsere Aufgabe innovativ zu sein, zu forschen und zu riechen, was es gerade braucht. Dazu gehören für uns vier Hauptthemen, bei denen wir auch am meisten Potenzial sehen: Wasser (zum einen Regen- bzw. Grauwassernutzung, zum anderen Entwässerung bzw. Speicherung), Transformation von Grünräumen (Überdenken von Standards), Bestand (inkl. unversiegelter Freiflächen) und freiraumorientierte Stadt- und Raumentwicklung (Stadt als Raum zwischen den Gebäuden verstehen).
Worin liegen in Hinblick auf neue Lösungen die größten Herausforderungen?
Klassische Top-down-Planungsprozesse funktionieren so nicht mehr. Vielmehr müssen wir Zusammenhänge verstehen und uns Dinge wie Kontext, Mobilität und Nutzungsverhalten ansehen. Auf einer Rundreise durch Italien habe ich ein schönes Beispiel kennengelernt: Ferrara, la città delle biciclette, die Stadt der Fahrräder. Dort wurden Push- und Pull-Faktoren so genutzt, dass sie das Auto verdrängen und Anreize für Alternativen schaffen. Ein solcher Transformationsprozess braucht vor allem eines: Mut. Die Herausforderung besteht darin, frühzeitig beherzte, raumplanerische Entscheidungen zu treffen – und nicht erst im Nachhinein mit Grünräumen reparieren zu wollen.
Bad Vöslau © Kurt Hoerbst
Extremwetterereignisse werden immer häufiger. Wie schafft man Freiräume, die mit dem Klimawandel umgehen können, ihm entgegensteuern?
Für mich ist es essenziell Ursache und Wirkung zu verstehen. Die hohe Versiegelungs- und Kanalisierungsrate führt dazu, dass vorhandene Systeme nicht mit Extremwetterereignissen umgehen können. Wir müssen überlegen, wie wir die Wassermenge reduzieren bzw. Oberflächenwasser im urbanen und ländlichen Raum nach dem Modell der Schwammstadt vor Ort aufnehmen, speichern und schließlich langsam wieder abgeben. Schweden ist hier Vorreiter, der seine Parkanlagen bereits nach diesem Vorbild errichtet. Wir setzen auch sogenannte Raingardens ein – (Spiel-)wiesen, die bei starkem Regen als Retentions- bzw. Sickerflächen fungieren.
In Sachen Klimawandel stößt man oft auf sehr dunkle Prognosen von Expert:innen. Was stimmt Sie optimistisch, wo sehen Sie positive Entwicklungen in Ihrem Arbeitsfeld?
Generell wirkt sich das Bewusstsein für die Klimakrise positiv auf unsere Branche und die Nachfrage danach aus. Das Thema Klima ist jetzt so im Fokus, dass man Grün- und Freiräume nicht mehr wegsparen kann. Bei Stadt- und Ortsentwicklungsprojekten stehen von Beginn an nicht mehr nur Kosten, Hochbau oder Fassaden, sondern auch freiraumorientierte Fragestellungen im Mittelpunkt. Einige rechtliche Grundlagen seitens der Politik und der EU haben wir bereits, es gibt aber noch Luft nach oben.
Beim Wiener Kirschblütenpark setzte man neben fernöstlichen Elementen auf Naturbelassenheit. So schmiegen sich z.B. niedrige Stampfbeton-Mauern an die Wege und sorgen für eine raue, natürliche Ästhetik. © Kurt Hoerbst
Auf Ihrer Website rücken Sie neben der Funktion von Außenräumen auch deren Ästhetik & Design in den Mittelpunkt. (Wo) ist dafür in Zeiten der Klimakrise noch Zeit und Raum?
Wir verstehen die Landschaftsarchitektur als sehr integrale Disziplin. Über die Jahrzehnte hinweg gab es unterschiedliche Trends in der Planung: Auf einen designorientierten Ansatz mit perfekten Betonfertigteilen und Farben in den 90ern, folgten die 00er-Jahre mit Fokus auf die Nutzung, bevor man sich ab 2010 verstärkt auf die Mobilitätswende konzentrierte. In den 20er-Jahren steht jetzt das Thema Nachhaltigkeit im Mittelpunkt. Klimaresilienz schließt die übrigen Planungsparameter aber nicht aus – ganz im Gegenteil: Besonders spannend finde ich z.B. das Rewilding, das Zurück zur Natur, aus dem sich eine neue Ästhetik entwickelt, die unperfekte Elemente wie eine Schotterflur oder eine Gstätten zulässt und mehr Raum für Veränderung ermöglicht.
Auf welche Parameter dürfen abseits von Klimaresilienz & Co. in Sachen Landschaftsarchitektur keinesfalls vergessen werden?
Das impliziert, dass es zwischen den einzelnen Bereichen Zielkonflikte gibt – was aber nicht so sein sollte, wenn man das Thema Freiraum ganzheitlich betrachtet.
