Architektur en miniature – Matt Simmonds
Schon um 1800 fertigte der Hofkonditormeister und Baurat Carl May (1747 – 1822) Korkmodelle antiker römischer Bauten für seinen vornehmen Herrn, den Fürstbischof Karl Theodor von Dalberg, als Tafelaufsätze und Lehrmodelle an.
In den 1980er Jahren verschob sich die Diskussion um Architektur in der modellhaften Darstellung von einer theoretischen, konzeptuellen Ebene in eine ikonische Ebene. Modelle fingen an, von Bildern abgelöst zu werden. In der Postmoderne gelangte das Bild (Image) dann zu einer Bedeutung, die bis heute ungebrochen, wenn auch längst nicht mehr der eigentlichen Absicht entspricht. Das Bild oder Abbild zwingt jedoch durch seine besonderen Eigenschaften den Raum in die Zweidimensionalität, wodurch der eigentliche Raumsinn und -eindruck verloren geht.
Matt Simmonds scheint nun durch seine Architekturminiaturen einen Weg gefunden zu haben – oder versucht zumindest ihn zu finden – Architektur abseits der bildhaften Verkleinerung wieder dreidimensional entstehen zu lassen. Von Kindheit an entwickelte er ein großes Interesse für alte Steinarchitektur und studierte auch Kunstgeschichte an der Universität, spezialisiert auf mittelalterliche Kunst. 1989 besuchte er in der Chichester Cathedral in England eine fotografische Ausstellung über die Arbeiten der dortigen Steinmetze und wusste augenblicklich, dass das seine Zukunft sein würde. Ursprünglich wollte er sich dann bei Restaurierungen und der Konservierung historischer Dokumente einbringen und arbeitete auch an mehreren, historischen Kirchenbauten in England. 1996 ging er nach Italien, nach Pietrasanta (eine kleine Stadt bei Carrara mit einer langen Tradition in der Bearbeitung von Marmor) und spezialisierte sich auf klassisches Ornament aus Marmor. Er bekam Kontakt zu diversen Künstlern und versuchte von da an seine eigene künstlerische Art und Ausdrucksweise zu finden. 1999 gewann er den 1. Preis beim Verona International Sculpture Symposium mit seiner Arbeit „Hidden Landscape“. Hier verwirklichte er zu ersten Mal das Thema der Innenräume in der Architektur, etwas das ihn schon lange beschäftigt hatte.
Seine Arbeiten sind von Gebäuden, die das Erbe und den Wert einer Vergangenheit ausdrücken, inspiriert. Teilweise befasst er sich mit religiöser Architektur und deren Gebrauch des Lichtes, um eine symbolische Spiritualität und Offenbarung zu symbolisieren. Zeitweise arbeitet er mit bestimmten, historischen Orten und Gebäuden, dann bewegt er sich auch von idiosynkratischen zu eskapistischen, zu mehr abstrakten Auffassungen über die Verwendung von Raum und Licht in der Architektur und im Allgemeinen hin. Eines seiner Hauptkriterien ist aber, den Prozess des Hinwegnehmens, des Entfernens von Material aus dem Stein sichtbar zu machen. Niemals wird bei seinen Skulpturen ein Teil nachträglich hinzugefügt. Sie sind alle aus dem Soliden herausgemeißelt. Auch diese handwerkliche Fähigkeit ist schon eine Kunst. Inspirieren lässt er sich schon von der ursprünglichen rohen Form eines gefundene Steinbrocken.
Wenn man seine Skulpturen betrachtet, sind es eigentlich die Negativräume, die Volumina, die vom architektonischen Innenraum einer Kirche zum Beispiel in das Irgendwo (Unendliche) reichen, die so faszinieren. Die Frage nach den Grenzen eines Raumes drängt ins Bewusstsein. Wo hört Raum auf, wo beginnt er? Die Differenz zwischen der Rhetorik der bekannten, realen Architekturen und diesen dreidimensionalen Negativskulpturen regt auch einen Prozess des Nachdenkens über die Erfahrung von Raum und Baukultur an. Es reizt ihn, in den Stein eine innere Welt oder ein Fragment davon, einzukerben, zu meißeln. Diese sind in ihrer Essenz durchaus von der Außenwelt verschieden. Aber das Monumentale in der Verkleinerung bleibt. So gesehen sind seine Skulpturen Erinnerungen und Mahnmale für das unausweichliche Vergehen von Architekturen und Zivilisationen.
Simmonds bringt den umbauten Leerraum (fast) bis zum Angreifen in die Sichtbarkeit. Denn ein Modell derselben Kirche mit Außenwand ist nie so räumlich, wie deren Innenraum als negative Skulptur. Er macht den Leerraum zum eigentlichen Körper, zum eigentlichen Wichtigen einer Architektur, die sonst nur immer von der Hülle, also vom Abbild charakterisiert wird. Es sind manchmal mystische, fast unheimliche Räume und dieser Eindruck entsteht auch durch das für uns völlig ungewohnte Wahrnehmen des eigentlichen Raumes, losgelöst von der Hülle, abseits der ikonografischen Wirkung der Landmark. Wir sehen einen Raum, den wir niemals betreten können und das trägt zur Imagination des Raumgefühls bei. Es sind stille Architekturen, in die der Betrachter eintauchen kann, sich verlieren kann. Trotz der teilweisen Mystik und Düsterheit bleibt aber der spielerische Charakter dieses Konzeptes erhalten.
Text:©Peter Reischer
Fotos:©Matt Simmonds
Kategorie: Start