Nachhaltiges Bauen für eine lebenswerte Zukunft

8. April 2022 Mehr

Der Gebäudesektor ist für einen beachtlichen Teil aller CO2-Emissionen verantwortlich – vor diesem Hintergrund rücken nachhaltige Konzepte immer mehr in den Fokus. Recycelte Materialien zum Beispiel bieten ein enormes CO2-Einsparpotenzial und helfen dabei, wertvolle Rohstoff-Ressourcen zu schonen. Im Interview erläutern Architekt Andreas Moser (cyrus moser architekten BDA) und Dr.-Ing. Werner Jager vom Aluminiumsystemhaus WICONA, was nachhaltiges Bauen für sie ausmacht und wie sie die zukünftige Entwicklung einschätzen. Andreas Moser ist Gründer und Mitglied der Geschäftsleitung des Frankfurter Architekturbüros cyrus moser architekten BDA. Zudem ist der Dipl.-Ing. Architekt im Städtebaubeirat Frankfurt sowie im Architekten- und Ingenieurverein Frankfurt aktiv.

 

Andreas Moser ist Gründer und Mitglied der Geschäftsleitung des Frankfurter Architekturbüros cyrus moser architekten BDA
Andreas Moser, Gründer und Mitglied der Geschäftsleitung des Frankfurter Architekturbüros cyrus moser architekten BDA

 

Zuerst eine Frage an den Architekten: Welche Rolle spielen in Ihrem Planungsprozess eigentlich heute recycelbare bzw. nachhaltige Materialien?

Andreas Moser: Ganz klar: Eine immer größere. Man muss jedoch dazu sagen, dass unser Büro bei den aktuellen Großprojekten auf einen anderen Zeithorizont schaut – diese haben ihren Ursprung meist in 2013 bis 2016. Und da war das Thema Nachhaltigkeit noch nicht so prägend wie heute. Weil aber die Zeitspanne bis zur Realisierung so unglaublich lang ist, machen wir das, was wir im Rahmen des weiteren Planungsprozesses ermöglichen können. Das ist oftmals nicht so spektakulär vorzeigbar wie Projekte, die von der ersten Idee an zum Beispiel in Holz-Hybrid-Bauweise gedacht worden sind. Aber im Rahmen der Möglichkeiten setzen wir ganz klar auf nachhaltige Materialien.

Ist die Berücksichtigung nachhaltiger Materialien für Sie als Architekt also eine Verpflichtung oder kommt der Wunsch meist vom Investor oder Bauherren?

Andreas Moser: Als Architekten verstehen wir uns als Berater des Bauherrn. Die Kollegen, die bei uns arbeiten, wollen sich ja auch mit ihren Gebäuden identifizieren. Ich finde, es ist einfach unsere Pflicht, den Anteil recycelbarer Materialien beim Bauen noch weiter zu erhöhen und das Thema nach vorne zu tragen. Und das ist eben keine Frage des Wunsches, sondern nur des „wie“ – also wie setzen wir das Thema Nachhaltigkeit am besten im Gebäudekonzept um.

Wie sehen Sie das aus Sicht der Bauindustrie, Herr Dr. Jager?

Dr. Werner Jager: Wiederverwendbare Materialien sind natürlich ein ganz wesentlicher Aspekt des zukunftsgerechten Bauens. Das Thema Nachhaltigkeit im Sinne von „Nachhalten“ beinhaltet jedoch mehr als das reine Material, das wiederverwendbar ist. In diesem Kontext finde ich zum Beispiel den Ansatz des Zertifizierungssystems BREEAM spannend. Dabei gibt es besondere Punkte, wenn aus einem alten Gebäude ganze Teile wiederverwendet werden können. Konkret geht es dabei darum, zum Beispiel Bestandsgläser aus dem Altgebäude im neuen Kontext wieder zu verwenden – natürlich so, dass sie ins architektonische Konzept des Neubaus passen. Auch die Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) hat kürzlich ein Zertifizierungssystem vorgestellt, das sich gezielt mit dem nachhaltigen Gebäuderückbau beschäftigt. Mittlerweile gibt es am Markt auch Online-Plattformen, die sich auf den Handel mit bzw. den Verkauf von wiederverwertbaren Materialien für die Bauwirtschaft spezialisiert haben.