Wir wollen gut nutzbare Räume für Menschen schaffen und diese so inklusiv wie möglich gestalten. Manchmal gerät man aber an den Punkt, wo z.B. die Entscheidung zwischen einer nachhaltigen Schotterflur und einem barrierefreien Weg notwendig ist. Dann muss man es sich auch leisten wollen, einen Holzsteg über diese Schotterflur zu legen. Guter Freiraum – egal wie naturnah – kostet etwas. Sicherheit spielt ebenfalls eine große Rolle, sowohl beim Verletzungsrisiko in Spielbereichen als auch in Hinblick auf Angsträume und eine ausreichende Beleuchtung. Identität, Mobilität und schließlich das Thema Technik (Aufbauhöhen bei Dachbegrünung oder Bepflanzung von unterkellerten Flächen) sind weitere wichtige Parameter, die die Planung beeinflussen und – im Idealfall – die Klimaresilienz eines Außenraums stets mitbedenken.
Der – nun frei zugängliche – Stadtsee im niederösterreichischen Horn lädt mit großzügigen Holzdecks und einer Seebühne zu Veranstaltungen und zum Verweilen am Wasser ein. Er wird zum neuen Treffpunkt für Stadtbewohner:innen und Besucher:innen. © Kurt Hoerbst
Wie gestaltet man Freiräume, in denen sich alle gleichermaßen wohlfühlen? Mit welchen Maßnahmen bezieht man Nutzer:innen bestmöglich in die Freiraumplanung mit ein?
In der Planung und der Umsetzung von Projekten passiert ein Umdenken. Anstelle von Top-down- haben wir es mit Bottom-up-Prozessen zu tun, bei denen Nutzer:innen mithilfe von Bürger:innenforen und Ausstellungen involviert werden. Wichtig bei diesem partizipativen Ansatz ist es, die Menschen möglichst früh miteinzubeziehen und auf deren Anregungen und Wünsche zu reagieren. Dadurch identifizieren sich die Menschen mehr mit den Räumen und nehmen diese besser an. Nutzungsoffenheit begünstigt die Akzeptanz ebenfalls: Man darf nicht zu monofunktional planen, gleichzeitig braucht es für manche Nutzer:innengruppen wie Kleinkinder, Jugendliche und Ältere aber ein spezifisches Angebot. Gelingt es, das alles in einem Projekt unterzubringen, hat man schon gewonnen.
Ein von Ihnen realisiertes Projekt, bei dem ein solcher partizipativer Planungsprozess besonders erfolgreich war?
Die Zentrumszone in Bad Vöslau konnten wir als Bürger:innenbeteiligungsprojekt umsetzen. Dort haben wir bei einer Art World-Café spannenden Input erhalten: Mehrere Leute kamen mit Bedenken auf uns zu, ob die neue Begrünung nicht die Sichtachse zum denkmalgeschützten Schloss störe. Als Reaktion darauf wurden die Hochstammbäume leicht erhöht gepflanzt, um Grün und Beschattung zu integrieren, ohne den historischen Bau zu verdecken. Das zeigt, dass es diesen Blick von außen manchmal braucht.
Stadtsee Horn © Kurt Hoerbst
Gibt es spannende Entwicklungen in anderen Ländern, die wir uns abschauen können? Wo hinken wir in Österreich besonders hinterher?
Da gibt es definitiv jede Menge zu lernen: Während uns die Schwed:innen in Hinblick auf die Schwammstadt-Thematik sehr viel gelehrt haben, geht der Trend in der Schweiz hin zu naturnahen, offenen Freiräumen mit einer natürlichen Ästhetik. Diese Learnings konnten wir z.B. in Form von Ressourcenschonung und Wasserdurchlässigkeit beim Kirschblütenpark, einem Projekt in Kagran einfließen lassen. In China wird das Thema Renaturierung zur Verbesserung der Wasserqualität in Maßstäben umgesetzt, die für uns teils unvorstellbar sind. Und Deutschland beeindruckt vor allem mit prozessorientierten Entwicklungen und mit dem großen Stellenwert, den man der Landschaftsarchitektur dort schon seit Langen beimisst.
Wie sieht die Stadt von morgen für Sie aus, wenn alles möglich ist?
Generell sehe ich Mittel- und Kleinstädte mit der nötigen Infrastruktur als große Gewinnerinnen der Zukunft. In der Stadt von morgen gibt es für mich ein ausgewogenes Verhältnis an Dichte, Angebot und Grün – ein Stadtidyll wie es z.B. südeuropäische Städte vormachen. Die Stadt von morgen ist für mich menschgerecht, nachhaltig, lebendig und entschleunigt. Sie lässt Raum für Entwicklung und man lebt nicht nur neben-, sondern vielmehr miteinander. In dem Wiener Grätzel, in dem ich wohne, habe ich das Gefühl, dass ich mich bereits in einem Ausschnitt einer solchen Stadt von morgen befinde.
Interview: Edina Obermoser
Kategorie: Architekten im Gespräch, Kolumnen