Visionäres Denken mit Verantwortung – Architecture and Vision
„Wir entwerfen mit einem Bewusstsein für die Vergangenheit, für die Gegenwart mit einer Vision für die zu erwartende Zukunft. Wir glauben, auf diese Weise wird Architektur kein formaler Trend mehr sein, sondern eine Antwort auf die Bedürfnisse der Gesellschaft, für heute und die zukünftigen Jahre. Ein neues Verständnis unseres Planeten als zerbrechliches, ökologisches System entwickelt sich.“ Gedanken dieser Art findet man unter dem Menüpunkt „Vision“ und „Statement“ auf der Website des internationalen Design- und Architekturteams AV Architecture and Vision. AV sind auch die Initialen der zwei Bürogründer: Arturo Vittori und Andreas Vogler.
2002 begegneten sich die zwei Persönlichkeiten bei einem Kongress der ESA (European Space Agency), und schnell wurde klar, dass neben ihrer aktuellen Thematik über aufblasbare Strukturen beim Kongress auch die weiteren beruflichen Interessensgebiete und Schwerpunkte sich in exakt den gleichen Bereichen befanden, und eine zukünftige Zusammenarbeit drängte sich beinahe auf. Als erstes gemeinsames Projekt nahmen sie eine Studie für die ESA in Angriff: DesertSeal, ein Zelt, das auf die extremen Umweltbedingungen der Wüste ausgerichtet ist. Aus der Studie folgte ein Direktauftrag, und seit 2006 befindet sich die entwickelte Struktur sogar in der permanenten Sammlung des MoMA in New York.
Lernen aus dem Weltraum
Die Begrenztheit und der bewusste Umgang mit Ressourcen ist einer der Grundgedanken in vielen Projekten von Architecture and Vision. In der Planungsarbeit bei Weltraumprojekten wurde dieses Bewusstsein geschärft, und die Erkenntnisse werden auf irdische Projekte übertragen. Technischer Wissenstransfer und Nachhaltigkeit sind hier Themen, die automatisch im Hintergrund mitwirken. Luft (Sauerstoff) und Wasser, alles wird bei der Planung einer Raumkapsel genau bedacht, da jedes zusätzliche Kilogramm an Gewicht auch transportiert werden muss. Raumkapseln, die längere Zeit unterwegs sind, sollen, gleich einem kleinen Planeten, unabhängig funktionieren. Gedanken an Buckminster Fuller und seine Idee in der 1960er-Jahren, die Erde als Raumschiff zu sehen, liegen hier sehr nahe und sind Teil des Gedankengutes von AV. Wie wichtig die Ressource Luft auch hier auf der Erde – in Zeiten zunehmender Luftverschmutzung – ist, behandeln Ideen wie AirTree. Dieses Projekt wurde von dem visionären Team als wichtig befunden und wie viele andere, vorerst ohne AuftraggeberIn entwickelt. Viele BauherrInnen wüssten oft noch gar nicht, dass sie ein Projekt bereits ausschreiben könnten, meint Andreas Vogler von Architecture and Vision.
Mit dieser selbstbewussten und zugleich verantwortungsvollen Art der Auftragsbeschaffung kann das Designteam mittlerweile bereits auf eine beindruckende Vielfalt von ausgeführten „Bauaufgaben“ zurückblicken.
Kinetic Pavilion, 1999
Der interaktive Pavillon wurde für den TechTextil-Wettbewerb in Frankfurt entwickelt, und möchte den urbanen öffentlichen Platz wieder in den Fokus als Zentrum des sozialen Austausches und der Aktivitäten stellen. Der Baldachin des Pavillons verändert seine Position in Antwort auf den Input der umgebenden Umwelt, wie Sonne, Wind und die Bewegungen der Menschen. Die vier Elektromotoren werden mit Energie gespeist, die mittels des photovoltaischen Gewebes der Abdeckung gewonnen wird.
DesertSeal, 2004
Eine von der ESA (European Space Agency) in Auftrag gegebene und realisierte Studie.
Dieses aufblasbare Zelt wurde für die extremen Bedingungen der Wüste entwickelt. Natürliche Energiequellen, wie Sonne und Wind, sind in der pneumatischen Zeltkonstruktion mitbedacht, und das Gewicht – nur fünf Kilogramm – ist für den Transport durch eine Person mit einem Rucksack minimal gehalten.
Der einfache Effekt der Temperaturkurve in heißen Regionen, wonach es immer kühler wird, je größer die Distanz zur Erdoberfläche wird, war hier Basis des Entwurfs: Ein elektrisches Gebläse bläst kontinuierlich kühle Luft in das Innere des Zeltes. Das Gebläse wird über flexible Solarpaneele und Batterien betrieben. Die Einwirkung direkter Sonne wird durch die Materialwahl mit einer reflektierenden Beschichtung herabgesetzt.