 

Dr.-Ing. Werner Jager ist Geschäftsführer der Hydro Building Systems Germany GmbH in Ulm. Vormals war der Bauphysiker unter anderem als Geschäftsführer eines eigenen Ingenieurbüros tätig und lehrte zudem als Professor an der Hochschule Augsburg.
Dr.-Ing. Werner Jager ist Geschäftsführer der Hydro Building Systems Germany GmbH in Ulm. Vormals war der Bauphysiker unter anderem als Geschäftsführer eines eigenen Ingenieurbüros tätig und lehrte zudem als Professor an der Hochschule Augsburg.

 

Das wäre dann der Trend zur Kreislaufwirtschaft im eigentlichen Sinne – also hin zu Cradle-to-Cradle?

Andreas Moser: Eine echte Kreislaufwirtschaft ist definitiv ein wichtiger Punkt. Doch das fängt natürlich schon bei der Materialforschung und -zusammensetzung an. Wir als Architekten sind jedoch mehr im Prozess verhaftet und nicht in der Erforschung von neuen Materialien. Wir suchen eher die Kompetenz der anderen, um sie in unseren Projekten mit zu integrieren. Wir sind „System-Integratoren“.

Dr. Werner Jager: Nachhaltigkeit muss immer ganzheitlich gedacht werden – das ist keine „One-Man-Show“. Dazu gehört neben den Architekten und der Bauindustrie natürlich auch der Investor bzw. Bauherr – dieser ist es ja, der das Gebäude finanziert und bezieht. Und dieser muss dieses Thema genauso nachhaltig fordern und vorantreiben wollen – auch wenn es manchmal nicht kostenneutral zu realisieren ist.

Gutes Stichwort: Was kostet Nachhaltigkeit heute?

Andreas Moser: Wenn man Nachhaltigkeit nur wirtschaftlich betrachtet, bedeutet nachhaltiges Bauen heute immer einen Aufpreis im Vergleich zum konventionellen Bauen. Kostenneutral geht es (noch) nicht. Aber nur die Wirtschaftlichkeit zu betrachten, greift einfach zu kurz.

Dr. Werner Jager: Das stimmt, aber ich bin mir sicher: Wenn ein Gebäude nicht als reines Investment gesehen wird, sondern auch die Nutzungsphase mit einfließt, lässt sich Nachhaltigkeit auf jeden Fall kostenneutral darstellen. Deswegen ist es immer gut, einen Investor im Boot zu haben, der über den eigenen Investitions-Tellerrand blickt und auch die folgenden Phasen mit betrachtet.

Andreas Moser: Ergänzend dazu: Ich würde sagen „es kostet, was es dir wert ist“. Realität ist meistens, dass das Projekt erstmal in puncto Wirtschaftlichkeit betrachtet wird, sonst wird es erst gar nicht realisiert. Wenn in diesen ganz frühen Stadien Nachhaltigkeitsthemen auf die Agenda kommen, kommt ganz häufig das Kosten-/Nutzen-Argument. Nachhaltigkeit muss sich einfach rechnen – gerade für Investoren.

 

Der schlanke, 106 Meter hohe Senckenberg-Turm befindet sich im Herzen des Senckenberg-Quartiers im Frankfurter Westen und wurde mit einer Fassade aus Recycling-Aluminium realisiert.
Der schlanke, 106 Meter hohe Senckenberg-Turm befindet sich im Herzen des Senckenberg-Quartiers im Frankfurter Westen und wurde mit einer Fassade aus Recycling-Aluminium realisiert.

 

In diesem Zusammenhang ist die Gebäude Zertifizierung doch auch ein gutes Argument. Wird diese eigentlich von Investoren-Seite nachgefragt?

Andreas Moser: Das kommt immer auf den einzelnen Investor an. Diejenigen, die quasi reihenweise Gebäude bauen und dann direkt weiterverkaufen, interessiert eine Gebäudezertifizierung meist nicht wirklich.  Bauherrn, die für sich bzw. ihr Unternehmen bauen und langfristig denken, sind in der Regel auch an Zertifizierungen interessiert. Wir müssen noch viel tun, um nachhaltiges Denken gerade bei klassischen Investoren zu etablieren.

