Obdach lose an der Fassade – Homed
Wenn man durch die Straßen der Stadt geht, sieht man sie: Obdachlose, zugedeckt mit Fetzen oder Zeitungen, sie liegen auf U-Bahnschächten, in ruhigen, finsteren Winkeln und hoffen auf warmes Wetter. Manchmal kommen sie in Notschlafstellen unter, viele ziehen aber die totale Unabhängigkeit und das Schlafen im Freien vor.
Speziell in New York, wo Freiflächen Mangelware und die Mieten exorbitant hoch sind, steigt die Zahl der Menschen, die kein Dach mehr über dem Kopf haben, sich kein Zimmer leisten können, stetig an. Schätzungen zufolge schlafen derzeit 62.000 Personen in Notschlafstellen oder -unterkünften, Tausende weitere in den U-Bahn-Systemen, auf den Straßen oder in Parkanlagen. Das „Department of Homeless Services“ (DHS) hat in N.Y. ein jährliches Budget von 770 Mio. Euro, das ist eine gewaltige finanzielle Belastung für eine Stadt.
In N.Y., aber auch in anderen Städten der Welt, kann dieses Problem auf zwei Arten gelöst werden. Entweder es werden eine Menge neuer günstiger Kleinwohnungen gebaut oder man stellt eine temporäre, kostengünstige Wohnalternative für die ärmste Schicht der Bevölkerung zur Verfügung. Obwohl fast jeder Quadratmeter Grundfläche in New York bereits besetzt ist, besteht doch noch eine Menge Freiraum im Bereich der Senkrechten. Das sind die freien Seitenflächen (Feuermauern) bei Grundstücken, wo gerade ein Haus abgebrochen wurde und die Lücke noch offen ist. Bis die nächste Immobilie hier entsteht, gibt es Hunderte von Quadratmetern ungenutzte Fläche und damit Wohnmöglichkeiten.
Das norwegische Studio Framlab mit seinem Gründer Andreas Tjeldflaat projektiert nun eine Idee, diese Flächen effektiv, kostengünstig und temporär zu nutzen. Unter dem Titel „Homed“ schlagen sie die Kapitalisierung dieser Leerräume an den Fassaden mit einem rasterförmigen Gerüst, bedeckt oder befüllt mit sechseckigen, dreidimensionalen Modulen vor. Die Module sind so entworfen, dass sie in die Gerüststruktur passen und so eine dichte, zweite Fassade vor der leeren Wand bilden. Es entstehen Cluster aus hängenden Nachbarschaften für die „Letzten oder Ärmsten der Stadt“. Lediglich ein Kranwagen und ein LKW für den Transport sind notwendig.
Jede Einheit ist so gestaltet, dass sie während des ganzen Jahres eine Unterkunft bietet, egal ob kalt oder warm, Regen oder Schnee. Die Außenhaut besteht aus oxidierten Aluminiumplatten, das Innere bietet eine weiche und angenehme Umgebung. Die Module werden im 3-D-Druck hergestellt und so können Möblierung, Beleuchtung und diverse Geräte integrieret werden. So entsteht ein minimaler Raum, maßgeschneidert auf die Bedürfnisse des Bewohners, mit einem sechseckigen Ausblick auf die Stadtlandschaft. Die Formen werden aus recyceltem Plastik gedruckt und im Inneren mit Holz ausgekleidet, um eine Wohnlichkeit zu erzeugen. Die Frontscheibe der Module ist aus einem „smarten“ Glas mit einer Beschichtung, die wahlweise opak oder durchscheinend sein kann. Sie kann entweder Schutz und Privatheit sichern, oder – im Fall der Unbewohntheit – auch Werbebotschaften oder Informationen an die Bürger ausstrahlen. Eine weitere Einnahmequelle für die Stadt.
Der Gebrauch der Gerüste als Substruktur für die Module bietet eine Menge an Vorteilen. Die Nachbarschaften (Cluster) können einfach und kosteneffektiv errichtet und genauso wieder abgebaut werden. Da das System eine schnelle „Besiedlung“ ermöglicht und die Module auch im Tandem (doppelte Tiefe) installiert werden können, kann die Gesamtstruktur schnell auf Änderungen der Umgebung reagieren und sich anpassen. Die einfache Erstellung eines derartigen Gerüstes bietet der Stadt auch die Chance, kostengünstig die – ansonsten nur schwer erschließbaren – vertikalen Flächen zu entwickeln. Die unterschiedlichsten Verbindungspunkte des Gerüstes bieten wiederum auch die Möglichkeit für unterschiedlichste Nachbarschaften und Konfigurationen als Antwort auf äußere oder auch soziale Rahmenbedingungen.
Text:©Peter Reischer
Renderings:©Framlab
Kategorie: Start