Obst und Gemüse statt Zigaretten
Die Prognosen der Zukunftsforscher und Wissenschaftler sind bekannt, wenn auch wenig aufbauend: 2050 werden ca. 70 bis 80 Prozent der Weltbevölkerung in Städten leben, bei einer Bevölkerungszahl von neun Milliarden Menschen. Das bedeutet nach Meinung einiger das Wachsen der sogenannten Megacitys, andere (Welternährungsorganisation) wiederum prognostizieren eine daraus resultierende Versorgungskrise der Bevölkerung.
Foto: ©Stadt Linz
Ein Teil des Problems liegt im exzessiven Fleischkonsum der reichen Länder der Welt. Er benötigt heute schon den größten Teil der Äcker. Für die Erzeugung von Fleisch landen gewaltige Mengen an Getreide in Trögen von Tieren – statt auf den Tellern von Menschen, kritisieren Forscher. Der momentane Lebensstil in den meisten westlichen Ländern ist sicher für neun Milliarden Menschen nicht globalisierbar. Diese Thesen folgen der sogenannten Malthusianischen Katastrophe oder Malthusianischen Falle, auch Bevölkerungsfalle genannt. Das ist ein von Thomas Robert Malthus (1766–1834) skizziertes mögliches Hemmnis für wirtschaftliche Entwicklung und Wachstum. Er ging davon aus, dass die Menschheit exponentiell wächst, nach dem Muster einer geometrischen Reihe: 1, 2, 4, 8, 16 … Die Produktion von Lebensmitteln könne da nicht mithalten, weil nur begrenzt bebaubares Land zur Verfügung steht. Sie wachse nur linear nach einer arithmetischen Reihe: 1, 2, 3, 4 …
Um diesem möglichen Problem entgegenzuwirken, ist das Projekt „Pixel“ des Wiener vertical farm institute – es wird seit 6. Oktober in der ehemaligen Portiersloge in der Tabakfabrik Linz gezeigt – ein guter Ansatz. Das 2016 in Wien gegründete Institut versammelt unterschiedliche Expertisen von Architekten, Ingenieuren, Pflanzenphysiologen und Künstlern ebenso wie ein internationales Forschungsnetzwerk zum Thema „vertical farming“. Vertikale Landwirtschaft ist ein Begriff der Zukunftstechnologie, die eine tragfähige Landwirtschaft und Massenproduktion pflanzlicher und tierischer Erzeugnisse im Ballungsgebiet der Städte in mehrstöckigen Gebäuden (sogenannten Farmscrapers) ermöglichen soll. So wird die Verbindung zur Architektur der Zukunft augenscheinlich. Denn täglich werden in Österreich Flächen im Ausmaß von 28 Fußballfeldern versiegelt und gehen der Landwirtschaft verloren.
Foto: ©vertical farm institute
Angesichts dieser Fakten geht es nun darum, in einem zeitgemäßen Ambiente Platz für neue innovative und urbane Angebote zu schaffen, die um das brandaktuelle Themenfeld „food, waste, energy“ kreisen. Bewusstsein und Wissen über gesunde Ernährung und der kritische Blick auf den Herstellungsprozess von Lebensmitteln sind in den letzten Jahren deutlich gestiegen und die Stadt der Zukunft braucht (wahrscheinlich) die vertikale Landwirtschaft. Da spielt auch eine neue, innovative Nutzung alter Industriebrachen, Gebäude und Hallen hinein. Die ehemalige Tabakfabrik – ein Bau, der 1929 bis 1935 nach Plänen von Peter Behrens und Alexander Popp errichtet wurde – mit 80.000 m2 überdachter Nutzfläche stellt dafür eine gute Möglichkeit dar. Auf den Förderbändern, die also einst Tabak transportierten, werden nun Salatpflanzen oder Kräuter ihre Runden drehen, um das Tageslicht optimal auszunutzen. Als Teil dieser Produktionsanlage entstehen ein buchbarer Meetingraum für die Tabakfabrik sowie eine Ausstellung, in der die Herausforderungen der Stadt der Zukunft erklärt werden. Diese Ausstellung erklärt mit einer Serie von Visualisierungen und Schrifttafeln das Projekt und die Zusammenhänge zwischen Erdöl- und Nahrungsmittelproduktion bzw. deren Verknappung.
