Räume für Menschen

4. Juli 2024 Mehr

Peter Reiter legt betont Wert darauf, die unter seinem Namen entstehende Architektur als Ergebnis des Gesamten von Peter Reiter ArchitektInnen zu benennen. Dabei geht es Reiter weniger um symbolträchtige Selbstverwirklichung, als vielmehr darum, Räume für Menschen zu schaffen und Orte der Begegnung: „In meinen Augen sollten nicht Fassaden und Skulpturen im Vordergrund stehen, sondern der Raum und die Nutzer.“ In diesem Sinne geht es Reiter stets um die Annäherung an Architektur, wie sich Räume erleben lassen und Gebäude im Einklang mit Natur und Stadt entstehen können. Wie sich eine selbstbewusste Architektursprache für Tirol finden lässt, auf welche Weise eine solche zu definieren wäre und ob es diese im konkreten Fall überhaupt braucht – darüber spricht Architekt Peter Reiter aus Innsbruck im Interview.

 

 

Zubauen, anbauen, weiterbauen – wo liegt hier gerade für Tirol das große Potenzial und (warum) sind das die Bauaufgaben von morgen?

Auch, wenn dieser Ansatz nicht immer und überall möglich ist, denke ich, dass dieses Prinzip die Architektur der Zukunft (mit)definieren wird. Leider sind es gerade die Gesetze und Normen, die uns hier oft in unseren Möglichkeiten reglementieren. Eine Frage ist in meinen Augen auch, inwieweit sich das Neue nur über das Alte stülpt und welche Substanzen generell als erhaltenswert zu betrachten sind. In jedem Fall ist es sowohl ökologischer als auch günstiger, einen Bestand weiterzubauen. Dies erfordert aber auch eine gewisse Flexibilität in der Nutzung und gute Ideen – die Bauherrschaft muss sich ein solches Projekt also gewissermaßen erst einmal (zu)trauen. Für Tirol im Speziellen gilt das ohnehin nur in Teilbereichen, denn im Gegensatz zu Südtirol oder Vorarlberg sitzt das kollektive Baubewusstsein hier nicht so tief und auch die vorhandene Bausubstanz ist weniger gut.

Wandel statt Bestand – wie kann Adaption und Anbau die Ortsbilder (Tirols) nachhaltig prägen?

Meiner Ansicht nach sollten die Funktionen eines Gebäudes auch in seiner Architektursprache ablesbar sein. Unsere Städte wandeln sich stetig – wenn eine solche Evolution auch mit dem Wandel der Funktionalität einhergeht, kann Adaption funktionieren. In diesem Zusammenhang entscheidend wird auch der Umgang mit unseren Verkehrsnetzen sein, denn Straßen, die früher verbunden haben, wirken heute oft trennend. Dabei werden unsere Ortsbilder sicher meist stark durch das geprägt, was dort passiert: Oft sind es private Betreiber, die mit gastronomischen oder anderen Angeboten Orte bespielen und beleben. Ein gutes Beispiel hierfür sind die neu gestalteten Viaduktbögen in Innsbruck, die ohne das entsprechende Engagement der Anrainer vermutlich eine tote Oase wären.

 


Das Stadthaus inmitten des Innsbrucker Stadtviertels Pradl fügt sich in die umliegende dörfliche Struktur ein, wobei das Absetzen des Bauvolumens vom Nachbargebäude einen spannenden Zwischenraum und einen Einschnitt als städtebauliches Statement erzeugt. © Lukas Schaller

 

Gefangen zwischen Alpenkitsch und klarer Kante – wie kann Tirol Ihrer Meinung nach eine zeitgemäße Architektursprache entwickeln?

Ich denke, Tirol hat bereits viel Positives zu bieten und ist da generell auf einem guten Weg. Herausragende Beispiele sind MPreis, die Bergbahnen, aber auch innovativ gestaltete Almhütten. Während sich Industrie, Gewerbe und auch private Bauherren in die richtige Richtung bewegen, bleibt der Tourismus oft eine Herausforderung in Tirol. Das unmaßstäblich aufgeblasene Tirolerhaus begegnet uns aller Orten, weil die Branche noch immer denkt, dass der Gast das erwartet. Da muss sich das Bewusstsein noch wandeln, auch wenn „Alpenkitsch“ und Modern Style in ihrer Gemütlichkeit sicher eine Daseinsberechtigung haben und haben werden. Die Gefahr des Kontrastierenden besteht ja wiederum auch darin, über das Ziel hinauszuschießen und sich im Gedanken selbst ad absurdum zu führen. Vielleicht braucht es also vielmehr eine weiche Kante.