AirTree, 2007
Eine urbane Skulptur, die in sich Natur und Technologie vereint und eine Antwort auf die Luftverschmutzung in den Städten gibt. Gleich einem Baum wirkt sie als ökologische Oase und nützt natürliche Elemente wie Wasser und Moos, um aktiv im Austausch mit der Umwelt zu sein. Mithilfe von Solarenergie und Windkraft produziert AirTree einen feinen Wasserstaub, um die heiße Sommerluft auf angenehme Art zu kühlen. Gleichzeitig gibt eine Farbskala auf der Oberfläche der Struktur Auskunft über die aktuelle Luftgüte eines Ortes.
MoonBaseTwo, 2007
Hier wurde das aufblasbare Laboratorium „MoonBaseOne“ weiterentwickelt. Konzipiert als Langzeitbasis für Vorortforschung und der Erforschung der lunaren Umwelt mit dem Ziel, als Habitat für den längeren Aufenthalt von Menschen auf dem Mond zu dienen. Die Station entfaltet und stellt sich automatisch unmittelbar nach der Landung selbsttätig auf. Sie kann bis zu vier Astronauten sechs Monate lang beherbergen.
MercuryHouseOne, 2006–2009
MercuryHouseOne ist ein zukunftweisendes Konzept für eine mobile Wohnplattform, realisiert von der italienischen Firma GVM (Gualtiero Vanelli, Carrara) und war 2009 während der Kunst-Biennale in Venedig auf- und ausgestellt. Es weist ein kompaktes Volumen von etwa 9 mal 4,5 Meter auf. Die äußere Hülle ist aus doppelt gekrümmten, leichten Dünnschichtplatten aus weißem Carrara-Marmor mit verchromten Fugen aufgebaut.
Die Öffnungen bestehen aus großflächigen Acrylscheiben. Der hellblaue Innenraum kann von BenutzerInnen verschieden eingerichtet werden. Licht, Video und Audio sind in dem Wohnraum integriert und unterstützen das einzigartige Erlebnis des Innenraums. Die Einheit ist energetisch unabhängig. Die notwendige Energie wird von in den Dachfenstern integrierten Solarzellen produziert.
Arturo Vittori
Italienischer Architekt und Designer, geboren am 1. 10. 1971 in Viterbo, Italien. Er ist einer der Gründer des Forschungs- und Designstudios „Architecture and Vision“. Nach dem Architekturstudium an der Universität in Florenz sammelte er Berufserfahrung in namhaften Büros, wie Santiago Calatrava und Jean Nouvel. 2002–2004 war er verantwortlich für das Kabinendesign bei Airbus in Toulouse (Frankreich) und wesentlich an der Kabinengestaltung des ersten A380-Flugzeuges beteiligt. 2004–2006 arbeitete er mit Future Systems und wirkte gemeinsam mit Anish Kapoor am Entwurf der U-Bahn-Station Monte Sant’Angelo in Neapel (Italien) mit. 2006 war er als Yacht-Designer beim Londoner Studio Francis Design tätig. Auf internationalen Konferenzen hat er über Themen wie Raumfahrtarchitektur, Technologie-Transfer und Nachhaltigkeit gesprochen. Im ähnlichen Themenbereich ist er als Lehrender und Workshop-Leiter aktiv.
Andreas Vogler
Schweizer Architekt und Designer, geboren am 15. 1. 1964 in Basel, CH. Er ist einer der Gründer des Forschungs- und Designstudios „Architecture and Vision“. 1994 Architekturdiplom an der ETH Zürich. Nach der Zusammenarbeit mit Richard Horden in London unterrichtete er als dessen Assistent an der TU München in den Bereichen Luft-, Raumfahrt- und Mikro-Architektur. Seit 1998 eigenes Büro in München und Teilnahme an Wettbewerben. 2003–2005 unterrichtete er im Rahmen einer Gastprofessur an der Königlichen Kunstakademie in Kopenhagen vorfabrizierte Gebäudetechnik. 2005–2006 war er Teil der Forschungsgruppe „concept house“ an der TU Delft.
Er hat zahlreiche Fachartikel für Kongresse über Weltraumarchitektur und Technologietransfer in die Architektur verfasst und 2005 die Weltraumarchitekturtagung bei der ICES (International Conference for Environmental Systems) in Rom organisiert. Lehrtätigkeiten in den Disziplinen Industrial Design und Architektur an der Universität in Hongkong, der Universität La Sapienzia in Rom, an der ETH Zürich, der IUAV in Venedig und anderen internationalen Universitäten.
Literaturtipp: ARCHITECTURE AND VISION – from Pyramids to Spacecraft by Arturo Vittori and Andreas Vogler – ISBN 978-3000269592
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