Denn gerade wenn die landwirtschaftliche Fläche zur Mangelware wird, birgt vertical farming als Kulturtechnik und Technologie die einzigartige Chance einer ressourcenschonenden, lokalen und weitgehend biologischen Lebensproduktion, unabhängig von fossilen Brennstoffen. Die notwendige Energie dafür liefern Solaranlagen. Auch das ist ein Schritt in eine Zukunft der Architektur, denn Erdöl wird nicht mehr lange zur Verfügung stehen.
Pixel, das aktuelle Projekt des vertical farm institute in der ehemaligen Portiersloge der Tabakfabrik, ist allerdings nur der Vorbote einer viel größeren vertikalen Landwirtschaft, die einen Bereich des Industrieareals zu einer Farm der Zukunft machen soll. Jene Gebäude, die einst kostbare Tabaksorten aus dem Orient beherbergten, könnten in Zukunft frisches Obst und Gemüse erzeugen. Nach dem Abbruch der beiden nicht denkmalgeschützten Zwischenmagazine sollen sich die Magazine der Tabakfabrik Linz in eine vertikale Farm transformieren, die an der Fassade der Sonne entgegenstrebt und deren Dachlandschaften das Baujuwel in Grünoasen verwandeln.
Die größten Fragen bei diesen Projekten sind immer noch Energie und Pflanzenphysiologie. Fast alle vertikalen Farmen, die es aktuell weltweit gibt, sind Blackboxes, also zu 100 Prozent künstlich beleuchtet. In Linz geht man einen anderen Weg. Man will Naturkräfte und Energie, die gratis sind, nutzen – also die Sonne. Es ist das Suchen nach den Möglichkeiten, eine ideale Komposition/Kombination aus Pflanze, Technologie und Gebäude zu schaffen, die es ermöglicht, mit einem Bruchteil des Energieaufwandes einer Blackbox, das gesamte Jahr über frische Lebensmittel für die Stadt zu produzieren. Man stapelt quasi Gewächshäuser – also mit transparenten Fassaden – und verzichtet auf künstliche Beleuchtung, wenn und wo diese nicht unbedingt nötig sind.
Alle Farmen, die es zurzeit gibt, sind Monokulturen. In Linz befassen sich die Planer damit, welche Mischkulturen möglich sind, welche Pflanzen ähnliche Bedürfnisse haben, was man sinnvollerweise (also energetisch und auch wirtschaftlich sinnvoll), indoor anbauen kann, immer auch mit Blick auf die Gesamtenergiebilanz. Jeder Quadratmeter Bodenfläche der vertikalen Farm produziert ca. gleich viel wie 50 m2 an landwirtschaftlicher Fläche, die konventionell genutzt werden. Wenn man es schafft, vertical farming und lokale Landwirtschaft rund um die Stadt miteinander zu verknüpfen, aufeinander abzustimmen, dann können beide davon profitieren: der vertical farmer und der bodenbezogene, regionale Biobauer. Vertical farming setzt Fläche frei und ist eine Ergänzung zur Biolandwirtschaft. Zudem wird über das gesamte Jahr, also auch in Monaten, in denen landwirtschaftliche Produktion im Außenraum nicht möglich ist, produziert.
Info
Der Mythos vom Eferdinger Becken als Gemüsekammer stimmt nicht. Viele meinen, sie würde ganz Oberösterreich mit frischem Obst und Gemüse versorgen. Doch tatsächlich ernährt das Gebiet insgesamt nur drei Prozent der Linzer. Das gleiche gilt für die ehemalige Kornkammer Wiens, das Marchfeld, denn die dort verfügbare Fläche ernährt gerade einmal die Bewohner des 6. Bezirkes. Der Selbstversorgungsgrad mit Gemüse in Österreich liegt bei lediglich 54 Prozent und er wird in den nächsten Jahren kontinuierlich weiter fallen.
Foto: ©vertical farm institute
Text: ©Peter Reischer
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