Warum darf man das Stadthaus im Innsbrucker Stadtviertel Pradl dahingehend als Rolemodel verstehen?

Beim Projekt „Pradl Home“ ging es um eine Häuserzeile an einer Straßenkreuzung in Innsbruck, welche die Verdichtung erlaubte. Also haben wir uns dazu entschlossen, in die Höhe zu bauen – was meiner Meinung nach bis zu einem gewissen Grad viel öfter in Tirol möglich sein sollte – und mittels unterschiedlicher Baustudien das optimale Volumen entwickelt. Im Ergebnis sorgen ein asymmetrisch verschobener First, die Fortführung der Traufhöhe der Nachbarbebauung sowie eine bewusst gesetzte Fuge für ein städtebauliches Statement. Die zeitgemäße Interpretation der Fassade in Sichtbeton aus Fertigteilen sowie das Zitat bekannter Formensprachen sorgen für eine frische, aber authentische Optik. Den Sockel haben wir bewusst auf der Straße positioniert und das Gebäude damit nicht – wie heute durch verglaste Sockelzonen oft üblich – vom Boden abgeschnitten, sondern geerdet.

 


Das Wohn-Ensemble Archengasse in Schwaz vereint Alt und Neu und bietet neben smart geplantem Wohnraum auch großzügige Außenbereiche. © Lukas Schaller

 

Sie planen auch wegweisende Wohnanlagen – wo setzen Sie da den Fokus, was macht die Qualität der Objekte aus?

Besonders wichtig in diesem Zusammenhang ist uns die Einbindung der Bauwerke in die Natur oder das umgebende Ortsbild. Dabei versuchen wir nicht nur, die Kubatur aufzulösen, sondern vor allem auch, die Räume zwischen dem Gebauten für die Gemeinschaft nutzbar zu machen. Die Verbindung zwischen Außen- und Innenraum für den Einzelnen sowie sinnvolle Proportionen sind weitere für uns relevante Faktoren, um die Wohnqualität zu steigern. In Zukunft werden flexible Raumstrukturen und multifunktionale Bereiche weiter an Bedeutung gewinnen. Neben einer raumordnerischen Veränderung der Nutzflächendichte – Stichwort: Raumhöhen – sollte in diesem Zusammenhang auch das allgemeine Verständnis von Baukultur auf lange Sicht gefördert werden.

Werden Neubauten mit den steigenden Bodenpreisen und dem Schwinden an Bauplätzen in Tirol mehr und mehr zum Luxusgut und was heißt das für das „Haus auf der grünen Wiese“?

Ich spreche im Zusammenhang mit Tirol gerne vom „Haus am steilen Hang“ – eine Tatsache, die das Bauen noch schwieriger und kostspieliger gestaltet. Das Einfamilienhaus ist bereits ein Luxusgut und wird es mehr und mehr werden. Auch die Tatsache, dass viele Gemeinden die Größe der verfügbaren Baugründe minimieren, spricht langfristig dafür, dass das Einfamilienhaus nicht mehr Thema Nummer Eins sein wird. Wir werden wohl eher das Generationenwohnen wie vor 100 Jahren wiedererleben, wenn auch in Form von generell sozialwirtschaftlicheren Modellen. Das klassische Familienbild ist vom Aussterben bedroht, was es braucht, sind hingegen innovative und flexible Wohnformen für Gemeinschaften der unterschiedlichsten Art.

 


SPORTLERS LODGE SÖLDEN Eine schwarze Fassade aus Holz und eine schwarze, schwebende Decke in der Lounge-Zone – solche Entwurfsansätze sind in der Hotellerie in Tirol oft nur möglich, wenn die Bauherrschaft innovativ und mutig zu denken bereit ist.

 

Ein Projekt, das Sie unbedingt verwirklichen möchten und warum?

Für mich waren das immer drei Sachen: eine Bibliothek, eine Kirche und ein Opernhaus. Nachdem ich mit der Universitäts- und Landesbibliothek Tirol Erstgenanntes abhaken konnte, blieben noch letztere Institutionen offen. Aufgrund aktueller Tendenzen würde ich die beiden Bauaufgaben gerne unter dem Motto „Haus der Begegnung“ zusammenfassen und einen echten Treffpunkt für die Allgemeinheit schaffen, der konsumpflichtige wie -freie Angebote bietet. Als Inspiration dienen mir hier die alten Markthallen in Spanien, die zu modernen Foodcourts umgewandelt wurden – mit einer sozialen und kulturellen Komponente versehen, wäre dies mein nächstes Wunschprojekt für einen schönen Ort.

www.peterreiter.at

 

 

Kategorie: Architekten im Gespräch, Kolumnen