„Less stupid Citys“ statt „Smart Citys“

26. August 2013 Mehr

 

Es hätte eines der aufregendsten und teuersten Projekte des Landes werden sollen. Ein 190 Meter hoher Büroturm, mitten in Caracas, Venezuela. Heute ist es das wahrscheinlich höchste, besetzte Gebäude der Welt.

Die Geschichte ist lang, ein Bankier namens David Brillembourg hatte den Bürokomplex mit zwölfstöckiger Hochgarage und Veranstaltungshalle von dem Architekten Enrique Gómez planen lassen. Er war der Besitzer der Metropolitano Bank und die geriet Anfang der neunziger Jahre in den Strudel einer nationalen Finanzkrise. 1993 starb Brillembourg und hinterließ ein Kreditinstitut, das ein Jahr später pleite ging. Und ebenfalls hinterließ er eine halb fertige Bauruine, die man in Caracas seither spöttisch „Torre de David“ nennen. Das Gebäude wurde von einem staatlichen Bankenfond übernommen und die Stadtplanung unter der damaligen Regierung des mittlerweile verstorbenen Präsidenten Hugo Chávez überlegte neue Nutzungen. Doch dann überholte sie die Realität: Im Oktober 2007 besetzten Menschen das Betongerippe. Mittlerweile leben in ihm über 2.500 Bewohner, die auf der Suche nach leistbarem Wohnraum in der Acht-Millionenstadt Caracas hier fündig wurden. Für mehr als 750 Familien ist es so etwas wie ein Zuhause geworden. Das ist ein wirklich realsozialistisches Experiment, von dem Chávez nur träumen konnte.

Lifte oder verputzte Fassaden gibt es keine, Balkongeländer fehlen ebenso wie Zwischenwände in manchen Geschossen. Überall Glasscherben, Betonteile und Baumaterial. Im 28. Stockwerk fahren Kinder mit ihren Dreirädern, dort, wo es keine Handläufe oder Geländer gibt. Eine Halle fungiert als Fußballplatz. Etliche Bereiche sind mit Wireless Internet ausgestattet. Im Torre David gibt es neben Wohnungen auch improvisierte Arztpraxen, Geschäfte, Lokale und Fitnessstudios. Wasser wird über Tanks und Pumpen eingeleitet und auch Strom haben sich die Bewohner im Laufe der Jahre mit einfachsten Mitteln selbst organisiert. Das geschäftige Treiben im Torre David wird von den Behörden und der Polizei geduldet, von Architekturexperten beobachtet und analysiert. Mehr als ein Jahr lang haben die Mitglieder des internationalen Kollektivs „Urban-think Tank“ die physische und soziale Organisation dieser Squatter-Gemeinschaft untersucht. Squatting steht für kreatives Besetzen von aufgegebenen Orten.

Das Leben in dem unfertigen Gebäude ist durchaus gefährlich. Das Ziel von U-TT ist es, Wege zu finden, wie dieser Turm noch funktionaler und bewohnbarer gemacht werden kann, sagt der gebürtige Salzburger Hubert Klumpner, der gemeinsam mit Alfredo Brillembourg (Großneffe des Bankiers und Investors David Brillembourg) „Urban-think Tank“ leitet. Er ist Professor für Architektur und Städtebau an der ETH Zürich und widmet sich seit Jahren städtebaulichen und architektonischen Projekten in Armenvierteln.

Auf der Architekturbiennale 2012 in Venedig erhielt „Urban-think Tank“ für die Installation „Torre David/Gran Horizonte“ den Goldenen Löwen für das beste Projekt im Rahmen der „Common Ground“-Ausstellung. Im Arsenale hatte das Kollektiv ein improvisiertes, venezolanisches Restaurant installiert. An den Wänden hingen Fotos vom Turm, auf den Tischen lagen Infomaterialien. Es war ein sozialer Raum, der jenem der Bewohner des Torre David ähnelte.

In den sozialen Strukturen, die sich in solchen Projekten aufbauen und selbst organisieren, liegt ein großes Potenzial für die Zukunft unserer Städte. Man ist aufeinander angewiesen, die fehlende Infrastruktur wird durch Menschlichkeit ersetzt. Die westliche Gesellschaft kann von den in diesen vertikalen Slums gefundenen Lösungsansätzen durchaus lernen, vielleicht sogar profitieren. Weltweit gibt es einige dieser besetzten Wolkenkratzer: In Johannesburg, Bangkok oder Mumbai sind Projekte, bei denen sich die Armen in funktionslos gewordenen Wolkenkratzern eingenistet haben, untersucht worden. Laut Klumpner geht es auch darum, „unsere teuren und hochgezüchteten Technologien, die nicht unbedingt nachhaltig sind, kritisch zu hinterfragen.“

Mit einer anderen Art der Bottom-Up Stadtforschung und Architektur beschäftigt sich zur Zeit eine Ausstellung im Aedes am Pfefferberg in Berlin. Dort werden von 12. Juli – 29. August 2013 Forschungs- und Bottom-up Szenarien vorgestellt, die im Büro von Winka Dubbeldam, Archi-Tectonics, NY entwickelt wurden. Die Projekte befassen sich mit dem Erkennen des Versagens der traditionellen Stadtplanung in den rasant wachsenden lateinamerikanischen Ländern unter der Last politischer Korruption. Die Ausstellung nennt sich „Downtown Bogota / My Ideal City“ und verschafft einen Einblick in innovative Strategien der Stadtplanung, die ein Neuanfang in der Entwicklung städteplanerischer Prozesse in der Dritten Welt bedeuten könnten.

„My Ideal City“ ist eine online Plattform, bei der die Bewohner Bogotas sich interaktiv an der Gestaltung ihres Stadtzentrums beteiligen können. Ist eine Projektinitiative einmal festgelegt, wird der Prozess abgeschlossen, in dem die Bewohner ihre eigenen Initiativen durch crowd-funding finanzieren. Initiator und Urheber dieses Ansatzes ist Rodrigo Nino, Prodigy Network. Ein erstes Beispiel für den Erfolg dieses neuen Models ist der BD Bacatá Skyscraper. Der Sponsor BD Promotores entwickelte das Projekt, nachdem Prodigy Network mehr als 3.500 Investoren zusammen brachte, die über 200 Millionen Dollar investierten, um den größten Wolkenkratzer in der Geschichte Kolumbiens zu bauen. Bis dato stellt das auch den Weltrekord im crowd-funding dar. Im Gegensatz zum Torre David wird hier allerdings wieder auf Neubau und Superlativen gesetzt, statt im Sinne von Nachhaltigkeit das Vorhandene als Ressource zu nutzen. Man kann nur hoffen, dass sich irgendwann die Stadtplaner und Architekten dazu durchringen, „less stupid citys“ statt „smart citys“ zu entwerfen und zu bauen.

 

 Text: Peter Reischer

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