Dr. Werner Jager: Wir erleben aktuell in Diskussionen vor allem mit größeren Investoren-Gruppen, dass das Thema Nachhaltigkeit immer stärker in deren Unternehmenskulturen verankert wird und von den Mitarbeitern verinnerlicht wird. Für uns als Aluminiumsystemhaus bedeutet das, dass in Bezug auf unsere Systeme viel öfter nachgefragt wird: Welche Zertifikate haben Sie? Wie erfolgt die Überprüfung der Angaben? Wird das extern überwacht? Zahlen und Daten sind gefragt und alles muss transparent verfügbar sein. Das klassische „Green Washing“ funktioniert heute nicht mehr. All dies hat natürlich auch mit dem Klimawandel zu tun – fast jeder will mittlerweile den CO2-Fußabdruck reduzieren und den Einfluss auf die Umwelt entsprechend minimieren. Es wird in der Baubranche in Zukunft immer wichtiger werden, ein nachhaltiges Gebäude nachzuweisen. Das ist ein wichtiges Verkaufsargument und spricht für die Gebäudezertifizierung.

Aktuell haben Sie beim Senckenberg-Turm in Frankfurt zusammengearbeitet. Dort ist die Fassade aus recyceltem Aluminium erstellt worden.

Andreas Moser: Das ist richtig. Wir als Architekten sind in dem Prozess jedoch recht spät eingestiegen. Der ursprüngliche Wunsch, den 106 Meter hohen Büroturm möglichst ressourcen- und umweltschonend zu realisieren, kam vom Bauherrn – der BNP Paribas Real Estate. Diese legt als international agierendes Unternehmen großen Wert auf Nachhaltigkeit. Das haben wir natürlich auch sehr begrüßt.

Wie ist da die Zusammenarbeit gelaufen und was bringt der Einsatz von recyceltem Aluminium?

Dr. Werner Jager: Wir waren als Systemgeber quasi als verlängerter Arm des ausführenden Metallbau-Betriebs Rupert App tätig – dieser hat die Fassade dann mit unseren Systemen realisiert. Der Turm wurde zu 95 % aus recyceltem Aluminium errichtet. Dieses Material war schon einmal in einem Aluminiumprodukt – zum Beispiel einem Fenster – verbaut und benötigt bei der Erzeugung nur 5 % der Energie von Primär-Aluminium. Und das schlägt sich sichtbar nieder. Während für die Herstellung von einem Kilogramm Aluminium in Europa durchschnittlich rund 8,6 kg CO2 ausgestoßen werden, sind es bei unserem End-of-Life-Aluminium Hydro CIRCAL 75R nur 2,3 kg CO2 pro 1 kg Aluminium. Das schlägt sich auch beim gesamten CO2-Fußabdruck des Projekts nieder: Hier wurden 2.600 Tonnen CO2 eingespart.

Zum Abschluss ein Blick in die Zukunft: Wie sehen Sie das Thema Nachhaltigkeit beim Bauen in den nächsten zehn, zwanzig Jahren?

Dr. Werner Jager: Ob Cradle-to-Cradle das Maß aller Dinge wird, wird sich zeigen. Aber das Thema Kreislaufwirtschaft wird sicher noch wichtiger werden. Der ökologische Fußabdruck eines verwendeten Materials wird einen ganz zentralen Stellenwert bekommen. Und damit werden sich nicht nur hinsichtlich des Materials, sondern auch im Bereich möglicher Lösungsansätze neue Themen ergeben. Ich denke zum Beispiel an die Modularisierung in der Gebäudehülle. Das heißt, eine Fassade, die nach 40 Jahren demontiert wird, wird ertüchtigt und kann dann nochmal 40 Jahre genau in der gleichen Funktion im ähnlichen Design im Einsatz bleiben. Oder der Rückbau und Austausch einzelner Module – das ist auch spannend. Da wird sich auch technisch noch einiges ergeben.

Andreas Moser: Das Bauen ist nach wie vor einer der größten CO2-Produzenten weltweit. Aber gar nicht mehr zu bauen, das geht natürlich nicht. Also kann es zukünftig nur so gehen: Graue Energie, Wiederverwendbarkeit, Kreislaufdenken. Und über allem steht natürlich der Klimawandel. Und der ist eine gute Chance, jetzt smart zu denken und endlich nachhaltiger zu werden in der gesamten Gesellschaft und auch beim Bauen. Machen wir was draus!

www.cma-arch.de

 

 

Kategorie: Architekten im Gespräch, Kolumnen