BACK TO BACK is back! – England
England hat eine breite und auch lange Geschichte des Wohnbaus. Als die Bevölkerungszahl der britischen Industriestädte im 19. Jahrhundert explodierte, benötigten Arbeitgeber und Gemeinden eine Wohnform, die in möglichst kurzer Zeit möglichst viele Menschen auf möglichst wenig Raum unterbringen konnte, ohne dass die städtische Infrastruktur völlig aus den Fugen geriet.
Die Lösung entstand aus einem Gitternetz aus langen, schnurgeraden Straßen, die parallel zueinander in kurzen Abständen verliefen. Zwischen ihnen verlief nämlich nur eine einzige Häuserreihe – jedoch mit Wohnungen auf beiden Straßen, sie stießen an der gemeinsamen Rückwand zusammen: Das „Back-to-Back-House“ war geboren.
Diese Bauform, viele einzelne Häuser direkt nebeneinander zu bauen, ermöglichte es außerdem, geraden Parallelstraßen über die Hänge und Kämme des oft hügeligen Baugrundes zu ziehen. Daher stammt auch der englische Begriff für Reihenhaus: terraced house, also Terrassen- oder „stufenförmiges Haus“. Vor allem in den nördlichen Teilen Englands und sogenannten Midlands war diese Typologie des Wohnbaus damals sehr beliebt. Hunderttausende solcher Wohnungen wurden in Städten wie Manchester, Liverpool, Nottingham, Birmingham oder Leeds errichtet, in London war besagter Typus eher selten anzutreffen.
Durch den „Housing Act“ von 1909 wurde ihre Konstruktion für illegal erklärt, trotzdem baute man bis in die späten 1930er Jahre diesen Stil in einigen Orten weiter. Die Häuser waren einfach und billig zu errichten, infolgedessen waren sie billig zu (ver)mieten. Prinzipiell trennte bei diesem Typus eine, parallel zum First laufende Mauer das Haus in zwei gleiche Hälften. Aufgrund seiner oft spartanischen Ausführung (der einfachste Typ bestand lediglich aus zwei Räumen – einem auf jeder Etage), ihrer mangelhaften Belüftung und Belichtung (drei von vier Wänden grenzten an Neben- oder Hintergebäude und hatten daher weder Tür noch Fenster) und ihrer ursprünglich mangelhaften sanitären Ausstattung ist „Back-to-Back“ aber auch ein Synonym für „unmodern“, oder schlicht für Elendsquartier.
Die grundlegenden Probleme der Belichtung und Belüftung (keine Querlüftung war möglich) wurden hier nie gelöst, so verkamen die maroden Quartiere immer mehr zu Elendsvierteln, da dort jene Menschen hausten, die sonst nirgendwo anders hin konnten. Schon um 1850 übten Zeitgenossen wie Friedrich Engels („Die Lage der arbeitenden Klasse in England“, 1845) beißende Kritik an den Zuständen in englischen Industriestädten und monierten ausdrücklich die oft schlampige Bauweise der hastig hochgezogenen Massenquartiere.
Seit allerdings auch die moderne Bauweise (Wohnblocks u. a.) viel von ihrem Glanz verloren hat, da sie die alten gesellschaftlichen Probleme Großbritanniens nicht lösen konnte, ist die Reputation der noch verbliebenen Reihenhaussiedlungen wieder spürbar gestiegen. Hierbei spielt nicht nur eine gewisse Nostalgie eine Rolle, sondern auch die Abkehr von Wohnmaschinen und Betonbauweise, wie sie überall in Europa stattgefunden hat. Es existieren aber heute nur noch wenige jener Bauten. Ein wichtiges Fragment dieser Baukultur gibt es in den Gebieten von Kirstall und Burley in der Stadt Leeds und der Denkmalschutz hat sechs, der ehemals 60.000 Stück dieser Häuser in Birmingham gerettet. Sie sind heute ein Back-to-Back Museum.
Das Projekt der Peter Barber Architects um einen zentralen Hof in Stratford, London, ist nun eine Aufarbeitung der alten Typologie für einen zeitgemäßen Wohnbedarf. Der Auftraggeber war der Londoner Bezirk Newham. Peter Barber findet nicht nur Schlechtes in diesen Architekturen und meint, dass sie „damals wunderbar funktioniert“ haben. Sein Projekt bezieht nun das Beste, das diese Häuser zu bieten hatten, in die neue Zeit mit ein. Er konzentrierte sich auf die oft zitierten und seiner Meinung nach auch überstrapazierten Defizite der Bauten: Jedes seiner Häuser hat ein eigenes Badezimmer (im 19. Jahrhundert teilte man sich die Bäder). Das Wohnzimmer im Obergeschoss hat eine eigene, private Dachterrasse und die ist derart gedreht, dass jedes Haus zwei Aussichtsrichtungen besitzt (im Original gab es das nicht). Jedes Haus hat eine tief zurückspringende Arkade vorgelagert – hier ist ein Bereich, in dem man auch vor dem Haus auf der Straße sitzen kann. Statt der ursprünglichen zwei, gibt es heute vier Geschosse und Balkone erweitern den nutzbaren Raum zusätzlich. Alle Reihenhäuser sind um einen mit Bäumen bepflanzten Hof gruppiert, entlang zweier Straßen, die sich an einer „runden Ecke“ treffen. Der Hof wird von jeder Straße durch einen zwei Geschosse hohen, bogenförmigen Durchgang erschlossen. Insgesamt gibt es 26 Eigenheime, davon stehen 16 in zweigeteiltem Besitz, also back to back.
Text:©Peter Reischer
Fotos:©Morley von Sternberg
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